Werner Holtkamp, 60, ist Verwaltungsangestellter. Mit seiner Teilnahme an diesem Projekt möchte er auf die Krankheit „Arteriovenöse Malformation“ (AVM) aufmerksam machen und Betroffenen Mut machen, sich zu zeigen.

„Ich wurde mit einer Arteriovenösen Malformation (AVM) geboren, deswegen sind die betroffenen Stellen rötlich. Schmerzhaft ist AVM grundsätzlich nicht. Venöse Malformationen hingegen sind in 90 Prozent der Fälle schmerzhaft und die betroffenen Stellen sind lila, weil es sich um sauerstoffarme Gefäße handelt. Ich nehme nur hin und wieder das Blutrauschen wahr. Das liegt daran, dass AVM eine ‚High-Flow‘-Malformation ist, das heißt, dass es eine starke Durchblutung hat. Ich habe AMV im Gesicht und am Hals. Aber es gibt auch Menschen, die es an anderen Stellen haben, das ist bei jedem ganz unterschiedlich und individuell. Überall, wo die Haut rot ist, ist sie auch wärmer. Dadurch, dass ich dort schon viel operiert wurde und deswegen Narben habe, spüre ich stellenweise nichts. Die transplantierte Haut ist ein bisschen fester und weniger sensibel. Auch die Transplantationsentnahmestelle am Bauch fühlt sich anders an. Dort, wo ich die Gewebe-Expander für die Transplantation eingesetzt hatte, sieht man noch ganz dünne weiße Narben. Heute, mit meinen 59 Jahren, fühle ich mich wohl in meiner Haut. Früher war das anders.

Die betroffene Fläche bleibt gleich groß, sie wächst aber proportional mit dem Körper mit und kann auch voluminöser werden. Es kann auch passieren, dass es anfängt zu wuchern. Bei AVM kommt außerdem hinzu, dass es schnell zu Blutungen kommen kann. Wenn das passiert, sind die Blutungen sehr stark: Es spritzt aus der offenen Stelle und man kann teilweise sehen, wie das Herz pumpt, weil das Blut pulsartig in kurzen Stößen kommt. Das ist bei mir schon öfter einfach so passiert, ohne, dass ich mich verletzt oder angehauen hätte. Es gab schon Nächte, in denen ich in einer kleinen Blutlache liegend aufgewacht bin. Das erste Mal war ein großer Schock für mich. Ich wurde wach und lag in einer nassen Pfütze, ohne zu wissen, dass das mein Blut ist. Als ich dann im Badezimmer war, habe ich gesehen, dass alles rot war, auch der Weg, den ich entlanggelaufen bin. Im Laufe der Zeit lernt man, damit umzugehen. Man kann kleine Stellen selbst abdrücken, bis sich eine Kruste bildet. Wenn man den Finger abnimmt, muss man vorsichtig sein, da man die Kruste wieder abreißen kann. Und dann fängt es wieder an zu bluten.

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Eine Arteriovenöse Malformation (AVM) ist eine Missbildung der Blutgefässe, welche aus einem Geflecht von Gefässen besteht. In diesem sind blutzuführende Hirnarterien und blutabführende Hirnvenen direkt miteinander verbunden. Das Zentrum dieser verknoteten Blutgefässe wird als Nidus bezeichnet.

Ich war vor einiger Zeit in der Grundschule bei der zweiten und dritten Klasse, um über Behinderungen zu sprechen. Dort habe ich erzählt, dass ich dreimal so viele Blutgefäße habe, als normal. Da Blut rot ist, sind die Stellen, wo ich vermehrte Blutgefäße habe, auch rot. So erkläre ich das im Grunde genommen bei Erwachsenen auch. Die Fragen, die ich am häufigsten höre, sind: ‚Was hast du da?‘ und ‚Kann man dagegen nichts machen?‘ Ab und zu, meistens von Kindern, wird auch gefragt, ob ich Schmerzen habe.

