Zuerst wollte ich eine Hommage an das Rauchen schreiben. Ich rauche schon, seitdem ich dreizehn oder vierzehn Jahre alt bin und war immer der Meinung, dass ich kein Suchtproblem habe. Stattdessen idealisierte ich meine Abhängigkeit als „gelegentliche Raucherin“ und noch während ich das lautstark sagte, zündete ich mir schon die nächste Kippe an. Ich finde die Bezeichnung „Hommage“, was in diesem Kontext so viel heißt wie eine Liebeserklärung an die Zigarette, jetzt aber doch ein wenig übertrieben. Außerdem – kann ich überhaupt etwas lieben, das so verdammt schlecht für mich ist? Vermutlich ja, denn gerade weil ich sehr anfällig für toxische Substanzen bin, hat mich das Thema „Schluss mit dem Rauchen“ einfach nicht gekriegt. Bis ich angefangen habe, über meinen Nikotinkonsum zu schreiben.
An meine erste Zigarette kann ich mich nicht mehr erinnern. Aber an den Nikotingestank, mit dem ich als Kind aufwuchs. Mein Vater ist Kettenraucher. Ich war sechs oder sieben Jahre alt, mein Bruder ist drei Jahre jünger als ich. Damals waren wir schon nicht mehr seine Kinder, sondern sogenannte Wochenendkinder. Unsere Beziehung bestand im Wesentlichen darin, dass mein Bruder und ich alle zwei Wochen von ihm abgeholt wurden und in einem unaufhaltsamen Konkurrenzkampf mit unserer Mutter die darauffolgenden Tage mit Ausflügen bestochen wurden. Am Sonntag waren dann alle erleichtert, als es wieder in Richtung Normalität ging. Doch mit meiner Nikotinsucht hat das nichts zu tun, sondern mit dem Versprechen, dass ich mir auf dem Rücksitz meines Vaters, der besonders gut darin war, rücksichtslos „alles vollzuqualmen“, wie meine Mutter immer säuerlich kritisierte, gab: Ich werde niemals mit dem Rauchen anfangen!
Die Lust, damit anzufangen, packte mich dann aber doch recht früh. Auf dem unabhängigen Informationsportal rauchfrei der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung stand etwas dazu. Kinder von Raucher:innen greifen mit hoher Wahrscheinlichkeit später selbst zur Zigarette. Wie mein Bruder, der nahezu ständig raucht, und ich, die „Gelegenheitsraucherin“ seit nunmehr vierzehn Jahren. Und weil mein Vater nach der Scheidung eine Raucherin heiratete, waren wir gleich zwei rauchenden „Elternteilen“ ausgeliefert – wenn auch nur im zweiwöchentlichen Zyklus. Damit gehören wir zu den 43 Prozent der Kinder und Jugendlichen im Alter bis 17 Jahren, bei denen zumindest ein:e Erziehungsberechtigte:r raucht. Während ich das hier schreibe, zünde ich mir übrigens eine Zigarette an. Das hilft mir beim Erinnern.
Als mein Vater noch das schwarze Cabrio fuhr, das im Innern mit Ledersitzen ausgestattet war, bekam ich regelmäßig Kopfschmerzen. Denn: Wenn man Nichtraucher:in ist, wird Tabakrauch zu einem ekelerregenden Gestank, der Schwindelgefühle auslösen kann. Genau das wartete auf mich und meinen Bruder alle zwei Wochen, auf einer 1,5-stündigen Autofahrt, während wir aus dem Süden in die zweitgrößte Stadt Frankens fuhren. Bei geschlossenen Fenstern und einer halben Packung Gaulois. Wenn ich danach noch geradeaus schauen konnte, war es eine gute Fahrt. Mein Vater war immer ein Raucher, den es nicht interessierte, ob die Nichtraucher:innen in seiner Nähe nach frischer Luft hecheln mussten. Stattdessen fragte er schon nach dem Aschenbecher, bevor man sich überhaupt hingesetzt hatte.
