WARNUNG: Im folgenden Beitrag wird sexuelle Belästigung thematisiert.

Wenn ich an sexuelle Belästigung denke, denke ich assoziativ an einen männlichen Täter und ein weibliches Opfer. Dass es auch sexuelle Belästigung von Männern an Männern, Frauen an Frauen und eben auch von Frauen an Männern gibt, darüber wird irgendwie kaum gesprochen. Neulich saß ich mit meinen Jungs zusammen und wir haben uns tatsächlich genau darüber ausgetauscht. Z. B. J., der auf einer WG-Party nicht mit einem Mädchen rummachen wollte, sie ihn jedoch immer wieder küsste, während seine Freunde drumherum nur darüber lachten. El., der in Barcelona auf einer Gay-Party war und von einem Typ immer wieder am Arsch begrapscht wurde oder A., der gegen seinen Willen immer wieder von seiner Mitbewohnerin angefasst wurde. Auch ich wurde schon sexuell belästigt. Meine Story und Gedanken dazu schreibe ich hier: 

Es ist Dienstagabend, irgendwann im letzten Herbst. Meine Mitbewohnerin L. hatte zwei Freundinnen in die WG eingeladen, – ich könne mich ja dazusetzen. „Ganz entspannt, nur auf ein Glas Wein”, sagte sie. Ich hatte eigentlich nicht besonders viel Lust, ließ mich aber dennoch überzeugen. Ein ganz entspannter Abend bei einem Glas Wein würde das allerdings nicht werden, dachte ich bereits, als E., eine der beiden Freundinnen, klirrend drei Weinflaschen aus ihrer Tasche holte, grinsend auf den Küchentisch knallte und sich einen Joint anzündete. „Das riecht man morgen nicht mehr“, sagte sie beiläufig, pustete mir den Rauch ins Gesicht und reichte mir die glühende Tüte. Sehr viel Wein und einige Züge später fühlte ich mich ein wenig benommen. Gut ging es mir irgendwie nicht mehr. Die Kiffer:innen unter euch wissen, was ich meine. „Gras auf Alk, das schafft nur Hulk“ – oder so ähnlich. Ich war definitiv so ziemlich das Gegenteil von einem Hulk, was den Mischkonsum betrifft und mir war ein wenig schwindelig. E. suchte immer wieder meine Nähe, die ich jedoch nicht erwiderte. Ich hatte einfach keine Lust. Es wurde immer später, die Gespräche immer abstruser und die beiden Mädels machten nicht den Eindruck, demnächst gehen zu wollen. Ich war auf jeden Fall ready für mein Bett. Ich wollte gerade aufstehen und mich verabschieden, als E. mich entschieden am Arm zurückzog. „Nein! Du bleibst noch“, sagte sie entschlossen und lachte. Widerwillig ließ ich mich zurück auf meinen Stuhl sacken. Ich war betrunken und high. E. rutschte immer näher zu mir. Mit vernebeltem Blick sah ich meine Mitbewohnerin auf der anderen Seite des Tisches, die mir zuzwinkerte. Ich merkte, dass ich die Richtung nicht mochte, in die das Ganze hier zu gehen schien.

Ihre Hände spürte ich nun auf meiner Brust, meinem Arm und meinem Oberschenkel. Ich stieß ihre Hand sanft weg. „Ach komm schon, findest du mich etwa hässlich?“, sagte sie lächelnd. Ich wollte E. auch nicht als L.s verklemmter langweiliger Mitbewohner in Erinnerung bleiben. Die Berührungen waren mir dennoch unangenehm. Ich wollte das nicht. Ich stieß ihre Hand erneut weg und sagte ihr, sie solle aufhören. Immer wieder spürte ich ihre Hände an mir und irgendwann fing sie an, in meinen Schritt zu fassen. Wie gelähmt saß ich in unserer verrauchten WG-Küche. Ich merkte, wie ich eine Erektion bekam. Das ist auch der Grund, warum ich mich so lange nicht getraut habe, darüber zu reden. Ich dachte, der Beule in meiner Hose nach zu urteilen, kann ich es ja wohl kaum besonders schlimm gefunden haben.

Dass mein Körper bzw. eher gesagt mein Schwanz in dieser Situation einfach nur auf einen rein mechanischen Reiz reagierte und es E.s Aktion nicht weniger übergriffig machte, wurde mir erst später bewusst. Irgendwann habe ich dann mit Freund:innen darüber geredet und hielt es zunächst für völlig übertrieben, diese Erfahrung „sexuelle Belästigung“ zu nennen. Gerade wegen der Situation in meiner Hose habe ich zuerst alles heruntergespielt. Im Gegensatz dazu, was Frauen und Mädchen tagtäglich erleben, kam ich mir mit meiner Story irgendwie lächerlich vor. Eben weil sexuelle Belästigung gegen Männer ein Thema ist, über das nicht viel gesprochen wird. 

