Ich bin in diesem Hostel angekommen. In Ägypten*. Es ist meine erste Nacht. Im Eingangsbereich fällt mir dieser Typ auf. Ich muss voll lange auf mein Zimmer warten. Also gehe ich zu ihm und dem Mädel, das neben ihm sitzt. Ich will herausfinden, wie man sich dort die Zeit vertreibt. Der Typ, den ich Fynn* nenne, gibt mir Tipps und damit ist unser Gespräch vorerst beendet.
Es ist Abend. Mir fällt auf, dass er wieder an dem gleichen Platz sitzt, als ich von meinem Ausflug zurückkomme. Wieder mit dem Mädel und einem Bier in der Hand. Ich schnappe ich mir auch ein Bier und setze mich wieder zu ihm. Da ist diese kleine versteckte Dachterrasse mit Ausblick auf den Hafen. Dort gehen wir hin. Zu zweit. Wir reden die ganze Zeit. Dabei denke ich nur an diese eine Sache:
Wann küsst er mich endlich?
Doch bevor es dazu kommt, eröffnet er mir seine Idee, in einen Club zu fahren. Zuerst will ich mitkommen. Ich bin auch schon fertig, doch als ich erfahre, dass der Club ab 21 Jahren ist, ändert sich mein Plan. Ich habe keine Lust, durch die halbe Stadt zu fahren, um dann vielleicht nicht rein zu kommen. Ich bin erst 18. Also gehe ich allein zurück zum Hostel, während Fynn sich mit einem anderen Typen ein Uber zum Club teilt. Nun bin ich angetrunken und in Partystimmung. Erneut gehe ich auf die Dachterrasse, die zu meiner Überraschung voll mit Leuten ist.
Sind die schon die ganze Zeit da?
Zusammen mit den anderen Gästen fahre ich in einen Club in der Hafengegend und habe eine mega geile Nacht. Eine Story für sich. Am nächsten Tag sind alle verkatert und sitzen auf der Veranda in der prallen Sonne. 35 Grad im Oktober. Richtig ätzend.
Fynn und ich haben keine Lust, den Tag zu verschwenden. Deshalb entscheiden wir uns für einen Ausflug zu den Felsen. Bis wir uns aufraffen, ist es Nachmittag. Doch Bewegung ist ja bekanntlich das beste Mittel gegen einen Brummschädel. Danach gehen wir wieder zurück ins Hostel, duschen und sitzen erneut auf der Dachterrasse.
Gegenüber ist dieses verlassene Gebäude. Wir haben schon darüber geredet, dass wir dort reinklettern werden. An diesem Abend beschließen wir, es zu machen und springen durch das zersplitterte Fenster. Auf dem Boden liegt überall Glas. Das Geräusch beim Hineinspringen ist so laut, dass wir Panik haben, jemand könnte uns hören.
Wir haben Glück, niemand bekommt etwas mit.
Im Inneren stehen noch Möbel. Viele Sachen, die man normalerweise in einer bewohnten Wohnung findet, nur hier ist alles alt und verstaubt. Im Treppenhaus sind überall dünne Drähte gesponnen. Irgendwann sind wir ganz oben. Aufgeregt und außer Atem.
Dort küsst er mich.
Danach wollen wir wieder zurück ins Hostel. Doch die Angst, dass uns jemand sehen könnte, wenn wir durch das Fenster gehen, treibt uns nach unten. In den Keller. Die Hoffnung, das Haus unbemerkt zu verlassen dominiert. Die Ausgänge sind mit alten Brettern zugenagelt. Also springen wir erneut durch das Fenster im Erdgeschoss.
Dass zwischen uns was lief, sieht ein Blinder.
Am nächsten Tag will ich weiter nach Hurghada. Dort habe ich ein Airbnb gemietet. Nachdem wir im Hostel ankommen, legt sich Fynn schlafen. Ich gehe nochmal auf die Dachterrasse. Unterhalte mich mit einem Hostel-Gast. Er reist am nächsten Tag zufällig zurück nach Gizeh weil er dort studiert. Er bietet mir an, mich mitzunehmen und mich auf dem Weg in Hurghada rauszulassen.
Nachts klopft Fynn an meine Tür. Er fragt, ob er reinkommen kann und verbringt die Nacht bei mir.
[Jetzt grinst meine Freundin wie ein Honigkuchenpferd]
Es ist morgens und wir stehen frisch geduscht voreinander. Das ist sie, diese Situationen, der Reisende eben manchmal ausgesetzt sind:
Wir müssen uns jetzt verabschieden. Aber eigentlich wollen wir das gar nicht.
Doch dann spricht Fynn laut aus, was ich mir insgeheim wünsche: »Also wenn das für dich okay ist, würde ich mitkommen« »Jaaaaa, geil! Komm mit«, denke ich.
Innerlich springe ich in die Luft.
Der Typ aus dem Hostel nimmt uns beide in seinem Auto mit und lässt uns in Hurghada raus. Nach der Schlüsselübergabe im Airbnb stelle ich meine Sachen im Zimmer ab. Danach laufen wir direkt zum Strand und fahren mit dem Bus zurück. Fynn will weiter nach Alexandria.
Jetzt müssen wir uns gleich verabschieden.
Ich wohne in einem Vorort und muss in der Stadt noch Geld abheben. Die Haltestelle naht und als das Ziel erreicht ist, bleibt nur Zeit für eine flüchtige Umarmung. In Ägypten ist es fast nötig aus dem Bus zu springen, um auszusteigen. Aber wir haben Nummern ausgetauscht. Also er hat meine. Auf dem Nachhauseweg geht das Kopfkino los.
