Oft erwische ich mich dabei, wie ich Sätze äußere wie: „Ich brauche keinen Mann in meinem Leben!“, „Ich will mich jetzt auf mich konzentrieren“, „Ich will gerade gar keine feste Beziehung!“. Das stimmt eigentlich auch. Meine letzte Beziehung dauerte viereinhalb Jahre, nahm – zumindest für mich – ein weniger schönes Ende und liegt jetzt fast ein halbes Jahr zurück. Seitdem habe ich viel über mich  selbst gelernt. Man muss dazu sagen, dass ich eine Angststörung habe. Das war vor der Beziehung noch nicht der Fall. Ich gebe meinem Ex-Partner selbstverständlich nicht die Schuld dafür. Es waren damals eher die Umstände, die etwas in mir zum Brodeln brachten. Nach zwei Jahren Beziehung zog ich zu ihm nach Berlin. Ich kannte niemanden, wir wohnten in einer Einzimmerwohnung im furchtbar hässlichen Siemensstadt und kurze Zeit später wurden wir von einer Pandemie, die alles stilllegte, überrollt. Da besteht durchaus Potenzial für derartige Persönlichkeitsentwicklungen.

Dennoch bin ich nun das erste Mal mit dieser Seite von mir alleine. Ich komme besser damit klar, als ich ursprünglich erwartet hatte. Ich habe mich vielen Herausforderungen gestellt und bin verdammt stolz auf mich. Aber diese Dating-Geschichte macht mir des Öfteren Bauchweh. Finde ich einen Partner, der damit zurechtkommt? Die meisten Männer, die ich beim Online-Dating durch die digitalen Sphären swipe, haben in ihrer Bio solche Dinge stehen wie unkompliziert, spontan, flexibel, abenteuerlustig. Also sei bitte ebenfalls möglichst unkompliziert und lass deine Probleme unbedingt woanders! Das scheint mir häufig die unterschwellige Botschaft dieser Profile zu sein. Für meinen Ex-Partner waren Leichtigkeit und Unbeschwertheit die Nummer 1 auf der Prioritätenliste. Das hat mit meinem Charakter ab einem gewissen Punkt nicht mehr gematched. Gleichzeitig liebte ich jedoch seinen Humor und seine lockere Art. Wo finde ich jetzt also einen Mann, der den nötigen Tiefgang sowie die emotionale Reife besitzt, aber gleichzeitig völlig albern sein und auch mal das ein oder andere Bier zu viel trinken kann? Es ist ja nicht so, dass ich nicht auch locker und unkompliziert sein wollen würde, aber ich wünsche mir trotzdem einen Partner, der mich eben auch mit meiner Angststörung liebt und akzeptiert und der mich pusht, weiter über mich hinauszuwachsen. Gibt es so einen Mann? Bestimmt gibt es den. Aber wann bin ich überhaupt bereit dafür? Sollte man nach einer Trennung nicht erst einmal lernen, mit sich allein sein zu können?

Mir würde aktuell ein bisschen Spaß ausreichen, vielleicht an einem Abend in einer Bar mit jemandem rummachen, mit dem man vorher nur drei Worte gewechselt hat. Sind das nicht auch die eigentlichen Vorzüge des Single-Daseins? Ich habe das letzte halbe Jahr dafür gebraucht, um zu erkennen, welche Vorteile man als Single hat. Und fertig bin ich damit immer noch nicht. Vorteile sind Unabhängigkeit, persönliche Flexibilität und die Tatsache, dass man nicht ständig kritisiert und hinterfragt wird. Ich kann jetzt sein, wer ich sein möchte, ohne dass meine Person von außen bewertet wird. Dennoch sehne ich mich trotz des neu gewonnenen Selbstbewusstseins auch nach aufregenden Chats und einem leidenschaftlichen Kennenlernen mit einem tollen Menschen. Irgendwo auf einer Party oder in einer Kneipe könnte man sich begegnen, Nummern austauschen und dann beginnt ein romantisches Abenteuer voller intensiver Nachrichten, stundenlangen Gesprächen und natürlich gutem Sex. So stelle ich mir das zumindest vor. Andererseits scheint die Vorstellung, jemand Neues kennenzulernen, auch sehr anstrengend. Während ich vor Kurzem noch jemanden an meiner Seite hatte, der jede Eigenart von mir kannte und mit allen möglichen Unreinheiten der eigenen Person vertraut war, fange ich jetzt wieder bei Fragen an wie: Was hörst du eigentlich für Musik? Dabei ist mir erst deutlich geworden, was “Beziehung ist Arbeit” wirklich bedeutet. Jemanden richtig kennenzulernen und eine tiefgründige Beziehung aufzubauen, bis man irgendwann an dem Punkt angelangt ist, an dem man den anderen nur anschauen muss und weiß, wie er oder sie gerade drauf ist. Das ist ein langer Weg. 

