Mein erstes Rammstein-Album war Mutter (2001, Motor Music) und das klatschte damals stark in meine Pubertät. Zu dem Zeitpunkt hatte ich ein paar Jahre Gitarre-Unterricht auf dem Buckel und natürlich würde nichts meinen Jazz-Lehrer (und meine Eltern) mehr belasten als meine aufkeimende Liebe zu harter Musik. Dazu gruselige Kinderstimmen und sexy Anspielungen auf Schneewitchen.
Irgendwann damals habe ich bei meinem Freund Paul übernachtet. Der wohnte quasi im Wald. Nachts lagen wir in seinem dunklen Zimmer, guckten auf die wiegenden Bäume und vor allem in die schwarze Nacht. Dazu lief „Mutter“. Heute verkläre ich diese Situation zu einem Moment der Erkenntnis. Als hätten mir Rammstein aus den Schatten etwas über das Leben ins Ohr geflüstert. Eine Wahrheit, die ich hoffte, bald zu verstehen.
Der Kern der Diskussion um Rammstein ist schnell erklärt:
Sie machen deutsche Musik. Was heißt das? Sie schreiben deutsche Texte über deutsche Geschichte, drehen deutsche Videos. 2019 erscheint das Musikvideo „Deutschland“, welches als Skandal-Video bekannt wird. Diese Abrechnung mit der deutschen Geschichte regt vor allem die auf, die meinen, dass Rammstein missverständlich seien. Denn sie würden sowohl von Linken als auch von Rechten trotz unterschiedlicher Interpretationsgrundlage gefeiert oder gehasst. Was darf eine Band? Rammstein erfordern scheinbar eine Positionierung.
Wenn man sich für Rammstein interessiert, sollte man ihr Gesamtwerk betrachten. Live-Performances, Videos, Interviews und sonstige Kunst der 1994 gegründeten Berliner Band lassen einen Schluss zu: Sie sind klar antifaschistisch. Immer wieder in der Geschichte der sechs Männer aus der ehemaligen DDR provozieren sie mit rechten oder totalitären Bildwelten und jedes Mal entfacht sich die Debatte im Kleinen um sie und im Großen um die Gesellschaft. Und immer wenn ihnen rechte Tendenzen vorgeworfen wurden, nehmen sie Stellung: „Sie wollen mein Herz am rechten Fleck. Doch sehe ich dann nach unten weg. Da schlägt es links“ („Links 2-3-4“, 2001, Motor Music).
18 Jahre später streiten die Deutschen schon wieder und zwar über das hyperinszenierte Video zum Song „Deutschland“ (2019). Die Frage ist die gleiche: was darf die Band? Und sie reagieren auf die vorgeworfene (un)heimliche Vorliebe für Themen, zu denen Deutschland einen ganz besonderen Bezug der Verantwortung hat: „Wir hassen Nazis!“ sagt Sänger Lindemann. Es kommt wiederholt zu einer Schein-Debatte: Die Frage nach der Gesinnung Rammsteins lenkt ab von der Frage nach der Gesinnung der Deutschen. Rammstein fragen: Wie rechts oder links ist Deutschland?
„Deutschland, meine Liebe kann ich dir nicht geben.“ Wie soll man auch ein Land lieben, dass Dinge zuließ, die in Rammstein-Veröffentlichungen nur angeschnitten werden? Die Realität zwingt die Ästhetik der oscarreifen Inszenierung in die Knie. Logisch, dass man dann lieber über eine Band redet als über Nationalstolz und der Umgang mit einer unvergleichbaren Geschichte.
Fakt ist, dass Rammstein auch diejenigen verletzen, die sie sich nicht als Ziel, sondern als Inspiration nahmen: Der israelische Botschafter sowie der Zentralrat der Juden in Deutschland warfen der Band vor, das Leid der jüdischen Menschen in ihrem Video zu verharmlosen und für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Diese Stimmen sind lebenswichtig in der Debatte um unsere Geschichte, gehen aber unter im Mahlwerk der Scheindebatte. Wenn die Aufmerksamkeit abklingt, resetted der Prozess – auf in die nächste Runde. Wie lange das so weiter geht? Der ewige Zyklus aus Provokation, Aufregung und Rechtfertigung muss anstrengend sein.
Über Rammstein zu sprechen bedeutet politisch zu sprechen. Darauf muss man keine Lust haben. Dennoch muss man die Möglichkeit zum Streit wahrnehmen, um aus ihm etwas lernen zu können. Über die Sicht der anderen und somit über die eigene. Ich hoffe, dass es immer Bands geben wird, die Verantwortung wahrnehmen und internationale Strahlkraft haben. Rammstein sind seit Jahren ein erfolgreiches deutsches Kultur-Exportgut. Darauf können wir stolz sein oder eben nicht.
Collage: Jens Peters

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