An dieser Stelle möchte ich unbedingt erwähnen, dass Männer bei Weitem nicht so oft Opfer von sexueller Belästigung und sexueller Gewalt sind wie Frauen. Nur ein Viertel aller Männer wurden in ihrem Leben schon mal sexuell belästigt. Bei den Frauen sind es dreimal so viel. Wenn ich mir jedoch die Erzählungen meiner Freundinnen anhöre, kommen mir diese Zahlen ein wenig untertrieben vor. Bei dem Gespräch mit meinen Jungs konnten die meisten übrigens so ein bis drei Male aufzählen, in der sie sexuelle Belästigung erfahren haben. Eine Zahl, über die eine Frau nur bitter lachen würde. Es ist wichtig, sich dieser Unverhältnismäßigkeit bewusst zu sein, wenn man sich mit sexueller Belästigung gegen Männer auseinandersetzt.

Was ich mich gefragt habe: Warum fällt es gerade Männern so schwer, über sexuelle Belästigung zu reden? Klar, als Opfer über einen sexuellen Übergriff zu reden, ist immer schambehaftet. Doch bei uns Männern spielt meiner Meinung nach noch eine andere Komponente mit: Durch Sozialisation von Jungen und Männern entstehen und reproduzieren sich tief verwurzelte Männlichkeitsideale und angelernte Rollenbilder, die zu gesellschaftlichen Erwartungen an männliches Verhalten führen. Männer glauben, stark sein zu müssen und machen Belästigung lieber mit sich selbst aus.

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Foto: Lukas von Flingern

Belästigt werden, ein Opfer sexueller Belästigung sein: Das passt nicht zu den gängigen Männlichkeitsidealen, die (leider) immer noch das Verhalten von uns Männern beeinflussen. Meist unbewusst. Mich selbst möchte ich da gar nicht herausnehmen. Dadurch fällt es Männern auch schwer, sich ihrer Opferidentität bewusst zu werden. Viele haben Angst, dass dies als Schwäche angesehen wird, als etwas Feminines. Verletzlichkeit zu zeigen, das fällt vielen Männern immer noch unglaublich schwer und gehört nicht unbedingt zum Repertoire des idealtypischen „männlichen“ Mannes. Natürlich identifizieren sich Männer heutzutage, und gerade Männer in meiner linken studentischen Bubble, in der alle super woke und aufgeklärt sind, längst nicht mehr mit solch veralteten Rollenbildern. Schließlich tragen wir lackierte Fingernägel und geben zero Fucks auf Gender Roles.

Ein weiterer Grund, warum sexuelle Belästigung gegen Männer oft sowohl von Täter:innen als auch von Opfern nicht als solche erkannt wird, ist ein weiterverbreitetes Klischee. Nämlich das stereotypische Bild des immer sexbereiten Mannes. Als Mann sollte man es doch gefälligst geil finden, sexuell begehrt zu sein. Sprüche wie „Männer haben doch immer Bock“ hat sicher jeder schon mal gehört. Das ist natürlich völliger Bullshit. Solche Stammtischparolen können getrost zusammen mit Klassikern wie „Boys don’t cry“ oder „Ein echter Mann ist … (hier bitte beliebigen heteronormativen klischee-verseuchten Rotz einfügen)“ zum Restmüll der völlig überholten Gender-Klischees geschmissen werden. Das Vorurteil des sexbesessenen Mannes ist sogar wissenschaftlich widerlegbar. Christian Thiel zitiert in seinem Buch „Wieso Frauen immer Sex wollen und Männer immer Kopfschmerzen haben“ sogar eine Studie, die belegt, dass Männer doppelt so oft über sexuelle Lustlosigkeit klagen wie Frauen. Es gibt jedoch einen kleinen, aber feinen Unterschied, was sexuelle Belästigung gegen Männer (von Frauen) im Gegensatz zu sexueller Belästigung gegen Frauen (von Männern) angeht: Wenn eine Frau von einem Mann sexuell belästigt wird, geht i. d. R. von dem Mann eine Bedrohung aus, da (die meisten) Männer den (meisten) Frauen körperlich überlegen sind. Wenn eine Frau einen Mann auf einer Party oder auf der Straße sexuell belästigt, muss man als Mann i. d. R keine Angst haben. Das ist ein wichtiger Punkt, trifft aber nur bei sexueller Belästigung zu, die an öffentlichen Orten überwiegend von Fremden ausgeht.

Vergessen wird dabei oft, dass der größte Anteil sexueller Belästigung nicht an schlecht beleuchteten Unterführungen und zwielichtigen Gassen, sondern in vertrauten Umfeldern passiert. Und das oft ausgehend von vertrauten Personen: Freund:innen, Familienangehörigen, Nachbar:innen, Lehrer:innen oder Arbeitskolleg:innen. Das trifft auch auf meine Erfahrung zu. Natürlich wäre ich während der Situation in meiner WG-Küche E. körperlich überlegen gewesen; ich hätte mich wehren können. Das vertraute Umfeld, die Tatsache, dass E. L.s Freundin war und es mir peinlicherweise unmännlich vorkam, eine Welle zu machen, sorgten dafür, dass ich mich trotz körperlicher Überlegenheit auf seltsame Art und Weise machtlos gefühlt habe.

Autor: Noah Raffenberg
Illustration: Craig Stein

*Anmerkung der Redaktion: Dies ist ein Erfahrungsbericht und gilt mitnichten für alle Menschen. Es geht hier um eine persönliche Perspektive, nicht um Pauschalisierung. 

Dieser Text erschien zuerst auf DIEVERPEILTE.

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