WARNUNG: Der nachfolgende Text behandelt psychische und körperliche Krankheiten sowie selbstschädigendes Verhalten.
Es ist Ende Juli in Hamburg und ich besuche meine Kollegin Johanna in ihrem Zuhause. Neben ihrer Mitbewohnerin teilt sich die 20-Jährige ihre Wohnung mit ihrem PSB-Assistenzhund. Diese speziell ausgebildeten Hunde sind dafür da, Menschen mit psychosozialen Erkrankungen zu unterstützen. Vor fünf Jahren wurde bei Johanna das Ehler-Danlos-Syndrom (EDS) diagnostiziert. Eine chronische Erkrankung, die Schmerzen in verschiedenen Gelenken wie Kiefer, Knien, Hüften und Schultern verursacht. Zusätzlich leidet sie an einer komplexen posttraumatischen Belastungsstörung (KPTBS), was ihre Lebensqualität stark beeinträchtigt. Besonders die durch ihren Gendefekt verursachten Ohnmachtsanfälle, auch Synkopen genannt, stellen eine große Herausforderung für Johanna dar. Was den Assistenzhund Franz zu einem unverzichtbaren Begleiter in ihrem Alltag macht. Ab einem Alter von 12 Monaten können die Tiere innerhalb von etwa 18 bis 24 Monaten zu voll ausgebildeten Assistenzhunden werden. Während unseres Gesprächs sitzt Franz, der flauschige Vierbeiner, auf Johannas Schoß und lauscht aufmerksam, während sie darüber spricht, wie sehr ihr Assistenzhund ihr Leben verändert hat.
DIEVERPEILTE: Wer ist denn Franz eigentlich genau?
Johanna: Franz ist mein kleiner Hund – ein zweijähriger Pudelmischling. Doch er ist nicht nur ein Haustier, sondern auch ein Assistenzhund in Ausbildung. Genauer gesagt, absolviert er derzeit eine Ausbildung zum PSB-Assistenzhund, was für psychosoziale Begleitung steht. Das bedeutet, er ist speziell für mich da, um mich mit meiner KPTBS und Autismus-Spektrum-Störung zu unterstützen.

Wie bist du zu Franz gekommen? Und wie genau hilft er dir?
Ursprünglich war es nicht mein Plan, einen Assistenzhund bei mir aufzunehmen. Ich wollte einfach nur einen Hund haben, – das war schon lange ein Wunsch von mir. Doch im Laufe der Zeit, in der Franz bei mir war, wurde mir klar, wie sehr er mir tatsächlich helfen kann und wie intuitiv er auf meine Symptome eingeht. Das hat er von ganz alleine getan. Dann begann ich mich näher zu informieren und stieß auf die Möglichkeit der Assistenzhundeausbildung. Seitdem arbeiten wir gemeinsam daran.
Woher weiß man, ob ein Hund das Potenzial zum Assistenzhund hat?
Wir haben einen Eignungstest gemacht und dabei stellte sich heraus, dass Franz die notwendigen Voraussetzungen für die Assistenzhundeausbildung erfüllt. Dann haben wir mit seiner Ausbildung angefangen.
Wie funktioniert der Eignungstest für Assistenzhunde?
Ich habe den Eignungstest in Zusammenarbeit mit der Organisation „Dogs with Jobs“ gemacht, die von meiner Trainerin empfohlen wurde. Der Test ist darauf ausgerichtet, die Eignung von Hunden für die Therapie- und Assistenzhundeausbildung zu prüfen. Dabei wird der Hund an einen unbekannten Ort gebracht und verschiedenen Situationen ausgesetzt, insbesondere solchen, die für Hunde normalerweise unangenehm sind. Wir beobachteten dann, wie Franz reagiert, – ob er aggressives Verhalten zeigt, starke Angst hat oder ob er sich gut regulieren kann. Wenn ein Hund zum Beispiel aggressives Verhalten oder übermäßige Angst zeigt, wäre er ungeeignet für die Ausbildung. Wenn der Hund jedoch in diesen Situationen entspannt bleibt, zeigt das, dass er für die Ausbildung geeignet – und genau das traf auf Franz zu.
Kannst du mehr über den Ablauf des Tests erzählen?
