Warnung: Dieser Text enthält Schilderungen von einer Spielsucht.

Es fällt mir ziemlich schwer zu glauben, dass mein 83-jähriger Großvater zu den 7,3 Millionen Bundesbürger:innen zählt, die dem Lotto-Glücksspiel verfallen sind. Also so richtig. Wahrscheinlich, weil ich meinen Opi nie mit einer Spielsucht assoziieren würde. Immerhin hat er weder mit Schuldgefühlen zu kämpfen, noch ist er hoch verschuldet oder hängt täglich bei Lotto ab. Zu den 145 bundesweiten Millionengewinner:innen im Jahr 2020 zählt er aber nicht. Doch ohne Menschen wie meinen Opi wäre es dem deutschen Lotto- und Totoblock (DLTB) nicht möglich, knapp 7,9 Milliarden Euro umzusetzen.

Die Chance auf 6 Richtige plus Superzahl liegt bei 1 zu 140 Millionen. Irgendwann, irgendwann wirst du vielleicht Millionär Opi. Du musst nur lange genug sauviel Geld dafür ausgeben.

DIEVERPEILTE: Opi, du spielst seit 30 Jahren Lotto. Wie bist du dazu gekommen?
Opi: Mindestens. Ich glaube, eine Geschäftskollegin hat mich damals dazu überredet.

Aber warum spielst du denn jetzt immer noch?
Weil ich die Lottozahlen im Kopf habe! Und wenn ich die sehen würde, ohne einen Schein abgegeben zu haben, würde ich in den Main springen.

Du nimmst also seit 30 Jahren dieselben Zahlen?
Immer dieselben! Zwei Felder, die gleichen Zahlen und den Schein verlängere ich jedes Mal um fünf Wochen.

Weil du sonst den Jackpot verpassen könntest.
Genau.

Und wie funktioniert das Lotto spielen?
Ganz einfach. Ich gehe zur Edeka, weil die eine extra Lottoannahme haben und da lasse ich meinen Schein durchlaufen, bezahle und verlängere automatisch um fünf Wochen. Um dann zu hören: „Sie haben nicht gewonnen.“

Was kostet ein Lottoschein?
Für fünf Wochen, zwei Felder bezahlt man mittlerweile 12,90 Euro.

Und das wird wöchentlich gezogen?
Jeden Samstagabend um kurz vor 20 Uhr in der ARD.

Was verbindest du mit dem Lottospielen?
Keine Spielerleidenschaft. Ich mache das einfach, weil ich halt schon so lange spiele und immer die gleichen Zahlen habe und die Ziehung der Lottozahlen verfolge. Da würde ich mich ja unheimlich ärgern, wenn plötzlich meine Zahlen gezogen werden.

Kennst du noch andere Leute, die Lotto spielen?
Da gibt es sicher viele, aber persönlich … die Geschäftskollegin, die mich dazu gebracht hat, spielt bestimmt auch noch.

Und sonst niemand aus deinem Bekanntenkreis?
Ich weiß es nicht. Ich gehe ja nicht hausieren damit, wer Lotto spielt.

Was glaubst du, wie viel Geld hast du mittlerweile in deine Spielsucht investiert?
Insgesamt habe ich bestimmt schon 4000 bis 5000 Euro verlottert.

Und wie viel gewonnen?
150 Euro.

150 Euro in 30 Jahren?
Lotto kannst du nicht spielen, um viel zu gewinnen. Entweder gewinnst du was oder nicht.

Opi, hattest du schon mal das Gefühl, dass du ein Opfer der Lottoindustrie sein könntest? Immerhin spielst du seit 30 Jahren, hast ca. 5000 Euro (wahrscheinlich mehr) dafür ausgegeben und eigentlich bringt es dir überhaupt nichts – aber aufhören kannst du auch nicht, weil dich der Gedanke an deine Zahlen quält.
Das stimmt, aber die Hoffnung stirbt zuletzt.

