WARNUNG: Dieser Text enthält Schilderungen von Drogenmissbrauch.
Heimlich wird Tina in den Badezimmern von Berlin gesnifft. Einen besonders guten Ruf hat C nicht. Man redet kaum darüber, aber probiert hat es gefühlt jeder. Oder zumindest irgendeinen Bezug dazu, ob negativ oder positiv.
Ein Gramm davon bekommt man in Berlin für circa sechzig bis achtzig Euro. In Köln für um die hundert Euro. Das weiß ich von N. Der hat erst in Köln gedealt und ist dann, als es brenzlig wurde, nach Berlin abgehauen, um da genauso weiterzumachen.
Momentan läuft ein Verfahren gegen ihn in Köln. In Berlin wurde er noch nicht erwischt, lange wird es aber nicht dauern, so unvorsichtig wie er ist. Soviel würde ich dafür aber niemals springen lassen. Von mir nimmt er dafür dreißig Euro. Er sagt, mehr könnte er mir dafür nicht abnehmen, weil wir so gut befreundet seien.
In Süddeutschland, da wo er es herbekommt oder im Darknet gibt es das sogar schon für zwölf bis sechzehn Euro pro Gramm. Viel davon kommt aus großen Laboren in Tschechien, aber theoretisch könnte man es auch in seiner eigenen Küche herstellen, erzählte er mir mal. Aber seinen Experimenten in der Küche vertraue ich nicht.
Die Beliebtheit der Volksdroge Sachsens nimmt stetig zu. In die Techno-Szene gelangt sie vermutlich über die Schwulenszene, doch sie wird nicht nur auf Parties zum abdrehen genommen.
Zurück nach Berlin. Wir stehen also zu viert in einem frisch renovierten WG-Bad auf einer Hausparty während des Hartlockdowns. Fast fängt das frische Pärchen neben mir einen Streit wegen des Tina an. Erst hatte er behauptet, er würde nicht konsumieren. Jetzt soll er es zugegeben haben.
Sie nehmen es beide. Unglücklich schauen sie einander zu. Aber muss ja jeder selber wissen. Ich nehme auch eine.
Naja, ne kleene Line C (in Berlin) is‘ och okay.. *
Ich nehm das nur für Sex, hab ich mir erst gesagt. Aber jetzt, wo mein Lieblings Meth-Junkie eine andere ballert, ballere ich stattdessen Meth in diesem Badezimmer irgendwo in Moabit.

Ganz sicher bin ich mir nicht, ob dieser scharfe Schmerz in der Nase für das plötzliche Augen öffnen verantwortlich ist oder ob das der Stoff ist. Dann bekomme ich wieder richtig Lust zu tanzen. Ich fühle mich klar und wach. So als könnte ich heute bis ans Ende der Welt gehen. Nie wieder muss ich schlafen. Nie wieder muss ich mich abfinden mit der schnöden Realität.
Also stehe ich an der Tanze an der Bar mit einer G-Mische in der einen Hand und hämmere wild mit der anderen, halb tanzend, diesen Text ins Handy ein. Es dauert noch lange, bis mich jemand fragt, ob ich Tagebuch schreiben würde. Prompt antworte ich »Ja, schon so in der Art.« Dann lege ich das Handy weg und verschiebe den kreativen Akt auf später.
Erstmal muss ich tanzen.
Der Schweiß läuft an mir herunter. Selten hatte ich so viel Spaß dabei.
Mehrmals muss ich eine 18 jährige ermahnen nicht aus meinem Glas zu trinken. Und überhaupt aus keinem anderen Glas zu trinken, bei dem sie sich nicht sicher ist, was drin ist. Sie ist noch frisch in der Szene. Ihre Augen strahlen vor Begeisterung über diese neuartige Welt, die sie aufnehmen und verschlucken wird. An ihr zerren wird bis nichts mehr übrig bleibt.
Sie scheint nett zu sein.
Ich finde meine neu gewonnene Freundin in der Waschküche. Dort setzten wir uns auf den Boden.
»Hast du es?«
»Was?…ja.«
»Super.«
Ich zerknirsche die harten Kristalle auf meinem ungeschützten Display. Dann liegen zwei ordentliche Tina-Bretter auf dem Handy zwischen uns. Ein Typ kommt daher gezappelt.
»Der is von Mittwoch«, erklärt meine Freundin. Es ist Sonntag. Das heißt der Typ ist schon seit vier Tagen unterwegs. Ich verstehe.
»Was ist das?«
Wir antworten nicht. Es ist ein unangenehmes Gefühl. Ein bisschen schäme ich mich für das was ich tue. Während ich mir den ganzen Abend alles reingepfiffen hab was da war, auch die Sachen, die ich normalerweise nicht nehme, in aller Öffentlichkeit und mit vollem Selbstvertrauen, war ich jetzt plötzlich unsicher.
»Pepp?«, hakte er weiter nach. »C«, sagt meine Freundin leise.
»Kann ich auch was?«, sagt der längst abgelaufene.
»Wenn mich noch was in die Pötte bringen kann, dann Crystal. Und leg noch ein bisschen mehr, das bringt sonst nix.«
Es brennt schrecklich in der Nase, meine Augen tränen kurz, ich blinzle es weg. Sofort durchfließt mich ein Wärmestrom. Meine Augen öffnen sich.