Zu AVM wurde früher Blutschwamm gesagt. Bei mir hat es 1992 angefangen, dass ich Probleme mit meiner AVM bekommen habe. Es hatte im Mund angefangen zu wuchern, vom Gaumen bis ungefähr zur Zahnreihe hin und wenn ich gegessen oder gelacht habe, kam es zwischen den Zahnlücken zum Bluten. Und Blut schmeckt ekelhaft. Als ich dann deswegen beim Arzt war, habe ich auch die richtige Diagnose erhalten: AVM. Die hätte ich gerne eher bekommen. Sobald man eine Diagnose hat, kann dementsprechend behandelt werden. Wenn man keine hat, dann werden verschiedene Behandlungsmethoden vorgeschlagen und es wird vieles ausprobiert. Da fühlt man sich dann ein bisschen wie ein Versuchskaninchen.

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Die Spalthauttransplantation ist eine einfache Wiederherstellung einer Hautoberfläche. Das Verfah­ren kommt bei größeren Wunden oder auch bei Verbrennungen zum Einsatz. Das Transplantat wird mit einem chirurgischen Messer aus einer gesunden Körperstelle entnommen. Dieses wird als Spalt­haut bezeichnet und ist sehr dünn (0,2 mm –0,5 mm). Die Spalthaut wird auf die Wunde aufgespannt und fixiert, wo sie innerhalb weni­ger Tage einwächst.

Als Kind, wurde man, egal was man hat, von Klassenkamerad:innen oder anderen Kindern gehänselt. Und dann in der Pubertät und als junger Erwachsener, kommen noch andere Probleme dazu, die dann wieder ein bisschen anders sind und auch vor allem mit dem anderen Geschlecht zusammenhängen. Jüngere Menschen schauen vor allem erst einmal auf das Aussehen, wenn man jemanden (romantisch) kennenlernen möchte. Wenn man, wie ich, eine sichtbare Krankheit hat, dann sinken die Chancen. Das kann sich ändern, wenn man sich auf die Person einlässt und sich erst mal kennenlernt. Im Laufe der Zeit hat sich das verändert und ich habe auch meine Frau kennengelernt. Außerdem waren die Selbsthilfe-Gruppe, Mitgliedschaft und Arbeit in Vereinen eine zusätzliche Hilfe. Auch dadurch, dass man mit anderen Betroffenen in Kontakt kommt. Man lernt dadurch mehr über die Krankheit, den Umgang mit der Krankheit und auch über den Umgang mit anderen Personen. Den ersten Menschen mit einer ähnlichen Erkrankung habe ich erst kennengelernt, als ich etwa Mitte 30 war. Ich hätte mir gewünscht, dass das eher geschehen wäre. Seitdem ich einen Computer habe, habe ich viel im Internet gesucht. Damals gab es aber sehr wenig zu dem Thema.

In den letzten Jahren wurde ich ziemlich häufig operiert, weil es gewuchert ist und diese Wucherung auch spürbar war. Zum einen am Gewicht und zum anderen bei Bewegungen. Das fühlt sich so an, als ob die Haut mit dem Gewebe wackelt, was unangenehm und auch nervig ist. Dadurch schränkt man sich auch automatisch ein. Ich spiele in der Freizeit Badminton und bei körperlicher Anstrengung spürt man das dann extrem. Das ist zwar nicht besonders schmerzhaft, aber sehr störend.

Insgesamt hatte ich drei Hauttransplantationen, zwei davon haben aber nicht funktioniert. Die erste war 2017 mit zwei Gewebe-Expandern. Dafür wird ein kleiner Schnitt gemacht, wodurch dann die Ballons unter die Haut geschoben werden. Der Schnitt wird wieder zugenäht, nur eine kleine Öffnung des Ballons ist noch da. Diese werden nach und nach über drei Monate mit einer Kochsalzlösung befüllt. Einen hatte ich vor dem linken Ohr seitlich am Gesicht und einen auf dem Kopf. Das Befüllen war sehr schmerzhaft, weil sich die Haut währenddessen direkt dehnt. Bei so einem alten Mann wie mir, ist auch die Haut entsprechend alt. Je älter man wird, umso problematischer wird es. Die durch das Dehnen gewonnene Haut sollte dann von oben über das Gesicht gelegt und festgenäht werden. Leider ist diese Haut schon während der Operation abgestorben. Ich hatte aber die ganze Zeit keine Schmerzen. Es wurde noch vergeblich versucht, die Haut zu retten. Die darauffolgende Vollhauttransplantation ist auch misslungen. Danach kam die Spalthaut drauf, die ich bis heute habe. Mein Nasenflügel wurde entfernt, an seiner Stelle befindet sich auch die neue Haut. Ich atme hauptsächlich durch den Mund, weil ich durch die Nase noch nie großartig Luft bekommen habe. Diese Zeit war anstrengend, aber wir haben es gemeistert. Wir sind gut unterstützt worden vom Arzt, von der Ärztin, vom Pflegepersonal und das hilft einem dann ungemein.

