Eigentlich habe ich gedacht, dass ich meinen ersten Artikel über irgendeinen brisanten Konflikt im Nahen Osten schreiben werde, aber so sollte es wohl nicht sein.

Während einer globalen “Grippewelle” steckte ich in Goa fest und zu Hause gibt es Prügeleien um Klopapier. Pro Tag kriege ich mittlerweile acht sorgenerfüllte Nachrichten von Freunden und Familie, Fragen über die aktuelle Lage in Indien und, dass ich doch verrückt wäre, nicht wieder zukommen. Warum sollte ich denn Ausgangssperre und Arbeitslosigkeit bis mindestens Mitte April gegen Sonne und Strand tauschen? Aber zunächst fange ich von vorne an.

Am 12. Januar kam ich in Goa an, bei 35 Grad, wolkenloser Himmel und Sonnenschein. Goa ist der kleinste Staat in Indien und befindet sich an der Westküste. Bekannt ist dieser Ort für die blühende Hippiekultur und Acid-Strand-Partys. Zudem Zeitpunkt waren gerade mal 1000 Menschen mit Corona in China infiziert und es gab noch keine Toten. Wenn man morgens vor dem Frühstück schon den ersten Joint in die Hand gedrückt bekommt, hört man relativ schnell auf die deutschen Nachrichten zu lesen, geschweige denn sich Gedanken um den Rest der Welt zumachen. Ich war wie in einer isolierten Blase voll mit positiven Vibes. Nach einem Monat, vielleicht waren es auch zwei, traf ich eine Deutsche aus Berlin, die mich erstmals aufgeklärt hat, dass der Virus auch nach Deutschland gekommen ist und, dass alle gerade durchdrehen. Das Klopapier-Problem konnte sie mir allerdings nicht erklären. Das blieb allerdings vorerst das einzige Update.

Als es jedoch die ersten Toten gab, in Italien die Lage immer schlimmer wurde und die ersten Flughäfen schlossen, fing ich an mir Sorgen zu machen, wie ich eigentlich zurückkommen soll, wenn das so weiter geht. Mein Flug wurde kurz darauf hin auch gecancelt und die ersten buchten direkte Flüge zurück in die Heimat, um schnellstmöglich zu verschwinden. Dies hatte zur Folge, dass es in unserem Ort auf einmal wie ausgestorben war, was allerdings nach den ganzen Psytrance-Festivals recht angenehm war.

Als die Kellner anfingen, in meinem Lieblingsrestaurant Masken zu tragen, musste ich mich anstrengen keine Witze darüber zu machen. In ganz Indien leben über eine Milliarde Menschen und es sind noch nicht Mal 300 davon infiziert (Stand: 22.3.2020). Mir ist durchaus bewusst, dass die Dunkelziffer deutlich höher sein könnte. Wiederum gibt es bis jetzt keine Fälle in Goa. Die Quarantäneräume der umliegenden Krankenhäuser sind leer und keiner kann mehr nach Goa einreisen, weder mit einem Flugzeug noch mit einem Auto, Zug, etc.

Als es dann hieß, in ganz Indien soll es für vierzehn Stunden eine Ausgangssperre geben und die Regierung verhängte zudem auch ein Flugverbot, ließ ich mich doch von dem Stress der anderen vereinnahmen. Am Tag des Lockdowns war ich wiederum sehr entspannt, fing an diesen Artikel zuschreiben und beendete diesen mit den Worten eines Beduinen:

“Heute ist heute. Morgen ist morgen. Und mach dir keine Sorgen um Dinge, die du eh nicht ändern kannst.”

Doch die Hoffnung, dass am nächsten Tag alles wieder normal sein wird, löste sich am Abend in Luft auf, als die Regierung beschloss, die Quarantäne auf drei Tage auszuweiten. Wir hatten natürlich keine Vorräte eingekauft, weil wir davon ausgingen, dass alles wieder aufhaben wird. Am nächsten Tag mussten wir uns also aufs Food-Hunting begeben. Trotz Ausgangssperre und Polizisten mit Bambusstöcken schnappten wir uns den Scooter und suchten nach geöffneten Shops. Wir fanden zum Glück einen Laden, der Gemüse verkaufte, wobei wir uns beeilen mussten, da die Polizei jederzeit vorbeifahren konnte. Ein weiteres Problem war, dass sich eine Wunde an meinem Fuß stark entzündet hatte und ich nicht mehr laufen konnte. Da die Polizeistation auf dem Weg zum Krankenhaus lag, hatten wir Angst, dass die Polizisten erst mit Bambusknüppeln zuschlagen, bevor sie uns fragen, was wir vorhaben. Die Apotheken waren geschlossen, daher mussten wir mit dem arbeiten, was wir hatten. Das waren Jodsalbe, purer Alkohol und drei Kompressen. Ich glaube, ich habe vorher noch nie so laut aufgrund von körperlichen Schmerzen geschrien. Dabei habe ich mir ein Monat zuvor den Schädel tätowieren lassen.

Natürlich blieb es nicht bei den drei Tagen und Indiens Regierung dehnte die Ausgangssperre auf drei Wochen aus. Als sich die Situation mit dem Essen nicht besserte und meine Füße anschwollen, meldeten wir uns bei dem Rückholprogramm an, welches Deutsche zurück in die Heimat bringt. Um 12:30 Uhr des achten Tages kam plötzlich eine Email vom Auswärtigen Amt, mit den Worten: „Begeben sie sich sofort zur Starco Junction, dort werden sie abgeholt und um 5.30 Uhr geht der Flieger nach Frankfurt.“ Ohne, dass ich mich von meinen Freunden verabschieden konnte, mussten wir uns auf den Weg machen. Ich hatte sehr gemischte Gefühle. Einerseits war ich froh, dass ich in meine Heimat konnte, andererseits hatte ich das Gefühl, als ob man mich aus meinem Zuhause rausreißen würde. Als wir dann mit einem klimatisierten Minireisebus abgeholt wurden, ekelte ich mich vor mir selbst und meinen Privilegien, die ich aufgrund eines lächerlichen Reisepasses hatte. Nicht jeder kann einfach so nach Europa fliegen, nicht jeder wird von seiner Regierung mit einem direkt Flug abgeholt und vor allem: Nicht jeder hat das nötige Geld für eine medizinische Versorgung.

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Autorin: Emily Reischer

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