„Sieben Tote bei nigerianischem Flugzeugabsturz“ lese ich die Schlagzeile auf meinem Bildschirm. Gleichzeitig erreicht mich eine Nachricht über sechs Tote in einem mexikanischen Flugunglück am selben Tag. Nach dem Absturz im Januar über Jakarta mit 62 Todesfällen schon der dritte schwerwiegende Unfall, der dieses Jahr in den Medien ist. Ich sitze an unserem Küchentisch. Meine Mitbewohnerin blickt mir über die Schulter und verzieht das Gesicht. Wie so viele andere leidet sie unter Flugangst. In meiner Erinnerung regen sich Bilder von unserer letzten gemeinsamen Reise: Wir nebeneinander in einer zugegeben etwas klapprigen Maschine — ich halte ihre zitternde Hand, während sich in ihrem Kopf Todesszenarien abspielen. Bilder wie jene, die sie nun auf meinem Laptop sieht, helfen leider nicht, ihr in solchen Situationen die Panik aus den Augen zu nehmen.

Doch ist das angemessen? Sind Flugzeugabstürze etwas, vor dem man sich fürchten sollte? Ist es sinnvoll, bestimmte Airlines zu meiden, die kürzlich von tödlichen Abstürzen betroffen waren? Ich erinnere mich dunkel zurück an das Jahr 2014, in dem gleich zwei Maschinen der Malaysia Airlines verunglückten — beide Male über 200 Tote — und Social Media Posts von Menschen, die dementierten, niemals mit dieser Airline zu fliegen. Ich erinnere mich ebenfalls dunkel zurück an das Jahr 2019, in dem ich in meiner Bachelorarbeit über genau diese Fragen geschrieben habe.

Wieso ich das getan habe, ist hauptsächlich dem Zufall zuzuschreiben. Ich suchte ein Thema und ein dazugehöriges Datenset für meine Arbeit und fand beides. Denn jeder Zwischenfall bei einem Flug, egal ob Passagier-, Militär-, Cargo- oder Privatflug, wird in der Datenbank des Aviation Safety Networks eingetragen und öffentlich zugänglich gemacht.

Also habe ich in mehr oder weniger Handarbeit alle Zwischenfälle von kommerziellen Airlines zwischen 1985 und 2018 herausgenommen und statistisch analysiert. Um ein wenig genauer zu sein, habe ich zuerst Korrelationsanalysen von Vorfällen in zwei Zeitabschnitten durchgeführt und schließlich mehrere multiple Regressionsmodelle erstellt. Hierbei habe ich zwischen Sicherheitsvorfällen und Unfällen unterschieden. Unfälle bezeichnen Ereignisse, bei dem Menschen an Bord zu Tode kamen, Sicherheitsvorfälle schließen andere Ereignisse mit ein, die die Sicherheit des Fluges betrafen. Bei diesen handelte es sich um Notlandungen, Fehlstarte und Ähnliches.

Was kam nun dabei heraus? Erst mal ist festzuhalten, dass es über den gesamten Zeitraum der Untersuchung 830 Sicherheitsvorfälle gab und 170 tödliche Unfälle. Auf 83 Jahre und Zillionen Flüge gesehen (allein 46,8 Millionen in 2019) ist das tatsächlich nicht viel. Um diese Häufigkeit in Relation zu setzen: Es ist über 80 Mal wahrscheinlicher, in einem Autounfall zu sterben als in einem Flugzeug.

In meiner Analyse unterschieden sich nun die Ergebnisse nach Ereignistyp. Bei Sicherheitsvorfällen konnte ein statistisch signifikanter Zusammenhang zwischen der früheren und späteren Häufigkeit der Ereignisse festgestellt werden. Grob gesagt bedeutet das, dass eine Fluglinie, die in der Vergangenheit des Öfteren Sicherheitsvorfälle verzeichnen musste, auch für die Zukunft eine höhere Wahrscheinlichkeit hat, dass dies wieder passieren könnte. Außerdem ergab sich, dass Fluglinien aus Ländern mit einer schwächeren politischen Stabilität häufiger solche Zwischenfälle unterlaufen. Das ist gut zu wissen, soll aber auch nicht stärker beunruhigen. Wie gesagt handelt es sich hierbei um meist ungefährliche Vorkommnisse, die immer noch unglaublich selten sind.

Im Gegensatz dazu konnte ein solcher Zusammenhang bei tödlichen Unfällen nicht hergestellt werden. Niemand muss sich also in einem Flieger einer unfallbelasteten Airline größere Sorgen machen. Wenn man genauer darüber nachdenkt, ist das gar nicht mal so überraschend. Dramatische Flugzeugabstürze sind verdammt selten. Und das macht es auch verdammt schwer, einen Faktor wie die Fluglinie zu finden, um sie vorauszusagen. Die Ursachen sind jedes Mal andere beziehungsweise müssen meistens mehrere Probleme zusammenkommen, damit es überhaupt zu einem Absturz kommt. Fliegen ist mittlerweile so sicher, dass man einfach ein Riesenpech haben muss, um in so eine Situation zu geraten.

Genau das habe ich meiner Mitbewohnerin damals im Flieger auch gesagt. Geholfen hat es leider wenig. Flugangst zählt als häufigste Phobie, obwohl Fliegen zu den seltensten Todesursachen gehört. (Tatsächlich ist es 20 Mal wahrscheinlicher, von einem Sonnenstich zu sterben) Aber wieso denn eigentlich? Nun ja, zu einem großen Teil liegt das an den Medien. Im Vergleich zu den Todesfällen ist die Berichterstattung um ein Vielfaches höher als bei anderen Unglücken. Bei Naturkatastrophen beispielsweise sterben auf einen Schlag oft Tausende Menschen. Obwohl darüber ebenfalls berichtet wird, ist die Aufregung meist nach ein paar Tagen vergessen, während Flugzeugabstürze noch Wochen später in den Zeitungen stehen.

Zum anderen sind wir Menschen einfach nicht besonders gut, wenn es darum geht, mit Statistiken umzugehen. Wir können Risiken schlecht einschätzen und selbst wenn, fällt es uns schwer, unser Handeln danach zu richten. Sehr wahrscheinliche Gefahren, wie zum Beispiel die Klimakrise, werden von uns in den Hintergrund gedrängt und kleine Risiken oft überbewertet. Besonders, wenn wir sie unfreiwillig eingehen, sie tödlich enden können und wir keine Kontrolle darüber haben. Der Flugzeugabsturz erreicht hier 3 von 3 Punkten.

Natürlich sind Ängste nichts Rationales und dementsprechend hilft auch die hundertste Statistik oft wenig, um diese Gefühle zu bändigen. Mich zumindest beruhigt es trotzdem, mir solche Zahlen immer wieder vor Augen zu halten. Die Furcht verschwindet dadurch nicht unbedingt, ich weiß dann aber, dass es nur ein Gefühl ist, das von mir ausgeht und keine richtige Gefahr. Somit kann ich die Angst akzeptieren, als Teil meiner imperfekten Menschlichkeit. Dazu gehört nämlich nicht nur das Irren, sondern auch die Angst.

Dieser Text erschien zuerst auf DIEVERPEILTE / Foto: Joana Bayer

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War bis November 2022 Redakteurin bei DIEVERPEILTE. Hat Wirtschafts- und
Sozialwissenschaften in Wien studiert und befindet sich aktuell im
Philosophiestudium. Themenschwerpunkte sind Gesellschaft, Wirtschaft und
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