Das Erste, was mir an Theo Carow auffällt, ist seine offene Art, seine herzliche Begrüßung und das breite Lächeln. Wir kennen uns nicht und dennoch ist er mir gleich sympathisch. Andere Menschen würden vielleicht zunächst den schwarzen Nagellack oder die Ketten bemerken, die er trägt. Im Endeffekt gibt es zwei Arten einem Menschen zu begegnen, die innere und die äußere. Entweder du siehst den Menschen in seiner Natur, als das was er ist – seinen Charakter. Oder du konzentrierst dich auf Äußerlichkeiten, die dir zunächst wenig über den Menschen hinter der Fassade verraten. Auf Social Media findet häufig leider nur Letzteres statt. Der Nagellack verliert schnell an Bedeutung, obwohl er uns doch viel über Theos Geschichte und seine Persönlichkeit verrät. 

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Bei der Thematik Nagellack und Mann lassen sich die Echos der toxischen Männlichkeitskammer auf Social Media schwer überhören. Sätze wie „Männer sollten keinen Nagellack tragen“ sind leider immer noch fester Bestandteil der Social Media-Community. Das Widersprüchliche an der äußerlichen Wahrnehmung ist die Diskrepanz innerhalb der Bewertung. An einem Ort der Selbstdarstellung, der zugleich von geschlechtsspezifischer Sozialisation und heteronormativen Standards geprägt ist, sorgt eine Kleinigkeit wie Nagellack für viel Diskussion. Entweder es wird als Trendfaktor angesehen und Theos eigentliches Statement gegen toxische Männlichkeit an Wert abgesprochen. Oder es wird verurteilt als abnormal – was auch immer das heutzutage überhaupt bedeuten mag. Theo durchlebt als Influencer und TikToker tagtäglich eine Beurteilung durch Dritte. 1.7 Millionen Nutzer:innen auf TikTok und auf Instagram 216 Tausend, die Theos Content sehen und jeder Tag ist wie ein Test oder eine Probe, der er sich stellen muss. Inklusive Hassnachrichten, die er lesen muss und die ein Teil seiner Normalität geworden sind.  

Social Media ist wie ein großer Schrank mit vielen verschiedenen Schubladen. Wenn du dich präsentierst, wirst du automatisch in eine dieser Schubladen gesteckt. Ihre Struktur und ihre Erwartungen werden auf dich projiziert und du passt dich an. Du versuchst in eine Schublade zu passen. So, dass du von anderen akzeptierst wirst. Aber was ist, wenn du in mehrere Schubladen passt und trotzdem gezwungen wirst, dich anzupassen, dich zu integrieren. Theo kennt dieses Gefühl. Vor kurzer Zeit hat er sich als bisexuell geoutet. Ein mutiger Schritt, der Überwindung gekostet hat. Nicht nur, weil sich Theo zuvor in einem sehr heteronormativen Umfeld befunden hat, da er jahrelang American Football gespielt hat, sondern auch, weil er im Fokus der Öffentlichkeit steht. Anstatt von der LGBTQ- Community mit offenen Armen empfangen zu werden, wurde ihm Queerbaiting vorgeworfen. 

Aber was genau bedeutet dieser Begriff? Queerbaiting bezeichnet einen kommerziellen Profit durch das Teilen von queeren Inhalten. Diese werden folglich für eigene Zwecke missbraucht, um Aufmerksamkeit und Klicks zu generieren. Wenn du eine große Zielgruppe hast, wie es bei Theo der Fall ist, kann sich solch ein Vorwurf schnell lauffeuerartig verbreiten, sodass sich der Shitstormbrand nicht mehr löschen lässt. Sicherlich ist Queerbaiting ein weitverbreitetes Phänomen, jedoch hat es die Cancel Culture an sich, schnell Menschen zu verurteilen, ohne zu hinterfragen. Theos Wunsch nach Akzeptanz und Zugehörigkeit wurde schnell zunichte gemacht und hat sogar zu einem Persönlichkeitsbruch geführt, wie er mir erzählt. Daraufhin hat sich bei ihm ein Gefühl des Verrats eingeschlichen, denn ein Outing bedeutet, einen privaten und sehr persönlichen Teil von sich selbst preiszugeben. Es bedeutet, dass du dich angreifbar und verletzlich machst. Leider ist bei Theo genau dies eingetroffen – eine Verurteilung. Die geschlechtsspezifische Sozialisation sorgt folglich nicht nur für Schubladendenken, sondern auch für eine antizipative Beurteilung.