Eine Freundin von mir sagte einmal den wunderbaren Satz: „Wenn ein Mensch dich wirklich will, dann nimmt er dich mit all deinen Fehlern. Du kannst ja im Supermarkt auch nicht die Tüte Gummibärchen kaufen und vorher alle weißen aussortieren. Es ist von vornherein klar, dass da auch weiße drin sind. Das plant man halt mit ein“. Inhalt der Aussage ist einfach und schlicht: Wir wollen eben mit all unseren Macken, Ecken und Kanten geliebt werden, ohne dass ein:e Partner:in versucht, uns bis zur Unkenntlichkeit zurechtzubiegen. Lernen wir nun jemanden neu kennen, werden wir die sprichwörtlichen weißen Gummibärchen wahrscheinlich dennoch erst einmal verstecken, obwohl jede:r weiß, dass sie existieren.

Wäre es also nicht schön, wenn es so etwas wie Rückwärts-Dating gäbe? Wenn es also gesellschaftlich ein Ding wäre, sich in der Kennenlernphase von allen Seiten zu präsentieren, ganz ungeschminkt und ehrlich und erst danach folgt die gestylte Dating-Variante? Aber so funktionieren die Spielregeln leider nicht. Beim ersten Date bin ich viel zu nervös, habe zu hohe Erwartungen, das heißeste Ausgeh-Outfit schnürt mir die Luft zum Atmen ab und zwickt an den unmöglichsten Stellen. Und obwohl ich mich vorher gründlichst vorbereitet habe, war der Kerl nach einem solch aufwühlenden Tag am Ende doch nicht der Richtige. Weder für Spaß noch für etwas anderes. Also wozu das Ganze?

Beim Online-Dating schreiben mich Männer oft mit fragwürdigen Sprüchen an. Ein 35-Jähriger versuchte es schon zweimal, indem er mich auf meine schöne Blässe aufmerksam machte. „Schöne Blässe hast du da.“ Ich muss mich schütteln, wenn ich daran denke. Nein, diese Art des Datings ist nicht meine. Aber geht es heute überhaupt noch über den analogen Weg? Manchmal habe ich das Gefühl, dass alle Singles ausschließlich Dating-Plattformen nutzen  und höre immer öfter von Leuten, die sich sogar darüber finden. Vielleicht lehne ich das Konzept zu strikt ab. Aber das Flirten in einer Bar finde ich einfach aufregender. Wenn man sich einige Tische entfernt voneinander immer wieder Blicke zuwirft und eine:r von beiden dann den ersten Schritt macht  und die andere Person anspricht. Natürlich kann auch das ein kompletter Reinfall sein, weil sich beim finalen Gespräch herausstellt, dass der Kerl nur sexistische Kackscheiße von sich gibt. Aber das  war trotzdem aufregender und intensiver, als jedes belanglose “Hey, wie geht’s?” oder jeder “Lieber Berge oder Meer” – Chat auf OkCupid. 

AUTOR:IN: ANONYM, ILLUSTRATION: ROSA VIKTORIA AHLERS

Anmerkung der Redaktion: Dies ist ein Erfahrungsbericht, der nicht für alle Menschen und ihre Dating-Erfahrungen steht. Viele Menschen entscheiden sich bewusst für das Single-Dasein oder nehmen sich Zeit für sich selbst, bevor sie sich dafür öffnen, eine neue Person kennenzulernen. Die Vorlieben beim Dating sind sehr individuell.

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