Ich hoffe, Fynn schreibt mir. Wann werde ich ihn wiedersehen?
Ich weiß noch, dass ich das damals in mein Reisejournal geschrieben habe. Neulich hatte ich das sogar in der Hand.
Und was steht da drin?, frage ich meine Freundin.
So was wie: Wird er mir schreiben? Wenn ja, wann? Ich klinge wie eine 11-Jährige!
Meine Freundin redet gerne ohne Punkt und Komma, weshalb wir ein wenig vorspulen müssen. Fynn meldete sich! Kurz darauf trafen sich die beiden erneut in Hurghada. Die folgenden zwei Wochen reisten sie zusammen in Ägypten. Dort machten sie Ausflüge in die Wüsten und Städte des Landes. Nun befinden sie sich in der Felsenstadt Gizeh.
Fynn und ich fetzten uns. Und zwar so richtig.
Warum?
Er wollte mit mir nach Deutschland kommen.
Und was war das Problem?
Ich hatte Angst, dass ihm mein Zuhause nicht gefällt. Ich meine, wenn dir ein Typ sagt, dass Schweden scheiße ist und dann nach Ägypten fliegt, dann..
Denkst du nicht, dass er Deutschland mögen würde?
Ich hatte die Befürchtung, dass er sich am Ende nicht wohlfühlen könnte. Vermutlich vermittelte ich ihm dadurch das Gefühl, dass ich ihn nicht will.
Und wie ging es weiter?
Am nächsten Tag fuhren wir in die Altstadt von Gizeh. Wir machten eine Wanderung und verbrachten den ganzen Tag in der prallen Sonne. Eine Stunde sind wir Treppen gestiegen. Eine fucking Stunde. Als wir oben angekommen waren, nahmen wir in einem Café Platz und holten etwas zu Essen. Er schaute diese riesige Felswand an und rauchte eine Zigarette. Kurz darauf drehte er sich zu mir um und ich höre seine Worte.
»Ich glaube, wir passen nicht zusammen.«
Ich war so baff. Sein Entschluss kam aus dem Nichts. Dachte ich. So überraschend, dass ich nicht wusste, was ich sagen sollte. Nicht mal, was ich in dem Moment fühlte. Daher habe ich meine Sachen genommen, das heißt, ich nahm meine Schuhe in die Hand – weil ich barfuß gelaufen bin – und ging einfach weg. Aber Fynn hatte noch meine ganzen anderen Sachen, weshalb ich später doch noch auf ihn warten musste, um sie zurückzubekommen. Übel.
Als er zu mir kam, drückte er mir mein Zeug in die Hand und ging weiter. In diesem Moment wurde ich wütend und fing an, ihn anzuschreien. Das entging auch den Leuten um uns herum nicht. Die haben richtig komisch geguckt.
Ein paar Minuten nachdem wir uns getrennt hatten, trat ich in einen Holzsplitter. Ich hatte solche Schmerzen, dass ich nicht mehr gehen konnte.
Er ist einfach weiter gelaufen.
Eine Frau hat mir dann geholfen und zog mir den Splitter aus dem Fuß. Eigentlich hatte ich keine Lust mehr auf Unternehmung und wollte zurück zum Hostel, aber man soll einen schlechten Tag nie schlecht enden lassen. Also habe ich mir noch den Sonnenuntergang von einem Felsvorsprung angeschaut. Neben mir saßen ein paar Beduinen. Das war richtig schön an dem Tag. Die Beduinen fragten mich, ob ich einen Tee mit ihnen trinken möchte. Ich nahm ihr Angebot an und machte mit ihnen eine kleine Nachtwanderung durch die dunklen Schluchten, um Gizeh by Night zu sehen. Dies ist ein Event, bei dem die vermeintliche Schatzkammer mit Kerzen beleuchtet ist und klassische Livemusik gespielt wird.
Wir unterhielten uns und einer der Beduinen stellte sich neben mich. »Alles gut bei dir?«, fragte er.
»Ja, ja«, nickte ich.
»Du hast Traurigkeit in deinen Augen.«
Darauf schüttelte ich den Kopf und redete los.
»Da war dieser Typ.. blabla.. Und dann hat er mich sitzen gelassen.. blablabla..« Was er dann zu mir sagte, wurde zu einem meiner Lebensmottos.
»Mach dir keine Sorgen über Dinge, die du nicht ändern kannst. Heute ist heute. Morgen ist morgen.«
Und er hat so recht. In dem Moment bringt es einfach nichts, traurig zu sein, weil man es nicht ändern kann. Heute ist heute, morgen ist morgen. Neuer Anfang, neues Glück und so.
Und dann hat es einfach in der Wüste geregnet.
Ich fuhr zurück zum Hostel. Noch während ich im Bus sitze, begegnet mir Fynn, doch er konnte mich nicht sehen. Ich habe dann meine Sachen gepackt und bin in ein anderes Hostel. Das war das letzte Mal, dass wir uns gesehen haben. Fortsetzung folgt.
* Name und Ort geändert.
Dieser Text erschien zuerst auf DIEVERPEILTE.
Illustration: Franziska Herbert
Lektorat: SEENO KAMI

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Autor:innen
Ist in Nürnberg aufgewachsen, brach erfolgreich drei Studiengänge ab und entdeckte ihre Leidenschaft für den Journalismus durch ein Praktikum in einer Musikredaktion. 2019 gründete sie das DIEVERPEILTE-Magazin. Themenschwerpunkte sind Mental Health, Krankheiten, soziale Ungerechtigkeit, Sexualität und Drogen.