Der Test beginnt damit, dass man in einen Raum geführt wird, wo der Hund freigelassen wird und sich in einer fremden Umgebung frei bewegen darf, auch in Anwesenheit von unbekannten Menschen. Anschließend wurden verschiedene Situationen erstellt. Darunter eine Bedrängnissituation, in der sich Menschen in einer Reihe aufgestellt haben, zwischen denen der Hund hindurchlaufen sollte. Franz ist dort ganz easy entlang gelaufen. Eine weitere Situation bestand darin, dass ich mit Franz spielen sollte, während eine Gruppe von etwa zehn Menschen herumlief. Dabei musste der Hund durch die Menschenmenge geführt werden. Es gab auch eine Situation, in der eine fremde Person den Hund anleinen und ihn führen sollte. Hier war ich unsicher, da Franz sich normalerweise hinlegt, wenn er angeleint wird. Doch er stand auf, als die Leine angebracht wurde und ging problemlos mit der Person mit, als wäre es ihm komplett egal.

Als hätte er nie etwas anderes gemacht.
Genau, als hätte er die Person schon ewig gekannt. Jedenfalls werden die Hunde dort in Stresssituationen gebracht, um zu sehen, wie sie darauf reagieren.
Wie unterstützt dich Franz in deinem Alltag?
Er hilft mir vor allem dabei, eine feste Routine zu entwickeln. Vorher kannte ich das weniger, da ich viel mit mir selbst zu tun hatte. Durch ihn habe ich nun einen strukturierten Tagesablauf. Ich denke, das ist etwas, das Menschen mit Haustieren wahrscheinlich kennen. Er motiviert mich, aktiv zu bleiben, – ich gehe raus und bewältige Dinge, vor denen ich Angst habe. Ich denke dabei: Wenn ich mit Franz ins Einkaufszentrum gehe, übe ich das für ihn, aber auch für mich selbst. In stressigen Situationen lenkt er meine Aufmerksamkeit auf sich, wodurch ich weniger von der Umgebung überfordert bin und mich auf ihn konzentrieren kann. Auch wenn er nicht immer perfekt reagiert und selbst in manchen Situationen ängstlich ist, hilft es mir, mich um ihn zu kümmern und ihn zu unterstützen, was wiederum mir hilft, mich besser zu fühlen.
Welche Auswirkungen hat Franz auf deinen Krankheitsverlauf? Wie siehst du deinen Alltag im Vergleich zu vorher?
Seitdem Franz in meinem Leben ist, ist mein Leben viel größer geworden. Früher habe ich praktisch nur Zeit in meinem Zimmer verbracht. Es kam vor, dass ich tagelang oder sogar wochenlang nicht vor die Tür gegangen bin – ich war eine Einsiedlerin und habe mich kaum am öffentlichen Leben beteiligt. Das lag auch daran, dass ich mich überfordert gefühlt habe. Die Öffentlichkeit hat mir angst gemacht und ich wusste nicht, wie ich damit umgehen sollte. Doch nun, da ich Franz an meiner Seite habe, bin ich gewissermaßen mit einem „Alarmsystem“ unterwegs. Gleichzeitig ist er auch ein stiller Begleiter. Jemand, der bemerkt, wenn es mir nicht gut geht. Früher hatte ich oft das Gefühl, dass meine Panikattacken von meinem Umfeld gar nicht wahrgenommen wurden, da viele meiner Anfälle eher unauffällig verliefen. Aber Franz merkt es und fungiert als eine Art „Zeuge“ für meinen Zustand. Das tut unheimlich gut, und er hilft nicht nur passiv, sondern auch aktiv.
Wie meinst du das?
Er signalisiert mir nicht direkt: „Hey, es geht dir gerade nicht gut.“ Stattdessen unterstützt er mich auf verschiedene Weisen, damit es mir besser geht. Er legt sich zum Beispiel auf mich, leckt mir die Tränen ab, holt Spielzeug, damit ich mich ablenken kann, bringt mir meine Medikamente oder schließt Türen. Er hilft mir, mich zu regulieren und lenkt mich in solchen Momenten ab. Durch ihn bin ich auch viel eigenständiger geworden, da ich keine menschliche Begleitung mehr brauche. Ich habe meinen Hund als Begleiter und das ist wahnsinnig wertvoll. Ich muss nicht mehr ständig andere Menschen fragen, ob sie mit mir irgendwohin gehen können. Ich weiß, dass ich Franz mitnehmen kann, und das gibt mir die Sicherheit, es alleine bewältigen zu können.
Franz begleitet dich den ganzen Tag. Wie viel arbeitet er wirklich?
Ich würde sagen, Franz arbeitet höchstens etwa 10 Prozent des Tages. Seine eigentliche Arbeit erfolgt in Notsituationen. Sobald er bemerkt, dass es mir nicht gut geht, schaltet er in den Arbeitsmodus.
