Mittwochmorgen, 9:36 Uhr. Ich sitze in meiner löchrigen Pyjamahose und dem T-Shirt von gestern am Frühstückstisch und blättere durch das ZEIT Magazin. Auf Seite neun springt mir plötzlich ein Typ mit Poloshirt und pastellgelben Shorts von einem Motorboot entgegen. Im Gesicht eine Grimasse, die wohl Spaß und Abenteuer vermitteln soll. Mein Gesicht verzieht sich synchron. Kopfschüttelnd blättere ich weiter. Da eine achtseitige Fotostrecke mit Luxusuhren (ihre Farben sollen Hoffnung bringen!), gefolgt von einem doppelseitigen Inserat, in dem einfach eine lässige Couch in einem Palast mit super Ausblick gezeigt wird. Irritiert schlage ich ein älteres Heft auf. Auf einer kunstvollen Fotografie blicke ich in die Augen einer hübschen Dame mit noch hübscherer Handtasche. Immer hektischer blättere ich weiter. Grinsende Münder, ästhetische Körper, sexy Begleitungen. Sonnenbrillen, Halstücher, Autos. All living the dream.

Na toll. Ich blicke auf mich herab. Soll ich mich jetzt schlecht fühlen oder was? Mein Zimmer hat 15 Quadratmeter und blickt in einen Innenhof. Meine Kleidung wurde vorher sogar von anderen Leuten getragen und ich Loser habe nicht einmal ein Auto, sondern muss mich selbst durch die Gegend strampeln. Andere Leute haben in meinem Alter schon zwei Start-ups verkauft oder mit Kryptotrading ein Penthouse verdient. Die haben es geschafft. Jetzt können sie ihre Hälse mit Gold schmücken und ihre Wertsachen in Leder verpackt mit sich rum tragen. Die sind sicher glücklicher als ich.

Und natürlich hübscher. Ist euch schon mal aufgefallen, dass Leute, die Geld haben, fast immer super aussehen? Elon Musk sind sogar seine Haare wieder nachgewachsen, seit er reich ist. Da machst du ein paar Millionen und ZACK — in der einen Hand Johnny Depp und in der anderen Louis Vuitton. Dass diese Tasche eher aussieht wie eine misslungene Sphynx-Katze ist allerdings ein Tabuthema für sich.

Auch die Dinge für Leute, die Geld haben, sehen immer super aus. Das versteht sich von selbst. Ich gebe doch nicht 1.200 Euro für eine Handtasche aus, die nicht mal schick ist. Da könnte ich es ja gleich spenden. Beziehungsweise läuft es anders rum: Wenn etwas teuer ist, sieht es allein dadurch gut aus. Hässlich darf man nur zu billigen Dingen sagen. Eine neue Rolex ist immer WOW, egal ob das blaue Ziffernblatt tatsächlich ein guter Stilgriff war. Was bedeutet das also? Im besten Fall nimmt guter Geschmack indirekt proportional zum angehäuften Kapital ab. Im schlimmsten Fall geht es gar nicht um Ästhetik.

Aber warte mal… Worum soll es denn dann gehen? Naja, es bleibt noch die Qualität. Wenn es ein Schweinegeld kostet, dann bestimmt, weil es aus hochwertigen Materialien in Handarbeit gefertigt wurde. Oder nicht? So wie Omas alter Plattenspieler oder die hübsche Kristallvase im Porzellanschrank. Also sind die neuen Sneaker, die abwechselnd von berühmten Instagram-Stars beworben werden, so frech teuer, weil sie mit nachhaltigem Leder in durchlüfteten Kleinbetrieben hergestellt werden? Von gut bezahlten, erwachsenen Schuster:innen? Das wäre doch schön. Aber nein, kleine Kinderhände nähen schöne Schuhe, Teslas haben eine schlechte Qualität, Balenciaga verkauft Ikea-Säcke um 2.000 Euro und der Champagner von Aldi schmeckt besser als Moët.

Gekauft wird die vergoldete Klobrille trotzdem. Denn — Überraschung — Luxusgüter vermitteln Status. Wer sie besitzt, kann es sich leisten. Hat etwas erreicht. Ist fleißiger, klüger, erfolgreicher als die anderen. Luxusgüter sind besonders, WEIL sie teuer sind. Nicht umgekehrt. Durch sie fühlen sich die Leute, die sie besitzen, ebenfalls ein bisschen besonders. Eine sehr traurige Vorstellung. Die Unternehmen wissen das und legen sich auf die faule Haut. Wenn der Name einmal groß ist, kann man den Leuten alles andrehen. Hochpreisstrategie bedeutet, dass der Preis nur hoch angesetzt wird, um diese Signalwirkung zu erreichen. Man überzeugt mit Marketing statt Qualität, denn die denken sich die Leute selbst dazu. Die perfekte Taktik in einer Gesellschaft, in der es wichtig ist, andere zu übertrumpfen.

Sollten wir nun alles verteufeln, das ein großes Preisschild hat? Uns über die Luxusdiktatur stellen und mit moralisch erhobenem Haupt Großmutters Erbstücke in die Tonne kloppen? Wenn ich schon so blöd frage, natürlich nicht. Es gibt immer noch Produkte, deren hoher Preis durch die Herstellung bedingt ist. Dinge, die viel aushalten sollen, in die man einmal investiert und dann viele Jahre behält. Mein Reiserucksack aus guter Verarbeitung unter fairen Bedingungen. Nachhaltige Mode, Haushaltsgeräte. Auf der anderen Seite gibt es Dinge, die einfach sehr schön sind, weil sie einen künstlerischen Wert haben oder in Handarbeit gefertigt sind. Dazu können auch teures Porzellan oder Schmuck zählen. In dieser Logik spricht auch nichts gegen eine teure Uhr – jedoch mit Vorbehalt. Ab einem gewissen Preis kann die Qualität einfach nicht noch besser werden und ein sechsstelliger Wert ist in keiner Welt gerechtfertigt.

Wie immer dürfen wir uns von der Wirtschaft nicht für dumm verkaufen lassen. Preisschilder sind kein Indiz für Qualität oder Ästhetik. Leute mit Luxus an jedem Körperteil sind nicht schöner, glücklicher oder erfolgreicher als wir. Auch wenn Werbung uns das immer wieder vormachen will. Es liegt an uns, hinter die Plakate zu blicken und die Preise zu hinterfragen. Genauso wie unsere Werte. Was ich schön finde, bestimme ich und keine Marke. Wer ich bin, bestimme ich und kein Produkt. Wenn wir so handeln, stützen wir nicht nur Qualität und faire Produktion, sondern können auch Stück für Stück erreichen, dass sich überteuerter Schwachsinn nicht mehr verkaufen lässt.

Dieser Text erschien zuerst auf DIEVERPEILTE.

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War bis November 2022 Redakteurin bei DIEVERPEILTE. Hat Wirtschafts- und
Sozialwissenschaften in Wien studiert und befindet sich aktuell im
Philosophiestudium. Themenschwerpunkte sind Gesellschaft, Wirtschaft und
Poltik.   

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