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Für Theo war es schwer, sich aus diesem toxischen Umfeld zu befreien und trotz Zweifeln an seiner Identität nicht seine Werte und Überzeugungen zu verlieren – „Es war krass.“ Während Theo mir von seiner Verunsicherung und auch anfänglicher Angst erzählt, merke ich, wie sehr ihn dieser Shitstorm mitgenommen hat. Mir fällt auf, dass er sichtlich nervös ist, während er über diese Erlebnisse redet. Seine Hand hält einen Kugelschreiber fest umklammert. Seine Knochen scheinen weiß hervor – ein Stück Kontrolle. Kontrolle, die er damals nicht hatte. Denn das Traurige ist, dass wir nicht kontrollieren können, wie wir durch Andere wahrgenommen werden. Wir können ihre Meinungen über uns nicht kontrollieren, sondern lediglich beeinflussen. Daher hat sich Theo entschieden, ein Statement abzugeben. Ein Statement, dass seine Werte und Identität widerspiegeln. Indem er nicht nur zu seiner Sexualität, sondern auch zu sich selbst steht. Indem er die Botschaft hinter dem schwarzen Nagellack erklärt und sich bewusst gegen toxische Männlichkeit stellt. 

Im Endeffekt haben wir keine Kontrolle über die Aktivitäten auf Social Media. Wir sind Prosument:innen, die konsumieren und produzieren und beides beeinflusst uns selbst und andere. Es ist eine Koexistenz von Gut und Schlecht. Von Liebe und Hass. Von Akzeptanz, aber auch von Diskriminierung. Was wir jedoch kontrollieren können, ist unser Umgang damit. Ein bewusster Umgang und Medienkompetenz können Lebensretter sein. Denn psychische Krankheiten sind die Konsequenz von falschem Medienkonsum. Theo betont, dass er sich selbst als fehlbares Vorbild sieht. Er ist ein Influencer und beeinflusst natürlich seine Zielgruppe durch die Inhalte, die er teilt. Jedoch ist es wichtig zu wissen, dass vieles auf Social Media mehr Schein als Sein ist. Nicht nur übertriebene Schönheitsideale, sondern auch unrealistische Lebenseinstellungen werden geteilt und als normalisiert dargestellt.

Theo selbst sieht TikTok Deutschland ebenfalls kritisch: „Es gibt viele Influencer:innen, die ‚glatt wie ein Aal‘ sind, damit man möglichst wenig Fläche zum Angreifen hat“. Er selbst hat sich auch dabei erwischt, sensible Inhalte nach einem Shitstorm nicht mehr zu teilen, aus Angst verurteilt zu werden. Ich finde Theos Ehrlichkeit und Offenheit sehr bewundernswert, da er nicht den Schein wahrt, aus Angst seine Reichweite zu gefährden. Er hat es geschafft, sich von dieser Vorsicht zu befreien, anstatt sich selbst zu verstellen, um anderen zu gefallen. Daher ist es wichtig, Unvollkommenheit und eigene Fehler zu akzeptieren und diese auch zu teilen. Theos größte Angst besteht genau in diesem Drang nach Perfektion. „Das kann den Content von vielen Menschen beeinflussen, die etwas verändern wollen“. 

Als TikToker weiß Theo, welche Schattenseiten mit der Plattform einhergehen. Viele der Millionen Nutzer:innen wissen das jedoch leider nicht. „TikTok und Co. sind nicht mental health-fähig“. Das musste er selbst am eigenen Leib erfahren. Bei ihm hat sich die Verunsicherung in Form von Selbstzweifeln gezeigt. Das ist nicht nur bei einem Influencer wie Theo der Fall, sondern insbesondere bei jungen Menschen, die täglich Zeit in den sozialen Netzwerken verbringen und dabei eine Abhängigkeit zu den reizüberfüllten Inhalten entwickeln. Die Gefahr ist eine fehlende Filterung der Inhalte – ohne Reflexion. Theo kennt das Gefühl dieser Sucht zu unterliegen und die Kontrolle zu verlieren.

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Alle Fotos von Lea May / edit: Teresa Vollmuth

„Wenn man merkt, dass man den Drang besitzt, weiter zu konsumieren, sollte man stoppen“, so Theo. „Sonst verfällt man wieder einer Spirale, die dich tiefer und tiefer zieht.“ Wir müssen uns bewusst werden, dass die sozialen Netzwerke sowohl Schatten- als auch Lichtseiten haben. Sie können dabei helfen, Aktivismus zu unterstützen und für Themen wie die LGBTQ-Community oder Feminismus zu sensibilisieren. Sie können aber auch Shitstorms, Hass und Hetze hervorrufen. Ein bewusster Konsum ist daher essenziell, um sich selbst nicht zu gefährden, um sich selbst nicht zu verlieren. Theo hat sich verloren, aber zum Glück wiedergefunden. Jetzt kann er selbstbewusst zu sich und seinen Werten stehen und ein fehlbares Vorbild für seine Community sein. „Wenn man dafür Hate bekommt, dann ist das eben so“. Eine Einstellung, die sich sowohl Männer als auch Frauen im Patriarchat aneignen sollten. 

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