WARNUNG: Dieser Text enthält Schilderungen von Drogenmissbrauch.
“Techno Dance Tutorial”, “Get Ready With Me: Rave Edition” oder auch Party-Videos mit flackerndem Strobolicht, unterlegt mit viralen Hard-Techno-Tracks: TikTok und Instagram sind seit einem Jahr voll davon. Teilweise werden diese Clips millionenfach geklickt, geliked und geteilt. Was sonst nur Menschen sehen konnten, die am Wochenende in Techno-Clubs unterwegs waren, ist nun für die breite Masse zugänglich.
Underground ist Techno schon lange nicht mehr. Ganz im Gegenteil: Er ist im Mainstream angekommen. Das ist mir selbst auch schon beim Feiern aufgefallen, sei es durch Partygänger:innen, die trotz Foto- und Videoverbot ihr Handy zückten und gefühlt weniger Rücksicht erkennbar war. Dieser Hype kann die Party-Experience zum einen unentspannt machen. Zum anderen kann diese dadurch auch ganz schön gefährlich werden – sogar tödlich enden. Wie beispielsweise bei einer jungen Frau, die 2017 im Berghain verstarb. Oder bei der 25-Jährigen, die 2021 an einer Überdosis GHB im Suicide Club ihr Leben verlor, oder bei dem Mann, der letzten Sommer während eines illegalen Raves nahe Köln starb. Ähnliche Erfahrungen hat auch Mark* (31) aus Hamburg gemacht. Seit er 18 Jahre alt ist, geht er ausschließlich auf Techno feiern – dabei hat auch er in den letzten Jahren krasse Veränderungen feststellen müssen. Wie sich die Szene gewandelt hat, wieso das so gefährlich ist und was dagegen getan werden kann, darüber habe ich mit ihm via Zoom gesprochen.
DIEVERPEILTE: Hey Mark, vielen Dank erst mal für deine Zeit. Du gehst auf Techno-Partys, seit du 18 bist. Wie bist du in die Szene gekommen?
Mark: Ich habe damals selbst Partys organisiert. Das war nicht wirklich Techno, sondern eher Maximal Electro. Durch eine Bekanntschaft bin ich dann erst zu Techno gekommen. Seitdem gehe ich nur noch auf Techno-Partys.
Was fandest du an der Szene spannend, dass du nur noch auf Techno-Partys gehst?
Das war vor allem die Offenheit der Leute. Gefühlt haben sich alle lieb und keiner schlägt sich. Für mich fühlte es sich damals so an, dass alle eine kleine Gemeinschaft sind. Dann kam ebenfalls noch der Drogenkonsum dazu. Der ist bei anderen Musikrichtungen nicht das Gleiche wie bei Techno.
Was genau meinst du damit?
Meiner Meinung nach gibt es keine Musikrichtung, bei der man so schnell so stark in den Drogenkonsum reinkommt, weil nach meinem Empfinden fast jede:r auf Techno-Partys Drogen nimmt. Wenn man jünger ist, sagt man auch nicht: ‘Ne, ich mach das nicht.’ Man möchte dazugehören. Aber sobald man einmal drin ist, kommt man nicht mehr so schnell raus. Jetzt im Alter würde ich auch sagen, dass der Konsum mehr negative als positive Aspekte hat.
Kannst du das etwas erklären?
Ich habe sehr viele schlimme Situationen beim Feiern erlebt. Nicht unbedingt bei mir selbst, sondern auch bei Freund:innen. Zum Beispiel einen Todesfall und allgemein viel Überkonsum. Natürlich ist es positiv, dass man sich aufgrund der Wirkung der Droge mehr gegenüber anderen Menschen öffnet und mit fremden Personen intime Momente teilen kann. Man wird empathischer und hat ein verstärktes Redebedürfnis. Allerdings beschönigen Drogen auch einiges und ich wäre ohne Konsum in meiner persönlichen, emotionalen Entwicklung viel weiter, als ich es jetzt bin. Daher würde ich sagen, dass es mehr Nach- als Vorteile hat.
Hat sich die Szene in den letzten Jahren verändert und wenn ja: Was für einen Wandel konntest du feststellen?
Ich kann jetzt vor allem von der Hamburger Techno-Szene sprechen: Früher hatten wir wirklich das Gefühl, eine Familie zu sein. Jede:r kannte jede:n. Mittlerweile geht es oft nur noch darum, wer du bist, wie du tanzt, welchen Harness du trägst und welche Drogen du nimmst. Es geht viel mehr um das ganze Äußerliche und Oberflächliche. Und nicht mehr um das Gemeinschaftliche und dass es ein Safespace ist, wo sich alle frei ausleben können.
Wie genau zeigt sich das?
Leute stehen jetzt vorm DJ-Pult und klatschen die ganze Zeit oder schreien rum. Das wurde vorher nicht wirklich gemacht. Außerdem werden Ecken bzw. Clubs gefilmt, die nicht gefilmt werden dürfen. Ich wurde zum Beispiel in einem Hamburger Club beim Tanzen in einem Harness gefilmt. Das ist für mich nicht schön, weil ich mich dadurch nicht sicher fühle und es sollte egal sein, ob ich ein Harness trage oder nicht.
Was denkst du, haben die sozialen Medien damit zu tun?
Seitdem Techno ein Trend auf Social Media geworden ist, sei es auf TikTok oder Instagram, gibt es sehr viele Menschen, die jetzt auch auf Techno-Partys gehen möchten. Das ist auch gar kein Problem, allerdings verstehen manche Leute nicht, was ursprünglich dahintersteckt: Es ist ein Safespace und ein Ort, an dem sich ausgelebt werden kann, wie es im ‘echten Leben’ vielleicht nicht möglich ist. Plötzlich wird das Handy gezückt, es werden Leute gefilmt oder auch offen auf der Tanzfläche konsumiert, was meiner Meinung nach auch nicht sein muss. Das macht auf Dauer die Szene kaputt.
