Warnung: Dieser Text enthält Schilderungen von sexuell übertragbaren Krankheiten.
Stell dir vor, du hast einen Albtraum. In diesem Traum hast du mit einer Person ungeschützten Sex und mit einem Mal fängt dein Intimbereich an zu jucken, weil sich, wie du dann wenige Tage später merkst, etwas verändert hat. Du nimmst einen Spiegel in die Hand und hältst ihn vor deinen Schambereich. Nun erkennst du sie: Kleine Warzen, die zu größeren blumenkohlartigen Wucherungen heranwachsen. Hast du eine Vulva, können diese auch in deiner Scheide sein, sogar in der Harnröhre oder in der Blase. Das merkst du daran, dass es juckt oder brennt. Hast du einen Penis, befinden sich die Feigwarzen am Penisschaft, an der Eichel oder auch zwischen den Schamhaaren. Du wirst wach durch einen lauten Schrei. Es ist dein Gewissen, das nun entsetzt ruft: Warum hast du nicht verhütet? Aber es ist kein Traum. Es ist die Realität, die viele Menschen erleben.
HPV ist die Abkürzung für Humane Papillomviren. Fast jeder Mensch infiziert sich einmal im Leben mit dem nicht meldepflichtigen Virus. Hinzu kommt, dass es sowohl bei Frauen als auch bei Männern auftritt. Meist ist das kein Problem – HPV kann aber auch zu Tumoren am Penis oder Gebärmutterhalskrebs führen. Laut RKI erkranken daran jährlich 6.250 Frauen und 1.600 Männer. Neben Krebs können HP-Viren auch Genitalwarzen verursachen. Ein Albtraum, der für die 24-jährige T. wahr geworden ist. Im Interview erzählt sie von ihrer Erfahrung mit dem scheinbar harmlosen Virus, über das kaum jemand spricht.
DIEVERPEILTE: Wie hast du gemerkt, dass du dich mit dem HPV-Virus angesteckt hast?
T.: Das war im Januar während einer Routineuntersuchung bei meiner Frauenärztin. Ich hatte bereits von dem Begriff gehört und war sogar gegen die beiden wichtigsten Hochrisiko-HPV-Typen 16 und 18 geimpft.
Trotzdem hast du dich angesteckt?
Ja.
Wie ist das möglich?
Meine Frauenärztin sagte mir, dass es sich dabei um einen Virus-Typ handeln könnte, gegen den ich nicht geimpft wurde.
Es gibt also nicht nur eine HPV-Variante, sondern gleich mehrere? Worin unterscheiden sie sich?
Insgesamt gibt es mehr als 200 verschiedene HPV-Typen. Doch nur 40 davon lösen genitale Erkrankungen wie Warzen oder Krebs aus. Die meisten davon sind definiert als „Typen mit niedrigem Risiko“, diese sind so gut wie nie direkt an der Bildung von Tumoren im Gebärmutterhals verantwortlich. Die Typen mit „hohem Risiko“, welche eben direkt an der Bildung von Tumoren beteiligt sind, sind 16, 18, 31, 33 . Es gibt aber noch zwei weitere Kategorien: „möglicherweise hohes Risiko“ und „nicht definiert“.
Du meintest eben, dass du gegen das Virus geimpft wurdest. Weißt du noch, welche Typen das waren?
Ich wurde gegen die Hochrisiko-Typen 16, 18, 31 und 33 geimpft.
Und welche HPV-Infektion wurde bei dir festgestellt?
Das konnte man mir nicht sagen. Um das herauszufinden, hätte man meine Werte ins Labor schicken müssen.
Wieso ist das nicht geschehen?
Ich hätte die genauen Werte beantragen können, hätte den Befund jedoch aus eigener Tasche bezahlen müssen. Zu der Zeit war ich sehr pleite und habe abgelehnt. Nun überlege ich, das beim nächsten Besuch nachzuholen.
Wie hast du dich mit dem Virus infiziert?
Vermutlich beim Geschlechtsverkehr. Die Ärztin sagte mir aber auch, dass ich mich durch den direkten Kontakt mit infizierten Gegenständen wie einer Klobrille angesteckt haben könnte.

Du sagst „vermutlich beim Geschlechtsverkehr“. Das bedeutet, du hast nicht verhütet?
Achso … nein. Das vergesse ich manchmal.
Vergessen?
Ein, zwei Mal ist das schon vorgekommen. Bei den meisten Männern habe ich verhütet und da, wo das Vertrauen da war, eben nicht. Ich glaube, ich hatte immer mehr Angst davor, schwanger zu werden, als davor, eine Geschlechtskrankheit zu bekommen. Und das war wahrscheinlich auch der Fehler. So hatte ich zwar meinen Zyklus im Blick, aber nicht den Schutz vor Krankheiten.
Hat sich dein Verhütungsverhalten denn durch die Ansteckung mit dem HPV-Virus nachhaltig verändert?