Da ich nie enden wollte wie er, abhängig von einer großen Packung Galois am Tag, entwickelte ich in meiner Kindheit eine Abneigung gegen Zigaretten. Doch ich blieb nicht konsequent und änderte meine Meinung. Und jetzt erinnere ich auch wieder an meine erste Kippe. Ich war dreizehn Jahre alt und ließ mich von einem Jungen, den ich toll fand, zum Paffen überreden. Ich hatte eigentlich keine Lust damit anzufangen, aber ich traute mich nicht, nein zu sagen. Warum bin ich so leicht beeinflussbar?
Die Zigaretten wollte ich dann jedenfalls nicht mehr sein lassen, aber die eigentliche Abhängigkeit folgte erst ein paar Jahre später. In meiner Jugend rauchte ich heimlich mit meinen Freund:innen und auch nur ab und zu. Heute liebe ich es, morgens auf dem Balkon zu sitzen, einen Kaffee zu trinken und dabei die erste Zigarette des Tages anzuzünden. Ich liebe diesen kleinen Moment der Aufregung, wenn ich mit einer Person, die ich gut finde, in ein Gespräch verwickelt bin, während wir zusammen eine rauchen. Ich liebe es, mich von Partys wegzuschleichen, um mir mit dieser Person eine Zigarette zu teilen. Und ich liebe es, wie mir das Rauchen zu mehr Konzentration verhilft, wenn ich einen Artikel über meine Nikotinsucht schreibe.
Und wieder bekomme ich Lust auf eine Zigarette. In diesem Moment sitze ich im Büro des Hotels, in dem ich gerade auf Korfu arbeite. Eigentlich habe ich die Leitung des Kinderprogramms, doch heute, an einem Dienstag sitze ich hier und passe auf die Anlage auf. Wenn ich die hellblau gestrichene Tür zum Flur öffne und nach links schaue, sehe ich das griechische Team in der Raucherecke sitzen. Wie ich hat der Großteil von ihnen bereits in der Jugend mit dem Rauchen angefangen. Das ist vermutlich nichts Neues, doch ich erwähne es gerne einmal: Je jünger eine Person beim Einstieg ins Rauchen ist, umso größer ist das Abhängigkeitsrisiko. Nun setze ich mich auf die kalten Stufen des Steinbodens, schaue in die müden Gesichter meiner Kolleg:innen, ziehe ein paar Mal an meiner Zigarette und frage mich, wieso ich meinen Körper mit diesem Gift vollpumpe. Achselzuckend ziehe ich noch mal daran.
Umso länger ich darüber nachdenke, wird mir bewusst, dass ich für mich und das Rauchen keine Zukunft sehe. Doch wann meine Liebesbeziehung mit der Zigarette enden wird, weiß ich jetzt gerade noch nicht. Aufhören möchte ich aktuell nicht. Nikotin entspannt, das steht irgendwo und es stimmt. Kaffee und Zigaretten sind für mich als Autorin oft wichtiger als Nahrung. Es ist erst Nachmittag, und ich habe bereits drei Zigaretten geraucht und denke schon über die nächste nach. Wenn ich ehrlich zu mir bin, weiß ich, dass ich rauche, weil ich süchtig bin und nicht, weil es mir schmeckt oder meine Finger danach so gut riechen. Die Sucht ist wie mit einem Sog im Meer. Wenn man ihn unterschätzt, weil man denkt „Ich kann ja gut schwimmen und bin kräftig“, aber man wird trotzdem mitgesogen. Aber mir selbst dafür die Schuld geben möchte ich nicht. Das würde nur ein weiteres Problem mit sich ziehen: Ich mache mir Stress. Und unter Stress ist es wieder schwerer, nicht zu rauchen.
