“Bitte was?” fragte mich Sofia entsetzt, als ich ihr am Telefon erzählte, dass mein letzter Sex über ein Jahr her ist. Sie könne sich das überhaupt nicht vorstellen, mindestens zweimal im Monat bräuchte sie das schon. Wie ich das denn aushalte, bohrte sie weiter. Nach kurzem Überlegen erzählte ich ihr, dass ich das ein oder andere Trauma in meiner Kindheit erlebt hatte und mir mein letztes Mal besonders unangenehm war. So sehr, dass ich das vergangene Jahr über weder Lust noch Laune hatte, mit jemand anderem ins Bett zu steigen.

Ich war nie jemand, die viel Sex hatte. Auch wenn ich mir manchmal wünsche, ich wäre anders. Für all meine bisherigen Sexpartner hatte ich romantische Gefühle und da ich zudem noch hoffnungslose Romantikerin bin, hat es mich auch nie interessiert mit jemanden, den ich kaum kenne, eine schnelle Nummer zu schieben. Eine Gesellschaft, in der es normal ist, erst miteinander zu schlafen und sich danach erst kennenzulernen, habe ich nie verstanden. Als ich nach Berlin gezogen bin und mitbekommen habe, wie der Großteil der Leute, mit denen ich mich umgab, ein sehr viel lebendigeres Sexleben hat als ich, dachte ich, dass ich das auch brauche – Grass is always greener on the other side. Leider sind unsere Gehirne oft so, dass sie Ideen von anderen aufnehmen und wir irgendwann anfangen zu glauben, dass es unsere eigenen wären.

So zögerte ich nicht lange, als ich das nächste Mal nach einem langen Partywochenende alleine im Bett lag, mir erneut Tinder zu holen. Es dauerte auch nicht lange, bis ich die erste Nachricht von einem Typen bekam. “Humus” nannte ich ihn, weil ich ein Problem damit habe, mir Namen zu merken. Nach ein paar Wochen erklärte ich mich schließlich dazu bereit, ihn zu treffen. Ich hatte so was noch nie gemacht und für den Aufwand, den ich vor dem Date in die Vorbereitungen steckte, würde ich jetzt gerne eine Zeitreise unternehmen und mir einen Ziegelstein ins Gesicht schleudern. Stundenlang habe ich mich im Badezimmer restauriert. Gestriegelt und geputzt, bis ich halbwegs zufrieden war mit der Person, die mir aus dem Spiegel entgegen starrte. Um nicht mit leeren Händen da zu stehen, kaufte ich noch eine Flasche von meinem Lieblingstropfen, einen portugiesischen Weißwein von Aldi. Nervös, neugierig und auch ein bisschen ängstlich saß ich so also in der Tram Richtung Abenteuer. “Sagst du mir noch einmal ab, dann muss ich dich wohl umbringen.” Was als Witz gemeint war, hätte mich eigentlich sofort umkehren lassen müssen. Aber ich wollte doch so sehr wie alle anderen sein. Ja, vermutlich dachte ich sogar, dass mein Selbstwert davon abhängt, wie viele Sexpartner ich habe.

Als Humus mir die Tür öffnete, wanderte mein Blick zuerst zu seinen Socken. Zwei verschiedene. Die eine in blau mit weißen Streifen und die andere rot mit einem Loch. Nicht, dass ich nicht auch an Sockenarmut leide und hin und wieder genau so die wildesten Kombinationen kreiere. Aber da er sich anscheinend einen Scheiß dafür interessierte, wie er aussah, kam ich mir plötzlich schrecklich doof unter all der Schminke und den geglätteten Haaren vor. “Oh, du hast Wein mitgenommen? Weiß oder Rot?” fragte er mich, während ich mich von meiner Jacke und Stiefeln entledigte. Stolz präsentierte ich ihm mein Mitbringsel, doch er verzog nur das Gesicht und meinte trocken, dass er Weißwein hasst. Aber ich könne ihn ja alleine trinken.