Wie oft treten solche Notsituationen auf?
Leichtere Notsituationen kommen ein- oder zweimal am Tag vor. Das passiert, wenn beispielsweise mein Stresspegel ansteigt und er zeigt es an.
Wie macht er das?
Er stupst mich an, springt auf mich oder schleckt mich sofort ab – ich merke dann, dass er seine Aufmerksamkeit auf mich gerichtet hat.
Wie erkennt Franz, dass du dich in einer Stresssituation befindest?
Ich habe ihm meine Körpersprache beigebracht. Wenn ich zum Beispiel anfange, meine Beine aneinanderzureiben, unterbricht er das. Oder wenn ich auf meinen Körper trommle oder selbstschädigendes Verhalten zeige, reagiert er sofort und signalisiert: Hör auf damit!
[in diesem Moment springt der Hund auf Johannas Stuhl und stupst sie spielerisch an].
Du meinst so wie jetzt gerade?
Genau, du siehst, er möchte auf eine ziemlich aufdringliche Art meine Aufmerksamkeit gewinnen und mich ablenken (lacht).
Also fordert er deine Aufmerksamkeit ein?
Ja, genau. Es ist so, als würde er sagen: Streichel mich jetzt und hör‘ auf, an dir herumzuzupfen. Konzentriere dich auf mich. Das hilft mir, mich selbst zu beruhigen.
Scheint ja eine ausgewogene Beziehung zwischen euch zu sein. Du gibst ihm Aufmerksamkeit und Zuneigung und er ist in schlechten Momenten für dich da.
Was ich ebenfalls wichtig finde, ist, dass er mir von Anfang an gezeigt hat, dass er das tun möchte. Schon als Welpe wollte er in diesen Situationen bei mir sein. Das Training hat dazu beigetragen, ihm mehr Sicherheit und eine klare Richtung zu geben, wie er reagieren kann. Es schafft eine Routine und gibt Franz das nötige Verständnis für mich und mein Verhalten.
Was zählt noch zu Franz‘ Arbeitsaufgaben?
Arbeitssituationen ergeben sich auch wenn wir in Geschäfte gehen. Er begleitet mich und behält mich im Auge. Seine Konzentration liegt dann auf mir. Aber das gilt auch, wenn er seine Assistenzhund-Weste nicht trägt. Er ist immer noch ein Hund, darf Fehler machen und ist keine Maschine. Es darf vorkommen, dass er auch mal in „falschen“ Momenten meine Aufmerksamkeit einfordert, obwohl es mir gut geht. Schließlich ist er zuerst einmal ein Hund und dann ein Hilfsmittel für mich.
Wie oft trägt er denn seine Assistenzhund-Weste im Alltag?
Eigentlich nur dann, wenn ich an Orten bin, wo Hunde normalerweise nicht erlaubt sind.
Zum Beispiel?
Neulich war ich bei einer Universitätsveranstaltung, einem Live-Podcast. Vorab hatte ich angefragt, ob ich meinen Assistenzhund mitbringen kann. In solchen Fällen ziehe ich ihm die Weste an, um deutlich zu machen, dass er nicht einfach ein normaler Hund ist, den ich einschmuggele, sondern dass er mich im Alltag unterstützt und hier berechtigt ist. In solchen Momenten trägt er die Weste. Allerdings wird das von verschiedenen Stellen unterschiedlich gehandhabt. Manche Menschen lassen die Weste öfter an, andere seltener. Ich selbst habe noch nicht den perfekten Mix gefunden, da wir uns noch in der Ausbildung befinden.
Gibt es Orte, an denen du mit Franz nicht hineindarfst?
Grundsätzlich dürfen geprüfte Assistenzhunde überall hin, wo Menschen mit Straßenschuhen ebenfalls zugelassen sind. Franz darf beispielsweise nicht hinter die Theke in einem Geschäft, aber er kann mit mir durch die Regale laufen. Leider haben Assistenzhunde in Ausbildung nicht dieselben Privilegien wie bereits ausgebildete Hunde. Aus diesem Grund muss ich im Voraus anfragen, ob Franz mitkommen darf, da er noch in der Lernphase ist.

Wie überprüft man, ob ein Hund noch in Ausbildung ist oder nicht?
Auf seiner Weste steht „Assistenzhund in Ausbildung“. Es gibt auch ein neues Emblem, das alle geprüften Assistenzhunde erhalten, um den Zugang zu öffentlichen Orten zu ermöglichen.
