Foto: Lorena Stiegler

Manchmal reagieren wir in Situationen unseres Lebens nicht so, wie wir es eigentlich möchten. Wir werden laut, wenn wir uns angegriffen fühlen. Ziehen uns zurück, wenn uns andere überlegen vorkommen. Unterdrücken Gefühle, um einen starken Eindruck zu hinterlassen. Dann gibt es noch Situationen, in denen Gefühlsausbrüche nicht ausreichen. Wir konsumieren, um uns glücklicher zu fühlen. Brechen Beziehungen ab, aus Angst, gekränkt zu werden. In dem Glauben, alleine geht es uns besser. Um die Trauer zu verdrängen, stärken wir uns mit Dingen, die wir am wenigsten brauchen. Bestrafen unseren Körper und gefährden somit die Gesundheit. Wir gehen an unsere Grenzen, um beschäftigt zu sein. Betäuben uns mit Substanzen, um Gefühle nicht spüren zu müssen. 

Ich war schon immer impulsiv. Hatte meine Emotionen nicht unter Kontrolle. Lies es an denen aus, wo ich mich traute.  Beziehungen brach ich ab, wie andere ihre Paar Schuhe wechseln. Kaufte Dinge, die ich nicht brauchte. Für einen kurz Moment zauberten sie mir ein Lächeln ins Gesicht. Meist hielt das Gefühl nur wenige Stunden und so musste ich meine Glücksgefühle wieder aufstocken. Stürzte mich in die Schulden. Ich lebte in einer so rosaroten Blase, niemand konnte zu mir durchdringen. So mussten mich meine Freunde und Familie akzeptieren, wie ich bin, denn ändern wollte ich mich nicht. Die, die es nicht taten, gingen. Währenddessen nahm ich fast 30 Kilo zu, weil ich nichts mit mir anzufangen wusste. Zwei Jahre lang lebte ich einen Lifestyle, den man sonst im Fernsehen zu sehen bekommt. Auf dem Sofa sitzend, Laptop auf dem Schoß, unzählige Tabs mit Online-Shops offen. Mehr als fünf warme Mahlzeiten am Tag, die das schlechte Gewissen bekämpfen sollten. Doch eigentlich machten sie nur eines mit mir, mich noch unglücklicher. Ich fühlte mich gegen Ende so unwohl, dass ich kaum noch meine Jogginghose verlies. Geschweige denn meine Wohnung.

Doch allem voraus badete ich in Selbstmitleid. Und das nicht zu wenig. Ich hatte immer Ausreden, für alles. An mir arbeiten wollte ich nicht. Wieso auch, man ist ja so, wie man ist. Wie soll sich das ändern? Auch diesem Trotz heraus, fing ich schon früh an, mein Leid mit Alkohol zu betäuben. Das half nicht wirklich, aber irgendwie konnte ich dadurch so sein, wie ich will. Ohne das mir meine täglichen Grübeleien im Weg standen. Hatte keine Hemmungen mehr und vor allem konnte ich lachen. Im nüchternen Zustand fiel mir das oft nicht leicht. Denn tief in mir, da gab es keine Fröhlichkeit. Ich sah immer nur das Dunkle, das Schlechte in allem und jedem. So versuchte ich, krampfhaft mitzuhalten, wo andere keine Probleme hatten. Tief in mich gekehrt, wenn meine Aufmerksamkeit gefragt war. Ich lebte so in meiner eigenen Welt, dass es nicht nur einmal vorkam, dass ich fast von Fahrrädern, Autos oder Bussen überfahren wurde, weil ich in Gedanken war. Ich war so hässlich zu meinen Freunden, dass es mich wundert, dass ich überhaupt noch welche habe. Und was für wundervolle Freunde ich habe. Menschen, die mir Mut zugesprochen haben, wo keiner war. Die mich zu Dingen gebracht haben, die ich alleine nicht gemacht hätte. Und ohne die, ich jetzt wahrscheinlich auch nicht über meine Geschichte reden würde.

Heute, wenn ich auf meine Vergangenheit zurückblicke und die ganzen Fehler, die ich machte, wird mir eines klar. Egal, was ich tat, um meine Gefühle zu verdrängen, mein Leben wurde nur schlimmer dadurch. Meine Gefühlsausbrüche und Unsicherheit zerstörten Beziehungen zu Menschen, die eine Rolle in meinem Leben spielten. Die heute nicht mehr da sind. Die Fresssucht killte nicht nur meine Figur, sondern auch mein damaliges Selbstwertgefühl. Wie eine graue Maus ging ich unter, suchte verzweifelt nach dem nächsten Stück Käse, dass mich aus meinem Elend rettet. Der Alkohol machte mich zwar lockerer, verwandelte mich aber auch gleichzeitig in eine überhebliche, größenwahnsinnige Person. Sodass es schwer war, mit mir in diesem Zustand zusammen zu sein. Dann, wenn der Sprit richtig kickte, war ich am Boden. Meine Kaufsucht zerstörte meinen Kontostand, später den meiner Familie. Somit auch die härteste Lektion, die ich lernen musste.

Doch so schwerwiegend all diese Abschnitte aus meinem Leben auch waren, sie waren nötig, um zu der zu werden, die ich heute bin. Um der Mensch zu werden, der ich sein will. Die Arbeit liegt zum größten Teil noch vor mir. Aber jetzt, wo ich an der Sonne geleckt habe, ist es anders. Von Tag zu Tag werde ich glücklicher. Zuversichtlicher. Reiner mit mir und meinen Gedanken. Verstehe meine Gefühle und weiß, wo sie drücken. Und das ist auch das Schwierige an der ganzen Sache. Verdrängung hilft uns kurzfristig, Dinge beiseite zu schieben und aufzuschieben. Früher oder später müssen wir in den Spiegel schauen. Annehmen, wer wir sind und was wir tun. Unsere Gefühle verstehen und deuten. Zurück in die Kindheit gehen und herausfinden, woher der Ursprung für all das Leid kommt. Nur dann haben wir eine Chance auf ein sorgenfreies und erfolgreiches Leben.

 

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Ist in Nürnberg aufgewachsen, brach erfolgreich drei Studiengänge ab und entdeckte ihre Leidenschaft für den Journalismus durch ein Praktikum in einer Musikredaktion. 2019 gründete sie das DIEVERPEILTE-Magazin. Themenschwerpunkte sind Mental Health, Krankheiten, soziale Ungerechtigkeit, Sexualität und Drogen.

One Comment on “Nach dem Sturm kommt die Sonne”

  1. Das ist eine sehr gut Selbstreflextion. Und Aufschreiben, was man fühlt und was man denkt das hat Deine Oma schon immer gesagt: hast Du Sorgen, Liebeskummer usw., dann schreibe Dir Deine Gefühle auf Papier und es wird Dir besser gehen. Von daher hast Du Dir die richtige Beschäftigung ausgesucht. Bin stolz auch Dich

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