Jetzt, wo ich weiß, dass ich etwas übertragen kann, ist es ganz anders. Auch wenn das HPV-Virus häufig vorkommt, wovon immerhin 70 bis 80 Prozent aller sexuell aktiven Menschen betroffen sind, ist das Wissen darüber, dass man etwas übertragen kann, ein komisches Gefühl. Man befindet sich dann sozusagen in der Täter:innenrolle, würde man nicht verhüten.
Wie hat sich das Virus bei dir bemerkbar gemacht?
Überhaupt nicht. Ich habe nicht gemerkt, dass ich infiziert bin.
Wie ging es dann nach der Diagnose weiter?
Im Grunde genommen wird nun beobachtet, ob es zu weiteren Veränderungen innerhalb meiner Zellen kommt. Meistens heilt das Virus aber von selbst aus. Bisher habe ich drei Testungen hinter mir. Im September folgt eine weitere Untersuchung. Das Problem ist, dass das Virus bei mir nach wie vor nachweisbar ist. Sollte sich mein Zustand nicht ändern, muss man mir Gewebe entnehmen. Das ist wichtig, weil die Infektion in wenigen Fällen eben auch zu Gebärmutterhalskrebs führen kann.
Wie hast du dich nach deinem Befund gefühlt?
Boa, ganz schlimm. Ich habe erst mal geheult. Die Frauenärztin sagte zwar, dass ich mich aufgrund des Virus nicht stressen brauche und alles wieder gut wird. Sie meinte, dass ich künftig einfach besser aufpassen sollte. Doch es sei wichtig, es weiter zu beobachten. Denn hätte ich zum Beispiel einen Partner, der auch HPV-positiv ist, würden wir uns nach dem Ping-Pong-Prinzip gegenseitig weiter anstecken. Davon hat keiner von beiden etwas.
Du sagtest, deine erste Reaktion nach dem positiven Abstrich war es, zu weinen. Warum hast du dich schlecht gefühlt?
Zu der Zeit hatte ich einen Freund, mit dem ich damals schon zwei Jahre zusammen war. Es war meine erste richtige Beziehung. Ich hatte davor viele verschiedene Sexualpartner, jedoch nie etwas Ernstes. Und dann hatte ich diese Schuldgefühle. Theoretisch hätte ich mich durch meinen Freund mit dem HPV-Virus anstecken können, aber ich hätte es auch aus einer früheren Liebschaft mitgenommen haben können. Ich war einfach unsicher, weil ich nicht wusste, woher es kam.
Hast du mit deinem Freund über die Infektion gesprochen?
Ja, sofort. Ich war total aufgelöst und er beruhigte mich, dass alles gut ist.
Ich würde gerne noch mal auf deine Impfung zurückkommen. Wann war das und was war der Grund für die Impfung?
Die Impfung liegt mittlerweile vier bis fünf Jahre zurück. Dabei handelte es sich um eine Standardimpfung. Ich weiß noch, dass ich zur Frauenärztin kam und sie mich über den Impfstoff aufklärte. Viele Gedanken darüber habe ich mir damals jedoch nicht gemacht. Ich dachte, dass die Ärztin schon wissen würde, was sie mir verabreicht und weiß, was gut für mich ist.
Wie konntest du dir dabei so sicher sein?
Als ich hörte, dass eine Impfung gegen eine sexuell übertragbare Krankheit ist, hatte ich keine Zweifel. Also ließ ich mich impfen, ohne wirklich zu wissen, um welches Virus es sich überhaupt handelt.
Dir war also nicht bewusst, gegen was du geimpft wirst?
Nicht genau. Sie sagte nur, dass das Virus sexuell übertragbar ist und mir Probleme bereiten könnte.
Hattest du vor der Impfung schon mal was vom HPV-Virus gehört?
Nein. Wirklich informiert habe ich mich erst, nachdem ich die Diagnose erhielt.
Hättest du dir mehr Aufklärung gewünscht?
Ja, schon. Einfach nur um zu wissen, worum es geht. Damals hatte ich Angst, weil ich nicht wusste, was es damit auf sich hat. Auch wenn meine Frauenärztin am Telefon versuchte, mich damit zu beruhigen, dass es keine ernste Sache wäre, konnte ich mich von dem Horrorbild in meinem Kopf nicht lösen, mit einer sexuell übertragbaren Krankheit infiziert worden zu sein. Ich hatte das Gefühl, als müsse ich nun andere vor mir schützen. Mehr Aufklärung und das damit verbundene Bewusstsein darüber, dass es mir gut geht und ich es nicht übertrage, das hätte mir, glaube ich schon geholfen.
Das heißt, dir wurde auch erst nach der Diagnose bewusst, dass der HPV-Virus zu Gebärmutterhalskrebs führen kann?
Genau. Das fand ich erst im Laufe meiner Recherche heraus. Das war nicht so cool. Damals schlug man mir nur die erweiterte Untersuchung vor, aber man sagte mir nicht, was das Virus im schlimmsten Fall mit mir machen könnte. Damals wurde ich auch nicht von meiner Ärztin, sondern wie es so üblich ist, von meiner Arzthelferin am Telefon informiert. So war es auf die Schnelle auch nicht möglich, weitere Auskünfte darüber zu erhalten. Da mich die Diagnose und das fehlende Wissen darüber wahnsinnig aufwühlte, fing ich an, selbst zu recherchieren. Ich rief sogar bei einer Hilfshotline an, hatte aber nicht das Gefühl, dass man mir dort wirklich weiterhelfen konnte.