Warum liefere ich diesen lausigen Artikel über meine Nikotinsucht ab? Ich stehe im Zwiespalt, daran bin ich schon selber schuld. Einerseits liebe ich es zu rauchen, andererseits kann ich mich damit nicht mehr identifizieren. Diese Erkenntnis hatte ich schon vor einigen Monaten, doch jetzt vor wenigen Tagen, als ich darüber nachdachte, wie verantwortungslos mein Verhalten gegenüber den Kindern ist, mit denen ich hier im Hotel arbeite, wird das Verlangen nach Schluss machen stärker. Es ist so, dass ich dieses Bewusstsein, ein schlechtes Vorbild zu sein, mit mir nicht mehr vereinbaren kann – das ist neu für mich. Irgendwie habe ich nie damit angefangen, mir Gedanken über das Verhalten mit meinem Nikotinkonsum zu machen, während Kinder in meiner Nähe sind. Manchmal sprechen sie mich darauf an, dass ich rauche. Ich sage dann so etwas wie „Ja, aber das ist okay. Weil ich Glückszigaretten rauche“. Wenn sie mich im Anschluss danach fragen, was das sein soll, fällt mir keine pädagogisch wertvolle Antwort dazu ein. Also grinse ich und rauche einfach weiter. Denn das Rauchen hilft mir auch dabei, mit Stress fertig zu werden.
Mein Raucherdasein bringt so viele Nachteile mit sich. Das kann ich nicht mehr leugnen. Neben den moralischen Fragen beschäftigt mich nun auch meine Gesundheit. Wenn man wie ich auf die 30 zugeht, bekommt man schnell Gewissensbisse wie etwa bei einem trockenen Mund, Karies oder einen richtig ekligen verschleimten Hals, verursacht durch den Gedanken, dass man sich gleich eine Zigarette anzünden wird. Der Haken beim Rauchen ist, dass Tabakrauch tausende giftiger und krebserregender Substanzen enthält. Das steht sogar auf der Verpackung: “Rauchen schädigt ihre Lunge, verstopft Arterien, lässt ihre Haut altern und kann tödlich sein.” In Deutschland sterben jedes Jahr rund 127.000 Menschen an den Folgen des Rauchens. Das sind 6.000 mehr als noch 2015 – und 13,3 Prozent aller Todesfälle überhaupt.
Ich habe es mir bisher nicht zum Anlass genommen, mir ernsthafte Sorgen um meine eigene Gesundheit zu machen – und das, obwohl ich schon oft darüber nachgedacht habe, mit der Zigarette Schluss zu machen. Stattdessen frage ich mich nun, welche Auswirkungen meine Nikotinsucht auf die Kinder haben wird, nachdem sie mich dutzende Male beim Rauchen erwischt haben. Weil ich nie darüber nachgedacht habe, dass Rauchen besonders dann schlecht sein könnte, wenn es darum geht, andere mit reinzuziehen. Dass ich selbst zum Raucheropfer meiner eigenen familiären Situation geworden bin, wird mir erst mit dem Verfassen dieses Artikels klar. Und nun soll ich diese Person für andere sein? Die Zigarette kam, mit halbfertigem Wissen und öffnete, ziemlich gut gelaunt, die Tür. Kaum war sie aus, wehte ein großes Verlangen nach mehr, und ich war erneut gefangen. Ich glaube, nun ist es an der Zeit, Schluss zu machen. Es wird nur noch ein paar Anläufe brauchen. Und spätestens dann habe ich auch keine Lust mehr auf Kaffee.
Dieser Text erschien zuerst auf DIEVERPEILTE.
Foto: Julia Huszti

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Autor:innen
Ist in Nürnberg aufgewachsen, brach erfolgreich drei Studiengänge ab und entdeckte ihre Leidenschaft für den Journalismus durch ein Praktikum in einer Musikredaktion. 2019 gründete sie das DIEVERPEILTE-Magazin. Themenschwerpunkte sind Mental Health, Krankheiten, soziale Ungerechtigkeit, Sexualität und Drogen.