Wir gingen direkt in sein Zimmer, welches natürlich auch nicht zusammengeräumt war. Auch ich bin eine Chaotin, doch die Person, die ich mir in meiner Fantasie vorgestellt hatte, wollte mich beeindrucken und hat sich um mich bemüht. Der Mensch, der vor mir stand, hatte nichts dergleichen geplant. So saß ich nun da. Meinen Hintern hatte ich ganz klassisch zwei Zentimeter auf der äußersten Kante des Bettes geparkt. Er reichte mir ein Glas und ich begann alleine meinen Wein zu kippen. Wir unterhielten uns ein wenig über die Wohnungssituation in Berlin, da er umziehen musste und es dauerte nicht lange, da waren seine Hände auch schon überall auf meinem Körper. Ich versuchte ihm elegant auszuweichen, was sich in dem kleinen Zimmer jedoch schwieriger als erwartet erwies. Was genau ausschlaggebend dafür war, dass ich mich auf einmal irrsinnig unwohl fühlte, weiß ich nicht mehr. Ich kann mich nur noch daran erinnern, dass ich die Situation so schnell wie möglich verlassen und Humus zum Abschied mein Glas Wein ins Gesicht schütten wollte.

Als er mir dann auch noch stolz erzählte, dass er „halt einfach ein Arschloch ist“ aufgrund dessen, dass ihn seine letzte Beziehung sehr verletzt hat, hatte ich genug gehört. Ich nahm all meinen Mut zusammen, packte meine Tasche und sagte ihm, dass ich gehen würde, weil wir nicht auf derselben Wellenlänge seien. Er zog mich jedoch zurück ins Bett und fragte mich mit einem schiefen Lächeln, ob ich denn keinen Spaß verstehe. Als ich wiederholt den Weg zur Tür in Angriff nehmen wollte, packte er mich und zog mich wieder aufs Bett. “Hast du denn keinen Humor? Ich dachte, wir haben hier ein bisschen Spaß?” Ich weiß, ich hätte gehen können, doch in diesem Moment fühlte ich mich verpflichtet zu bleiben. Ich war ja auch aus freien Stücken hierher gekommen und ganz sicher nicht nur zum Händchen halten –dachte ich zumindest. Also ließ ich es über mich ergehen und hoffte mit jeder Sekunde, dass es schnell vorbei ist.

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Fotos: Leona B. Adjaye

Der Abend endete damit, dass ich das erste Mal in Berlin zu McDonalds ging. Ich kaufte mir kleine Pommes mit Ketchup und in der Tram fingen dann auch schon die ersten Tränen an zu kullern. Ein Typ, zwei Reihen neben mir besaß auch noch die Dreistigkeit, mich zu fragen, ob ich nicht Lust hätte, mit ihm auf einen Kaffee zu gehen. Ich war wütend und traurig zugleich, dass ich Humus ein Stück von mir gegeben hatte, dass ich lieber für mich behalten hätte. Warum? Weil ich mich verpflichtet gefühlt habe und Angst vor den Konsequenzen hatte.

Ich bereue es nicht, diese Erfahrung gemacht zu haben. Ganz im Gegenteil. Ich habe das Gefühl, dass ich das erleben musste, um mich wieder daran zu erinnern, dass es vollkommen egal ist, mit wie vielen Menschen man schläft. Die Anzahl der Partner im Bett hat nichts damit zu tun, wie begehrenswert oder geliebt man ist. Denn deine Selbstliebe ist viel wichtiger als die Bestätigung von außen. Leider vergisst man das viel zu oft. Natürlich ist es gleichermaßen ok, mehrere Sexpartner zu haben. You do you. Wir und damit möchte ich alle Geschlechter miteinbeziehen, müssen uns jedoch darüber bewusst werden, dass wir niemandem Sex schuldig sind. Du bist nicht verpflichtet, egal ob in einer Beziehung oder mit jemandem, den du gerade erst kennengelernt hast, zu schlafen, wenn du dich damit unwohl fühlst. Wir müssen aufhören, ein solches Verhalten als “normal” oder “ok” zu bewerten. Das ist es nämlich nicht!

Hab Sex so oft du willst. Wichtig ist, dass du ihn hast, weil du es wirklich willst und mit jemandem der dich respektiert. Solange deine Entscheidungen von einem Platz aus Liebe und Mitgefühl kommen und du damit niemand Anderen verletzt, vor allem dich selbst, ist es komplett dir überlassen, welche Art und Weise du zu leben wählst. Und wenn man hungrig ist, kann man sich ja auch immer noch selbst was zum Essen machen 😉 Du bist es wert, du wirst geliebt und du bist genug.

Kuss,
deine Verpeilte.

Dieser Text erschien zuerst auf dieverpeilte.

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War bis April 2022 Redakteurin bei DIEVERPEILTE. Hat Information, Medien und Kommunikation mit der Vertiefung Journalistik in Österreich studiert. Ihre Themenschwerpunkte sind Gesellschaftpolitik und feministische Themen.

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