Der Zappelnde schaut zufrieden, oder verballert, wer weiß das schon.
Tanzen!
Auf dem Weg zurück zur Party ruft jemand meinen Namen. »Emma?«
Auf dem Boden sitzen überall Menschen um einen Couchtisch aus Glas herum. Es liegt ein großer Haufen weißes Zeug in der Mitte der Platte, der aussieht wie Speed. Also frage ich noch mal nach.
»Was das?«
»MDMA.«
Ich bin mir zwar immer noch nicht sicher, aber nehme es einfach hin. Ich nehm kein Emma, wollte ich eigentlich sagen, als ich kurz inne halte.
Was in Berlin passiert, bleibt in Berlin, beschließe ich und nehme dankend an.
Der Anbietende nimmt mich bei der Hand und zieht mich sanft zu sich runter. Jetzt sitze ich zwischen einem Dutzend Menschen im Schneidersitz. Man könnte fast meinen wir meditierten oder nahmen an einem orientalischen Abendessen teil. Das Röhrchen fehlt. Ich drehe mich zur linken und finde mich neben einem blonden Mädchen wieder, das auf Englisch spricht.
»Where are you from?«, frage ich. »Slovenia. I am Slovenian and Russian.« »So you speak Russian?«
Jemand hält mir ein Röhrchen hin. Fünf Augenpaare geben mir zu verstehen, dass es an der Zeit ist das Röhrchen anzusetzen. Nicht reden, ballern, wir sind ja nicht zum Spaß hier.
Verwirrt rufe ich mir nochmal die Situation in den Kopf.
Emma. Jetzt. Will ich das? Ach komm scheiß drauf.
Im Bruchteil einer Sekunde verschwindet die Line vom Glastisch und ich widme mich wieder dem Mädchen.
Irgendwie gehört es schon zum guten Ton die Line wegzumachen, als wäre es nichts. Ohne jammern und ohne große Show. Ein paar anerkennende Blicke ernte ich.
Wir gehen ins Russische über. Sie ist erleichtert, ihre Muttersprache sprechen zu können. Irgendjemand fragt immer wieder nach Keta. Das Keta ist leer. Mich stört das nicht. Davon hatte ich gleich zur Begrüßung was. Heute hab ich alles mitgenommen was ging. Keta, Pepp, eine Flasche Baileys, Emma, 3 G-Mischen, Gras und das Meth natürlich. Am liebsten hätte ich es bei der Aufzählung unter den Tisch fallen lassen.
Dabei hatte der Tag nüchtern auf einer Demo angefangen. Ganz harmlos. Ohne böse Hintergedanken. Marschieren gegen Polizeigewalt. Demos waren momentan einer der wenigen Orte, wo man sich mit mehr Menschen treffen konnte. Von der Hasenheide wurde unsere Gruppe verwiesen, da sie von zehn Personen plötzlich auf vierzig expandiert ist und die halbe Fläche der Wiese besetzte. So landeten wir ursprünglich in Moabit.
Einer der Truppe stellte freundlicherweise Räumlichkeiten zur Verfügung, obwohl mit einer Strafe von mehreren tausend Euro zu rechnen war. Mit dem Sonnenaufgang setzte sich ein immer noch großer Teil der Gruppe in Bewegung. Raus in die warme Mai-Sonne.
Mit lautem Techno zerstörten wir die Idylle des Sonntagmorgens. Wie gerade aus der Hölle gekrochene Dämonen durchbrachen wir mit unserem Auftreten die Kulisse der Stadt. Gestalten der Nacht, verloren, nach Peppschweiß stinkend, natürlich schwarz gekleidet, so wie der Fashionkodex des Berghains es halt vorschrieb.
Fast schon radioaktiv von der ganzen Chemie, die unsere Körper am Zucken und am Zappeln hielt, waren wir auf der Suche nach der nächsten After. Bloß nicht nachhause. Berlin schläft nicht.