Am Tag der seltenen Krankheiten gab es eine Veranstaltung in Essen. Ich hatte beschlossen, Kontakt zu einem Verein aufzunehmen, hatte aber große Hemmungen und habe dann meine Frau vorgeschickt. Ich selbst habe ein bisschen Abstand gehalten. Aber ich habe dann auch selbst Kontakt zu den anderen Menschen gesucht, mich ausgetauscht, Auskunft gegeben, und das war sehr gut.

Der Bundesverband für angeborene Gefäßfehlbildungen wurde 2006 aus dem Zusammenschluss von drei Selbsthilfegruppen gegründet. Die meisten Mitglieder haben aber selbst Gefäßfehlbildungen, es sind aber auch einige Eltern dabei, die betroffene Kinder haben. Ich bin seit 2011 dabei. Ich erhalte oft positives Feedback von fremden Leuten, anderen Betroffenen, oder von Eltern kleiner Kinder mit AVM. Die sind dann sehr erleichtert, jemanden mit der Krankheit Erfahrenen gefunden zu haben, mit dem sie sich austauschen können. Viele Eltern machen sich große Sorgen um ihre Kinder. Häufige Fragen sind, ob das eine vererbbare Krankheit ist und ob die Krankheit die Lebensdauer einschränkt. Ich erzähle dann, dass ich 59 Jahre alt bin und wir auch andere Mitglieder haben, die über 80 sind. Die Arbeit ist ehrenamtlich und wird immer unter mehreren Aktiven aufgeteilt, weshalb die Arbeitszeiten immer unterschiedlich sind. Die meiste Arbeit hat immer der erste Vorsitzende. Ich war bis vor Kurzem zweiter Vorsitzender und habe das jetzt aufgegeben, weil ich noch in anderen Vereinen ehrenamtlich tätig bin. Außerdem gibt es im Vorstand momentan viele Ältere und ich habe gehofft, dass ein paar Jüngere nachkommen: Jetzt haben wir eine junge, engagierte Frau mit dabei. Das freut mich sehr.

Sehr schwierig war und ist dieses Lästern und Gaffen. Man darf schon gucken, aber nicht gaffen, das ist ein sehr großer Unterschied. Einzelpersonen gucken meistens nur kurz. Aber wenn es sich um eine Gruppe handelt, egal welchen Alters, wird gegafft. Das nervt dann, weil man merkt, dass über einen geredet wird, ohne, dass sie mich kennen. Dass Leute mich direkt darauf ansprechen und nachfragen, kommt nicht häufig vor. Ob das für mich in Ordnung ist oder nicht, ist tagesabhängig. Wenn Leute freundlich sind, versuche ich auch eine freundliche Antwort zu geben. Wenn ich viel Lust und Zeit habe und die Person auf mich sympathisch wirkt, dann gebe ich auch ausführlichere Antworten. Aber wenn jemand auf mich zukommt und sagt: ‚Kann man da nichts machen?‘ Dann sage ich: ‚Nein, kann man nicht.‘ Die negativste Erfahrung habe ich gemacht, als ich Mitte zwanzig war und in Münster in eine Disko wollte. Da hat einer am Eingang gesagt, ich solle nach Hause gehen, er wolle sich hier amüsieren und nicht meine Fresse sehen. Das war mit Abstand das Härteste. Ich bin aber trotzdem reingegangen und hatte meinen Spaß. Aber so einen Spruch vergisst man natürlich nicht.