Kennst du andere Leute, die sich mit dem HPV-Virus infiziert haben?
Nein. Das liegt vielleicht auch daran, dass ich nicht mit vielen Menschen darüber gesprochen habe.
Warum nicht?
Ich weiß es nicht. Ich meine, ich schäme mich nicht dafür. Aber es passt auch einfach nicht in die Gespräche rein und seither kam es noch nicht dazu – außer bei den besten Freund:innen, das ist was anderes.
Warum denkst du, dass der Humane Papillomvirus nicht in eure Unterhaltungen passt?
In meinem Umfeld wird generell nicht so oft über Geschlechtskrankheiten gesprochen. Intime Gespräche sind im Allgemeinen nicht so präsent wie andere. Mit guten Freundinnen spreche ich schon darüber, doch mit meinen Kumpels, die es ja genauso betrifft, nicht. Dabei könnte man sich dadurch echt gut vernetzen.
Wie meinst du das?
Stell dir vor, du hast zwei Freundinnen, die sich nicht kennen. Die eine davon hatte das Virus bereits und weiß, was es damit auf sich hat, die andere hat sich gerade damit angesteckt. Würde man die beiden Personen miteinander connecten, könnten sie sich darüber austauschen und gegenseitig helfen. Trotzdem würde ich das nicht tun. Einfach, weil es etwas sehr privates ist.
Obwohl du weißt, wie angsteinflößend die Infizierung mit einer Geschlechtskrankheit sein kann?
Natürlich könnte ich ihnen helfen. Aber die mit sich kommende Entblößung ist ein Schritt, den ich selbst nicht gehen möchte.
Wir sprechen also nicht nur über die Entblößung der Freund:innen, die sich mit einer Geschlechtskrankheit infiziert haben könnten, sondern auch über deine eigene?
Genau. Geschlechtskrankheiten werden in unserer Gesellschaft extrem stigmatisiert, so nach dem Motto: „Die war ja schon überall“. Klar betrifft das nicht den Freundeskreis, doch der internalisierte Druck und die Scham sind trotzdem da.
Deine größte Angst wäre demnach, wenn du offen über Geschlechtskrankheiten sprechen würdest, dass du als „Schlampe“ abgestempelt werden könntest?
Jetzt, wo du es so plumpt sagst, eigentlich nein. Meine Freund:innen wissen ja, dass es nicht so ist.
Und wie ist das bei anderen Menschen aus deinem Umfeld?
Ich glaube, ich bin einfach generell ein sehr ängstlicher Mensch. Es kann auch daran liegen, dass die Angst, etwas von mir preiszugeben, immer unterschwellig mitspielt. Angst davor, in der Gruppe, in der ich mich gerade aufhalte, nicht akzeptiert zu werden. Und dann kann es einer der Gründe sein, dass diese Leute dann denken, ich könnte eine „Schlampe“ sein. Aber sie könnten ja auch denken: „WTF, warum erzählst du mir das“.
Kam es in deinem Umfeld schon mal vor, dass eine Person sich zum Thema Geschlechtskrankheiten äußerte und diese Person dafür verurteil wurde?
Ja safe, so etwas passiert. Allerdings eher in der Schule. Im Freundeskreis und in der Uni kam es selten vor, dass missbilligende Kommentare zu solchen Themen abgelassen wurden. Ich denke, das Eis müsste einmal gebrochen werden, damit produktive und positive Unterhaltungen oder Diskussionen darüber entstehen können.
Wie wäre es, wenn du den Anfang machst?
Bisher habe ich mich noch nicht dazu überwinden können.
Was würdest du Menschen, die über das Sexualverhalten anderer urteilen, gerne zum Abschluss sagen?
Es ist viel wichtiger, darüber zu sprechen, als zu urteilen. Allein die Häufigkeit, in der das HPV-Virus unter uns vorkommt, zeigt, dass es wichtig ist, es anzusprechen, um Vorsorgeuntersuchungen in Anspruch zu nehmen. Und natürlich muss auch ich meine erlernte Scham endlich ablegen, um dem Albtraum einer Infektion ein Gesicht und so zu Normalität verhelfen kann. Das Interview dazu hat mich auf jeden Fall weiter gebracht. Vielen lieben Dank auch dafür.
DIEVERPEILTE: Und ich danke dir für deinen Mut, mit mir darüber zu sprechen.
Noch Fragen?
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Dieser Text erschien erstmals am 9. September 2021 und wurde am 8. Dezember 2022 nochmals aktualisiert.

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Autor:innen
Ist in Nürnberg aufgewachsen, brach erfolgreich drei Studiengänge ab und entdeckte ihre Leidenschaft für den Journalismus durch ein Praktikum in einer Musikredaktion. 2019 gründete sie das DIEVERPEILTE-Magazin. Themenschwerpunkte sind Mental Health, Krankheiten, soziale Ungerechtigkeit, Sexualität und Drogen.