Was kostet die Ausbildung eines Assistenzhundes?
Die Kosten können stark variieren, abhängig von der Art der Ausbildung. Ich habe mich für die „Selbstausbildung“ entschieden. Das bedeutet, dass ich den Großteil der Ausbildung mit Franz durchführe, aber Unterstützung von einem Trainer oder einer Trainerin erhalte. Die Kosten beinhalten die Anschaffung des Welpen, die Hundeschule, Prüfungsgebühren sowie Lebenskosten wie Versicherung und Futter. Bei uns belaufen sich die Ausbildungskosten auf etwa 7000 Euro. Es gibt jedoch eine Obergrenze von ungefähr 15.000 Euro. Es ist schon eine finanzielle Belastung und man erhält nur wenig Unterstützung in diesem Bereich.
Krankenkassen unterstützen die Anschaffung eines Assistenzhundes momentan nicht. Wie finanzierst du die Ausbildung von Franz?
Die Krankenkasse deckt normalerweise nur die Kosten für Blindenhunde, und das auch nicht immer vollständig. Stiftungen bieten manchmal finanzielle Unterstützung an, aber grundsätzlich liegt die finanzielle Verantwortung bei mir als Hundehalterin. Es gibt keine zentrale Anlaufstelle, die die gesamte Organisation dafür übernimmt.
Wie machst du das mit der Finanzierung?
Ich sammle Spenden und biete als Künstlerin gegen Spenden Tattoos an.
Wie läuft das ab, wenn jemand ein Tattoo von dir haben möchte?
Einfach eine Nachricht schicken und nachfragen (lacht).
Was kostet ein Spenden-Tattoo?
60 Euro. Alle Einnahmen fließen in Franz‘ Ausbildung.
Kann jeder Hund zum Assistenzhund ausgebildet werden und gibt es Rassen, die mehr oder weniger dafür geeignet sind?
Die Eignung eines Hundes hängt in erster Linie von seinem Temperament und seiner Persönlichkeit ab. Es gibt jedoch Qualzuchtmerkmale, die nach der neuen Assistenzhundeverordnung ausschließen, dass ein Hund als Assistenzhund ausgebildet wird. Die Rasse selbst ist nicht ausschlaggebend. Mit Franz habe ich zum Beispiel einen kleinen Hund, da ich aufgrund meiner Erkrankung keinen großen Hund versorgen könnte. Außerdem könnte ich mit einem großen Hund an der Leine Schwierigkeiten haben. Die Größe beeinflusst jedoch nicht seine Qualifikation als Assistenzhund.
Was passiert mit Franz, wenn du dich nicht um ihn kümmern kannst?
Wenn ich aufgrund von Krankheit für längere Zeit nicht für Franz sorgen kann, kümmern sich meine Eltern um ihn. Auch meine Mitbewohnerin unterstützt mich, wenn ich an einem schlechten Tag nicht in der Lage bin, lange Spaziergänge zu machen. Franz wird immer gut versorgt, egal wie es mir geht.
Würdest du anderen Menschen mit chronischen Erkrankungen die Nutzung eines Assistenzhundes empfehlen?
Ich würde es vielen Menschen nahelegen, über die Möglichkeit nachzudenken, da ich damit selbst positive Erfahrungen gemacht habe. Ich finde es jedoch wichtig zu bedenken, dass ein Assistenzhund sichtbar macht, dass man eine Behinderung hat, selbst wenn sie nicht offensichtlich ist. Es wirft in gewisser Weise ein Spotlight auf die Person. Dennoch hat Franz mein Leben ungemein bereichert und ich kann es empfehlen. Man sollte sich allerdings auch Gedanken darüber machen, ob man sich die Verantwortung für einen Hund und die damit verbundene Arbeit leisten kann.
Anmerkung der Redaktion: Johanna hat bisher 540 Euro an Spenden zusammenbekommen. Wenn du Interesse an einem Spenden-Tattoo hast, kannst du dich mit einer Nachricht auf Instagram bei ihr melden. Wenn du sie einfach finanziell unterstützen möchtest, kannst du ihr eine Spende über Paypal schicken: johanna.a.richter@web.de .

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Autor:innen
Ist in Nürnberg aufgewachsen, brach erfolgreich drei Studiengänge ab und entdeckte ihre Leidenschaft für den Journalismus durch ein Praktikum in einer Musikredaktion. 2019 gründete sie das DIEVERPEILTE-Magazin. Themenschwerpunkte sind Mental Health, Krankheiten, soziale Ungerechtigkeit, Sexualität und Drogen.