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Werner wurde mit wurde mit einer Arteriovenösen Malformation (AVM) geboren: „Ich finde, dass jeder Mensch einzigartig ist, aber manchmal sage ich, dass ich etwas Besonderes bin.“ Fotos: Kim Oppermann

Früher hatte ich starke Hemmungen bei fremden Leuten. Durch meine Zeit in der Selbsthilfegruppe konnte ich viele dieser Hemmungen ablegen, bin selbstbewusster geworden und mache jetzt sogar bei diesem Fotoprojekt mit. So etwas hätte ich früher nicht gemacht. Die Selbsthilfegruppe hat mir wirklich sehr viel gebracht.

Dadurch, dass ich in der Selbsthilfe aktiv bin, habe ich viele Leute kennengelernt und bin auch ein bisschen herumgekommen, weil wir immer zu Veranstaltungen fahren. Man lernt Leute kennen, die dann teilweise eine andere Erkrankung haben oder Eltern von Kindern mit einer anderen Erkrankung. Der soziale Aspekt, der Austausch mit anderen Menschen, gefällt mir besonders gut. Bei solchen Veranstaltungen werden bis zu 40 unterschiedliche Selbsthilfegruppen vorgestellt. Man bekommt Feedback und unterhält sich auch über andere Sachen, nicht nur irgendwelche Krankheiten.

Wenn ich einen schlechten Tag habe, dann bilde ich mir ein, dass die Stellen dunkler und geschwollener sind. Und wenn’s mir mal richtig gut geht, habe ich das Gefühl, dass sie heller und auch weniger geschwollen sind. Früher habe ich mir oft gewünscht, die Krankheit nicht zu haben. Aber mittlerweile habe ich gelernt, damit umzugehen. Und das muss man auch. Entweder man akzeptiert die Erkrankung und kann gut damit leben, oder man geht daran kaputt. Da spielt die Psyche eine große Rolle. Dann lebe ich lieber und lächle auch mal.

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Ich muss meine Haut ein bisschen mehr pflegen. Aufgrund der Hautveränderung habe ich größere Poren und diese müssen gut gereinigt werden, um Entzündungen vorzubeugen. Bei Entzündungen besteht dann nämlich immer die Gefahr, dass es aufgeht und blutet. Dafür verwende ich aber ganz normales Gesichts-Peeling. Makeup trage ich nicht – könnte ich zwar, darauf habe ich aber keine Lust.

Seit einigen Jahren wird Inklusion in Deutschland großgeschrieben. Wenn man nicht der Norm entspricht, wird man leider noch immer von vielen als ‚dumm‘ in eine Schublade gesteckt. Man kann krank und gleichzeitig intelligent sein. Das beste Beispiel dafür ist natürlich Steve Hawkins. Hochintelligent, aber der Körper hatte eine Behinderung. Raul Krauthausen ist auch ein schönes Beispiel. Er ist ein Inklusionsaktivist im Rollstuhl und auch intelligent. In den älteren Generationen existierte der Begriff Behinderung nur im Zusammenhang mit geistiger Behinderung. Kinder mit körperlicher Behinderung wurden teilweise versteckt, damit die Nachbarn das nicht sehen. Heute befinden wir uns in Bezug auf Inklusion schon auf einem guten Weg, es gibt aber noch viel zu tun. Es wird auch politisch mehr gemacht und Dinge ändern sich. Und ebenso spielen die sozialen Medien natürlich eine Rolle. Andere Länder sind allerdings viel weiter als Deutschland.“

Text & Bilder: Kim Oppermann / Instagram @_kleinedinge_

Dieser Text ist Teil des fotografischen Projekts „ein Teil von Mir“ von Kim Oppermann. Die Texte dieser Serie basieren auf Interviews, die in Form von persönlichen Gesprächen mit den Teilnehmenden geführt wurden. Umgangssprachliche Wendungen werden vielfach unverändert wiedergegeben, um den persönlichen Charakter beizubehalten. Auf Wunsch einzelner Teilnehmender, sind deren Namen geändert.

Weitere Arbeiten von Kim findest du auf ihrer Homepage. Du kannst ihr auch auf Instagram folgen.

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