Apropos Konsum. Du meintest ja bereits, dass es in keiner Szene so ausgeprägt ist wie in der Techno-Szene. Wie problematisch ist das deiner Meinung nach und hast du das Gefühl, dass immer mehr Drogen genommen werden?
Ja, vor allem gibt es immer mehr Konsumierende, die gerade mal volljährig sind – wenn überhaupt. Viele wollen mithalten und cool wirken – sie denken, dass sie dafür Drogen nehmen müssen. Das führt dazu, dass die Leute gar keine Kontrolle mehr über sich und ihren Körper haben. Es ist auf jeden Fall ein Problem. Man muss zum Beispiel kein G (GHB/GBL) nehmen. Man kann auch ganz ohne Konsum feiern gehen. Ich glaube, dass es teilweise Gruppenzwang ist. Letztendlich rutschen Leute dadurch so ab, dass sie nur noch feiern gehen, um Drogen zu nehmen und nicht mehr, um zu feiern.
Demnach würdest du sagen, dass viele Leute weniger Awareness für die Personen um sich herum haben?
Auf jeden Fall! Früher hatten alle Feiernden ein Auge darauf, ob zum Beispiel jemand in der Ecke liegt und im Notfall haben wir uns um die Person gekümmert – auch wenn man sie nicht kannte. Jetzt habe ich schon ein paar Situationen erlebt, die sehr unschön waren. Beispielsweise im Berghain im Darkroom: Ein Mann hat mit einem anderen geschlafen und als er fertig war, ist er aufgestanden und gegangen. Der andere war bewusstlos. Als wir dann meinten: ‘Hey, dein Kumpel ist bewusstlos und liegt da.’, meinte er: ‘Keine Ahnung, ich kenne den nicht.’ und ist einfach abgehauen. Es waren zig Menschen da und außer uns hat keiner etwas gemacht. Ein paar aus unserer Gruppe sind dann zur Bar gegangen, um Hilfe zu holen. Die anderen sind bei ihm geblieben und haben aufgepasst. Das Barpersonal hat dann alle aus dem Darkroom geschickt und ab da übernommen.
Was denkst du, woher diese Gleichgültigkeit kommt?
Zum einen ist es das fehlende Verständnis, zum anderen der Drogenkonsum. In Hamburg ist jemand aufgrund eines zu hohen G-Konsums gestorben. Nach seiner Beerdigung saßen wir zusammen, haben auf ihn angestoßen und auf einmal haben Leute G rausgeholt. Das war so makaber. An dem Tag habe ich auch mein letztes G weggekippt und es nie wieder genommen.
Was denkst du: Wie kann man Menschen, die neu in die Szene kommen, dieses Verständnis, wofür Techno eigentlich steht, vermitteln?
Ein Hamburger Club macht das meiner Meinung nach ganz gut: Am Eingang gibt es eine Tafel mit Club-Regeln. Beispielsweise, dass sich alle entfalten können, wie sie möchten. Dass man niemanden anstarrt und auch nur anfasst, wenn es gewollt ist. Also Regeln, wie man sich auf einer Techno-Party verhält. Die müssen einmal gelesen werden und es muss kommuniziert werden, dass man das verstanden hat. Ich finde es auch wichtig, an den Türen allgemein mehr zu selektieren, in Bezug auf den Umgang bzw. die geltenden Regeln in Techno-Clubs. Es muss direkt vermittelt werden, worum es geht. Allgemein sollten sich Clubs überlegen, welche Gäste sie haben möchten. Letztendlich ist es deren Verantwortung, den Konsum zu kontrollieren, aber auch sexuelle Übergriffe und Diskriminierung zu verhindern.
Wie können Clubs die Verantwortung für den Konsum auf den eigenen Veranstaltungen übernehmen? Wie kann denn die Sicherheit der Gäst:innen gewährleistet werden?
Zum einen muss Aufklärung betrieben werden, beispielsweise in Form von Plakaten bezüglich des Konsums und was zu beachten ist. Außerdem braucht es Awareness-Teams, die Party-Gänger:innen im Notfall ansprechen und nach Hilfe fragen können.
Sollten nur die Clubs die Verantwortung übernehmen?
Wir sollten als Gemeinschaft gegen diese Entwicklung ankämpfen, darauf achten, dass Safespaces auch sicher bleiben und die Leute aufklären. Ich selbst spreche beim Feiern auch mit Leuten darüber und sage auch immer ganz klar: ‘Nehmt kein G!’ Aber auch die ganzen Clubseiten, Club-Kommissionen oder Influencer:innen sollten mehr Aufklärung über Social Media betreiben. Oder es wird, wie gesagt, über Info-Plakate in den Clubs kommuniziert. Drogenkonsum sollte thematisiert werden und auch, dass man nichts zwangsweise etwas nehmen muss, um auf Techno feiern zu können.
ILLUSTRATION: TERESA VOLLMUTH
*Name von Redaktion geändert.
Du bist Veranstalter:in und möchtest deinen Partygäst:innen künftig zu mehr Sicherheit auf deinen Partys verhelfen? Hier kannst du dich über den Aufbau von Awareness-, Diversity- und Antidiskriminierungsstrukturen informieren.

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Autor:innen
Seit 2020 Redakteurin bei DIEVERPEILTE. Hat Kommunikationswissenschaften studiert und machte 2022 ihren Master in Journalismus. Themenschwerpunkte sind Gesellschaftspolitik, Mental Health und Musik.