LottoOpa 2
Illustration: Ramina Kalashnykova

Du bleibst also optimistisch.
Wenn man so will, ja! Und aufhören kann ich nicht.

Gab es einen Moment, in dem du dachtest, dass du gewinnst?
Wenn die ersten zwei Zahlen stimmen und ich die anderen noch nicht gesehen habe, denke ich: „Hoffentlich sind die vier anderen auch noch richtig!“

Und wenn sie nicht gezogen werden?
Schluss aus, warten auf die nächste Ziehung am Samstag – ganz einfach.

Gibt dir Lotto-Gucken einen Kick?
Nein. Ich bin eigentlich froh, wenn es rum ist, weil dann die Tagesschau kommt.

Hast du dir ein Preislimit gesetzt für deinen Lottoschein? Also aktuell zahlst du 12,90 Euro.
Das ist für mich eigentlich schon das Maximum.

Okay und wenn sich der Preis innerhalb der nächsten Jahre auf 15 Euro erhöhen sollte?
Dann würde ich weiterspielen.

Aber gerade hast du noch gesagt, dass 12,90 Euro dein Limit ist (lacht).
Ich meinte die Felder, die ich belege.

Wie sieht es mit 20 Euro aus, würdest du das auch noch bezahlen?
Ja.

Hast du irgendeine Grenze, wo du aussteigen würdest?
Bei 50 Euro würde ich aufhören.

Da hörst du auf?
Vielleicht.

100?
Also 100 Euro möchte ich nicht ausgeben. Da würde ich mir die Lottozahlen nicht mehr anschauen und wenn ich dann wirklich einen Sechser gehabt hätte, wüsste ich es nicht.

Was passiert, wenn du im Lotto gewinnst?
Das kommt immer auf die Höhe drauf an. Bei einer Million z. B. schenke ich meiner Tochter und meinen Enkeln etwas.

Opi, stell dir diesen Moment vor: Du guckst Lotto und hast einen Treffer!
Die nächste Frage ist, was mache ich mit dem Geld?

Aber freuen würdest du dich schon ein bisschen, oder?
Natürlich! Jubelrufe so laut, dass es die Nachbarn hören.

Okay und was würdest du dann machen?
Na ja, ich würde es nicht für mich behalten, sondern an euch weitergeben.

Gibt es irgendwas, was du dir von dem Geld kaufen möchtest?
Eigentlich habe ich überhaupt keinen Wunsch.

Hattest du jemals einen?
Früher hätte ich eine Weltreise gemacht und ein neues Auto gekauft – vielleicht hätte ich euch jedem ein Haus bauen lassen (zwinkert).

Würdest du mir empfehlen, mit dem Lotto spielen anzufangen?
Ach, eigentlich nicht.

Nein?
Du siehst ja, dass du dann unter Umständen 40 Jahre abhängig bist, weil du immer die gleichen Zahlen kontrollierst.

Gibt es zum Abschluss noch etwas, was du Lotto gerne sagen würdest?
Lasst mich endlich mal gewinnen! (lacht)

Bei der BZgA-Telefonberatung zur Glücksspielsucht mit Unterstützung des DLTB erhalten Interessierte, Angehörige und Betroffene kostenlos individuelle Beratung und Informationen rund um den Themenbereich Glücksspielsucht. Telefon: 0800 1 37 27 00 (Montag bis Donnerstag 10 – 22 Uhr, Freitag bis Sonntag 10 – 18 Uhr).

Dieser Text erschien zuerst auf DIEVERPEILTE

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Ist in Nürnberg aufgewachsen, brach erfolgreich drei Studiengänge ab und entdeckte ihre Leidenschaft für den Journalismus durch ein Praktikum in einer Musikredaktion. 2019 gründete sie das DIEVERPEILTE-Magazin. Themenschwerpunkte sind Mental Health, Krankheiten, soziale Ungerechtigkeit, Sexualität und Drogen.

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