Hi an alle Menschen da draußen, mit denen ich schon mal über mein Liebesleben gesprochen habe. Es fällt mir wirklich nicht leicht, das zu sagen, aber wir müssen Schluss machen. Also mit den Gesprächen über Männer. Mir ist aufgefallen, dass ich aufgrund einiger Unterhaltungen mit euch sehr ungünstige Entscheidungen getroffen habe, die sich negativ auf meine romantischen Beziehungen ausgelöst haben.

Wie, ihr wisst nicht, wovon ich rede?

Okay, dann hört mir zuliebe wenigstens zu:

Charlene, meine Kurzzeitmitbewohnerin und ich sitzen in unserer WG-Küche in Berlin. Seit meinem Einzug erzählt sie immer wieder von diesem Typen, den sie vor zwei Wochen getroffen hat. Seitdem hatte er sich nicht mehr bei ihr gemeldet. Jedenfalls erzählt sie die Story sehr ausführlich und ist empört darüber, dass sie von besagtem Mann nichts hört.

„Ich schreib dem nicht“, stellt Charlene klar.

Doch dann fängt sie an, sich verschiedene Meinungen ihrer Freundinnen einzuholen:

„Ach, der ist ja total eingeschüchtert. Du kannst dem auf jeden Fall schreiben“, rät ihr Lisa.

„Was hältst du davon?“, fragt Charlene ihre Freundin Sandy.

„Ne, der soll sich mal melden. Du hast ja schon die ganze Strecke für dich aufgenommen, nur um ihn zu sehen.“

Charlene, die ihre Meinung eigentlich nicht geändert hat, bereitet provisorisch eine Sprachnachricht für ihn vor:

„Hallo Mr. Beachwaves, ich wollte dir nur mal eine kleine Notiz hinterlassen, denn ich musste gerade an dich denken.“

Erste Zweifel kommen auf. Heute Morgen, als sie sein Profil durchforstete, entdeckte sie, dass er sich mehrere hundert Kilometer entfernt befindet.

Also ich möchte echt gerne mal wissen, wo er jetzt ist. Aber vermutlich hat er mir nur nicht geschrieben, weil er wusste, dass ich keine Zeit habe und er am Wochenende nicht da ist. Das muss es sein.

Eigentlich hatte Charlene einen schönen Abend. Doch die unterschiedlichen Ratschläge ihrer Freundinnen und die Ungewissheit darüber, ob sie ihn je wieder sehen wird, nimmt ihr das zuversichtliche Gefühl ihres Rendezvous.

„Bin ich zu hässlich?“

Dieses Gefühl, das Charlene nun in sich trägt, kenne ich: Unsicherheit.

Auch ich erlebte mich in Situationen, in denen ich mich davon leiten lies:

Im November 2019 lernte ich über eine Dating-App einen Mann kennen. Gleich nach dem ersten Treffen hatte er mir offenbart, dass er mich wiedersehen möchte. Auch, dass er nicht auf der Suche nach einer festen Beziehung ist. In den darauffolgenden Wochen fingen wir an, uns regelmäßig zu treffen. Beinahe täglich meldete er sich bei mir und gab mir ein gutes Gefühl. Eigentlich war alles perfekt. Doch dann begann ich, mit Menschen aus meinem Umfeld darüber zu sprechen.

„Ach, wenn ihr euch trefft, dann hängt ihr also nur bei dir ab und habt Sex? Der gibt sich ja gar keine Mühe für dich … ich glaube nicht, dass er an einer ernsten Beziehung interessiert ist.“

„Meinst du echt?“

„Hätte er wirklich Interesse an dir, würde er dich seinen Freund:innen vorstellen. Der verheimlicht was …“

Natürlich interessierte er sich für mich, andernfalls hätten wir uns nicht verabredet. Und dass er nichts Festes sucht, hatte er mir schon beim ersten Date gesagt. Doch als ich dies aus dem Mund meiner Freundin hörte, fiel es mir wie Schuppen von den Augen:

ER WILL MICH NUR BUMSEN!

Ich fing an, mir Fragen zu stellen:

„Wieso schreibt er mir nicht? Ist er gerade mit einer anderen Frau zusammen? Was soll ich tun?“

Mal nachsehen, wann er zuletzt online war.

Abends, wenn ich alleine in meinem Zimmer auf dem Bett lag und auf seine Antwort wartete, schmiedete ich Pläne, wie ich interessanter für ihn werden könnte. Das ging sogar so weit, dass ich mir einen „So verliebt er sich in dich“-Ratgeber für 40 (!!!) Euro aus dem Internet kaufte.

Ob mir das heute peinlich ist?

Ein bisschen.

Besonders tückisch ist auch der sogenannte Cheerleader-Effekt.

Was das sein soll? Am besten ich erklär’s euch anhand eines weiteren Beispiels.

Noch bevor ich mir Ratschläge von dubiosen Beziehungsgurus einholte, verabredete ich mich mit meinem vermeintlichen Mr. Right in der Bar, in der ich damals arbeitete. Zu diesem Zeitpunkt war alles entspannt zwischen uns. Zwar hatten wir Spaß miteinander, aber ich hatte kein ernsthaftes Interesse an ihm. Und trotzdem wollte ich wissen, was meine Kolleg:innen über ihn denken:

„Der ist aber attraktiv.“

„Süß.“

„Woher kennt ihr euch? Tinder? Achso …“

Da war es um mich geschehen. Auf einmal war ich scheinverliebt. Wenn meine Kolleg:innen scharf auf ihn sind, dann muss ER es sein!

Aber was haben sie eigentlich gegen Tinder? Kann man dort etwa keine guten Männer finden?

Ich war verwirrt. Halt fand ich wiederum bei den Menschen in meinem Umfeld, die für meine Selbstzweifel verantwortlich waren. Hier möchte ich erwähnen, dass es hier nicht um Schuld oder Nichtschuld geht. Es handelt sich um einen Teufelskreis. Sobald wir damit beginnen, uns Beziehungstipps von anderen einzuholen, fangen unsere Gedanken an, verrückt zu spielen.

Wieso?

Weil wir aufhören, uns selbst zu vertrauen.

Damals wusste ich nicht, dass mich mein Umfeld dermaßen beeinflussen kann. Und so machte ich mich immer abhängiger und war im Nachhinein enttäuscht. Und ich kam mir unendlich blöd vor.

Diese Wertschätzung, die Charlene und ich uns von den Männern erhofften, brauchten wir in Wahrheit nur von uns selbst. Und ich glaube, ich habe noch nie so gerne Gefühle entwickelt wie für mich. Denn in der Liebe zu uns selbst ist alles möglich.

Wenn ihr euch also das nächste Mal die Frage „Schreiben oder nicht angeschrieben werden?“ stellt, könntet ihr euch auch einfach selbst etwas Gutes tun.

Ihr wisst nicht, was euch guttut?

Fangt an, es herauszufinden.

Wie es mit Mr. Beachwaves und meinem vermeintlichen Mr. Right weiterging? Sagen wir es mal so: Lest euch keine Beziehungsratgeber aus dem Internet durch.

*Alle Namen sind frei erfunden.

Dieser Text erschien zuerst auf DIEVERPEILTE.

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Ist in Nürnberg aufgewachsen, brach erfolgreich drei Studiengänge ab und entdeckte ihre Leidenschaft für den Journalismus durch ein Praktikum in einer Musikredaktion. 2019 gründete sie das DIEVERPEILTE-Magazin. Themenschwerpunkte sind Mental Health, Krankheiten, soziale Ungerechtigkeit, Sexualität und Drogen.

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