In einem kleinen Dorf namens Damal, in der Provinz Ardahan im Nordosten der Türkei, ungefähr vier Autostunden von Georgien, wächst Sevim Özçelik auf. 1988, als sie 20 Jahre ist, wandert sie nach Deutschland aus, um mit ihrem Mann Cemil, der mit ihr aufgewachsen ist, seinen Eltern und Geschwistern zusammen zu leben. Rund 2.891 Menschen leben laut Wikipedia auf den 160 Quadratkilometern – ein großer Unterschied zum deutschen Stadtleben. Denn das Leben in Nordrhein-Westfalen ist voller Herausforderungen für Sevim. Durch fehlende Sprachkenntnisse, die Erfahrungen des Fremdseins und traditionellen Rollenbildern entwickelt sich eine Abhängigkeit zum Ehepartner.

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Die Idee für die Fotostrecke entstand im April 2020. Die Fotografin Aslı Özcelik beginnt aufgrund der Konfrontation in verschiedenen Familienangelegenheiten die Vergangenheit ihrer Mutter Sevim aufzuarbeiten. „Es geht mir darum, zu verstehen, wie sich meine Eltern kennengelernt haben und was es für meine Mutter bedeutete, nach Deutschland zu kommen“, erzählt sie. Grund dafür ist die Verschuldung des Vaters, die so weit geht, dass die Eltern die Wohnung verlassen müssen. Sevim sieht sich gezwungen, unter schwierigen Bedingungen ein neues Leben aufzubauen. „In einem Land, dessen Sprache sie nie fließend gelernt hat“, ergänzt Aslı. Geprägt von alten Rollenbildern, übernahm sie neben der Erziehung der zwei Kinder und mehreren Jobs alle Aufgaben des Haushaltes und hatte selten Zeit für sich selbst. Themen, mit denen sich Asli vor allem seit der häuslichen Trennung der Eltern im April 2020 auseinandersetzt. Seit Anfang 2021 ist ihr Vater inhaftiert, was viele Veränderungen mit sich bringt.

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Ahmet Özçelik und Ehemann Binali Çakmak, 1992

Dafür besuchte die Fotografin im vergangenen Jahr immer wieder ihre Mutter. Nachdem Sevim im April 2020 ihre Wohnung verlassen muss, wohnt sie abwechselnd bei Aslı und ihrem Bruder. Zusammen gehen Aslı und sie das Familienarchiv durch und die Fotografin beginnt, ein tieferes Verständnis für ihre Mutter aufzubauen. Im Juni finden sie eine neue Wohnung für die Mutter und Aslı besucht nicht nur sie, sondern auch ihre Großeltern väterlicherseits, – die ebenfalls in Deutschland leben und einen großen Einfluss auf ihre Schwiegertochter Sevim haben – regelmäßig und beginnt, ihr Leben zu dokumentieren.

Dabei folgt Aslı Özcelik keiner Route, sondern einer Reihe von Gesprächen mit ihrer Mutter Sevim über ihre Heimatstadt und Notizen über die gegenwärtige Situation. „Ich möchte auf diese Weise weiterarbeiten und so viele Bilder wie möglich sammeln, um aus dem Projekt ein Buch zu machen“, sagt Aslı über ihre Arbeit. Während die Familie von damals erzählt, fotografierte Aslı – so entstand ihre Fotostrecke „Sihhatler olsun“, die mehr weckt als Mitleid und die bis dahin üblichen Assoziationen. „Ich erinnere mich noch ganz klar an das erste Foto, auf das ich richtig stolz war. Das war bei meinem ersten und einzigen Besuch in der Heimat meiner Eltern. Damals war ich elf Jahre alt. Wir grillten frischen Fisch.“

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Sevim Özçelik, Damal, 1992.
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Sevim Özçelik mit ihrem Ehemann Cemil Özçelik, 1987.
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Sevim Özçelik und Aslı Özçelik, 2020
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Alle Fotografien © Aslı Özcelik „Sıhhatler olsun“ 2020/21
www.aslioezcelik.com

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Ist in Nürnberg aufgewachsen, brach erfolgreich drei Studiengänge ab und entdeckte ihre Leidenschaft für den Journalismus durch ein Praktikum in einer Musikredaktion. 2019 gründete sie das DIEVERPEILTE-Magazin. Themenschwerpunkte sind Mental Health, Krankheiten, soziale Ungerechtigkeit, Sexualität und Drogen.

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