Anfangs ging es bei diesem Text um Liebeskummer, ein gebrochenes Herz und den ganz großen Neuanfang. Das übliche Blabla, was man sich dann nun mal so sagt und vornimmt. Bis ich gemerkt habe, es geht um eine viel größere Sache, die wohl etwas mehr Arbeit erfordert als nur ein bisschen Schokolade, Weinschorle mit Freund:innen und schlechte Tinder-Dates. Um es ganz deutlich zu machen: Ich kann nicht allein sein. Zumindest will ich es nicht. Diese Worte machen mir Angst, weil es ein Eingeständnis ist.
Dabei verstehe ich gar nicht, wie es dazu kommen konnte. Ich habe wirklich alles getan, um der Angst vor dem Alleinsein zu entkommen. Ich habe Nächte durchgetanzt, in denen die Musik so laut war, dass ich meine Sorgen nicht mehr hören konnte. Ich habe mich von einer Beziehung in die nächste gestürzt, was weder fair noch besonders gesund war. Habe Affären angefangen, von denen ich von Anfang an wusste: eigentlich lieber nicht (Red Flags lassen grüßen). Ich bin von einer Stadt in die nächste gezogen, in der Hoffnung, hier nun meinen Weg zu finden (beziehungsweise, dass dieser mich findet, um auch wirklich ehrlich zu bleiben). Ein neuer Job, eine neue Frisur oder ein neues Hobby, Rollschuh fahren und Klamotten selber nähen, um mal nur zwei davon zu nennen. Die Liste ist lang. So viele Dinge, immer auf der Suche nach dem neuen Kick, nach neuem Abenteuer und vor allem Ablenkung.
Ich bin so schnell gelaufen, dass ich selbst fast nicht hinterhergekommen bin. Beim Wegrennen vor mir selbst war ich schneller als mein Schatten. Frei nach dem Motto: Lieber unglücklich als allein und lieber Krach anstatt Stille.
Aber es kommt dann eben doch anders, als man denkt. Und dann stehst du da, mit gebrochenem Herzen, einem Berg von Stress und die einzige Liebesbeziehung, die dir bleibt, ist die mit dir selbst. Und diese gleicht einem zerbrochenen Spiegel. Die Scherben liegen überall auf dem Boden und du siehst dich in all den kleinen Teilen selbst, aber du weißt trotzdem nicht, wie du aussiehst.
Man hat mir immer gesagt, man muss erst sich selbst lieben, um jemand anderen lieben zu können. Bullshit. Ich habe jemanden geliebt, aber vielleicht auch gerade, um mich nicht mit der Selbstliebe beschäftigen zu müssen. Und jetzt stehe ich da so mit mir und ich kann all das gar nicht so richtig glauben. Ich dachte, ich kann das alles schon ganz gut. Bis ich erkannt habe: Das alles ist ein ganz großer Zirkus, der ständig neue, beeindruckende Artist:innen und Tiere präsentiert, aber keiner merkt, dass das Zelt eigentlich undicht ist.
Es tut verdammt weh, wenn das System der Selbstsabotage in sich zusammenfällt, das kann ich nun wirklich sagen. Vermutlich trifft es einen am härtesten, wenn man nicht damit rechnet.
Alleine sein ist scheiße. All die Sorgen und Ängste mit mir selbst bekommen nun Form, sie werden wieder laut und ich will nur dagegen dröhnen. Neue Abenteuer und neuer Sprint. Aber im tristen Corona-Winter ist es nun mal nicht mehr so einfach. Und ich will und kann das auch nicht mehr, diese Ablenkung vor mir selbst. Wie viel Angst kann man vor sich selbst haben, um dem „mit sich allein sein“ ständig aus dem Weg gehen zu wollen?
Aus meiner Perspektive kann ich sagen: Viel – das habe ich jetzt erkannt. Und so komisch das auch sein mag, es ist schmerzhaft, eine Person zu verlieren, die man liebt. Aber noch schmerzhafter ist es zu bemerken, diese eine Person, mit der man die ganze Zeit zusammen ist, nicht mal zu kennen, – nämlich sich selbst. Eine Trennung ist etwas, dass einem einfach erst mal wehtut, aber der Kampf mit sich selbst ist eine ganz andere Sache. Ich habe für mich erkannt, es ist nicht die Angst, nicht ohne jemand anderen zu können, sondern die Angst, mit mir allein zu sein. Allein mit meinen Gedanken, allein mit meinen Gefühlen und irgendwie verloren in dieser Welt, in der alles ständig unter dem Motto steht: mehr, mehr, mehr und vor allem immer weiter.
Meine Beobachtung sagt mir, ich bin kein Einzelfall. Ich sehe Tausende Menschen um mich herum, die alles Mögliche suchen und dabei so wenig wissen, wonach eigentlich. Wir sind eine Generation, die nie allein sein will. Gewohnt widersprüchlich zwischen der Angst vor Intimität und der Angst vor Einsamkeit. Immer zwischen Hashtag #selflove auf Instagram und dem nächsten mental break down. Kompromisslos mit allem, was wir wollen, aber Abstriche machend, wenn es darum geht, sich Zeit für sich selbst zu nehmen (und zwar wirklich für sich selbst). So drehen wir unsere Kreise zwischen Existenzängsten und Ecstasy und hoffen, dass das alles schon irgendwie läuft. Hauptsache alles finden, nur keinen Frieden mit sich selbst. Denn sich nicht mit sich selbst beschäftigen wollen, ist auch nur ein Symptom unserer Leistungsgesellschaft.
Ich weiß für mich, ich will das nicht mehr. Ich will mich nicht mehr in verlieren in Personen, Abenteuern oder fremden Träumen. Lass mal intim mit uns selbst werden (und, nein, damit meine ich nicht unbedingt masturbieren). Ich will mein eigener Freund werden. Was auch immer das bedeuten mag.
Ich will jetzt auch gar nicht so auf Guru oder so was machen. Dafür bin ich nicht weise genug und vermutlich fehlt mir dafür jegliche Gelassenheit, aber es fühlt sich an wie eine Reise, die mehr ist als nur die Überwindung einer unangenehmen Phase. Mein nächstes Ziel bin ich selbst. Das bin ich mir schuldig. Und ich kann von mir sagen, dass es mir allein jetzt schon besser geht, auch wenn die Erkenntnis wehgetan hat.
Jetzt gibt es nur noch eine Frage, die es zu stellen gibt: Wer bist du, wenn es um dich herum still ist?
Autorin: Clarified
Bild: Alina Schneeberger
Dieser Text erschien zuerst auf DIEVERPEILTE.

Jetzt DIEVERPEILTE supporten und mit dieser geilen Autorin anstoßen!
Folgt uns auf Facebook, Instagram und Spotify.
Autor:innen
DIEVERPEILTE ist eine Redaktion von Journalist:innen und Nichtjournalist:innen, die bei uns oder als Gastautor:innen arbeiten. Alle eint, dass sie guten jungen Journalismus machen wollen. Wenn du uns einen Text anbieten willst: info@dieverpeilte.de