Am Prenzlauer Berg geht die Party weiter. Es ist hell. Man sehen wir alle fertig aus. Es wird im Wohnzimmer getanzt. In der Küche sitzen sie wieder auf dem Boden. G zwischen ihnen.
Im Grunde alles dasselbe, nur dass wir uns jetzt alle sehen können. Oder müssen, wie man’s nimmt.
Das Crystal wirkt noch. Ich will nicht runterkommen. Zum ersten Mal gefällt es mir wirklich. Hier sollte die Geschichte enden. Aber sie endet nicht.
Wann endet es?
Ich verlasse die Ravergesellschaft. Ich kann diese verballerten Menschen nicht mehr ertragen. Wunderbare, außergewöhnliche Wesen, deren Gesellschaft sich für zwanzig Stunden herzlich und freundschaftlich angefühlt hat, waren nur noch zuckende Leichen. Schmieren sagen die G- Konsumenten dazu. Ganz normal, sagen sie. Geht gleich vorbei, sagen sie.
Dann stehen sie auf und machen sich eine neue Mische.
Im Rausch der Drogen kommt man sich näher. Oder wie D. sagt, G macht schon schwul. Also äh…
Als ich in meiner Unterkunft ankomme, verlassen alle die Wohnung.
Eine Stunde später schreiben sie, die Situation mit mir sei untragbar.
Irgendwas von sozial übergriffig, gepaart mit interessanten Worten und komischem Satzbau.
Für die Nacht musste ich also gehen. Aber das ist in einer Stunde geklärt. Ich muss nur etwas Zeit tot schlagen.
Ein wenig sonne ich mich noch auf dem Balkon von D.s Wohnung in Friedrichshain, gehe duschen, rauche alles auf was an Gras zu finden ist, lege mich wieder auf den Balkon.
Atme ein, atme aus.
Mit hektischen Bewegungen wische ich ziellos auf dem Display herum, lege das Handy weg, starre ins Grün der Bäume. Es sieht schön aus. So ein saftiges Grün.
Ich muss lächeln, greife nach dem Handy und lege es im selben Moment wieder weg, falte die Hände über mir, überlege zu meditieren.

Eine Unruhe bricht in mir aus. Ich bekomme Angst, dass es dieses Mal zu viel für mein Herz war. So doll, wie es mir in der Brust pocht. Kurz davor jedes Mal herauszureißen.
Vielleicht tut es dann wenigstens nicht mehr weh.
Wie kommt man von Meth runter, google ich. Ausstiegshilfen. Toll. Nichts brauchbares.
Ein Typ fragt in einem Forum, ob es gefährlich sei, Meth zu nehmen, wenn man schon auf Benzos und Lyrica ist.
Was ist denn mit dem los?
Ich google die Wirkung von Lyrica. Zum Schlafen verwendet. Drei davon befinden sich seit Ewigkeiten in meiner Versteckbürste. Man kann den Tangleteaser übrigens mit einem Messer oder einer Karte öffnen. Innen ist er hohl. Ich nehme erstmal eine Kapsel. Noch weiß ich nicht, was mich erwartet. Kurze Zeit später kann ich einschlafen.
Verwirrt wache ich auf, stolpere durch den Flur, begegne einem Freund, höre Stimmen.
Sie sind wieder da.
»Weißt du schon wo du heute Nacht schläfst?«, werde ich gefragt.
»Mach dir um mich keine Sorgen. Aber lieb von dir«, rufe ich während ich die Tür hinter mir zuschlage.
Süß ist der schon. Ich hoffe, ich sehe ihn irgendwann mal wieder.
Im Uber entspanne ich mich zum ersten Mal seit meiner Ankunft. Die Situation in der Wohnung hatte mir anscheinend schon zu schaffen gemacht.
Es warten 2 Gramm Weed auf mich. Und die nächste Lyrica. Die Unruhe ist zurück. Einschlafen hätte nicht geklappt. Man unterschätzt die Wirkdauer des Crystals.
Mit der Pille werde ich müde, unterhalte mich aber noch länger mit meinem ehemaligen Arbeitskollegen, der mich schon öfter aus der Scheiße gezogen hat. Wir rauchen und reden.
Am nächsten Morgen wache ich ausgeruht auf. Zwar mit einem geschwollen Face, Lippen wie nach einer Botox-Behandlung und tödlichen Augenringen, aber ausgeruht.
Emotional stabil. Entspannt. Ein Gefühl von Befreiung durchfließt mich.
»Wo bleibt das Runterkommen-Drama?«, frage ich meinen Kollegen. »Die ganzen Tränen und der Selbsthass? Die Depressionen?«
»Das muss es nicht immer geben«, antwortet er.
Also setzte ich mich ins Auto meiner Mitfahrgelegenheit und fahre zurück nach Köln.
*Jacksons – King Orgasmus One, FiNCH, MC Bomber
Autorin: Mary
Crystal Meth gehört zu den gefährlichsten Drogen unserer Zeit. Dieser Text soll dir einen authentischen Einblick in das Leben der Konsument:innen geben, dich jedoch keinesfalls animieren, die Droge auszuprobieren. Falls du selbst Probleme mit Drogen oder anderen Suchtmitteln haben solltest, hole dir kostenlosen Rat beim Drogennotdienst.

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