Ich wollte schon immer Sachen besitzen, die ich mir nicht leisten kann, und war jahrelang süchtig nach neuen Dingen. Mit 19 zog ich aus und stürzte mich in die Schulden. Nachdem ich nicht mehr bei meiner Mutter wohnte, ging ich viel fort und fing an, mir Sachen zu anzuschaffen, die ich mir eigentlich gar nicht kaufen konnte. Es wurde zur Gewohnheit, Mahnungen in den Mülleimer zu schmeißen und irgendwann hörte ich auf, mich mit der Tatsache zu beschäftigen, dass ich viele Schulden anhäufe. Im Grunde machte ich das nur, weil Shoppen mein Ego pushte – bis ich 25 war. Heute sammle ich meine Klamotten von der Straße auf, gehe in Second Hand Shops oder in Einrichtungen, die das Zeug gratis hergeben.
Vor zwei Jahren hat ein Besuch im Düsseldorfer Niemandsland mein Leben verändert. Eine Freundin erzählte mir von der Einrichtung, nachdem ich sie fragte, woher sie ihren Pullover hat: „Aus dem Umsonstladen!“.

Der sozioökonomische Nachbarschaftsverein ist ein Treffpunkt für Blumenkinder aus aller Welt, die ein Interesse an einem nachhaltigen Lebensstil haben. Neben Aktiven, die an ihren Projekten arbeiten, trifft man hier auf einkommensschwache Familien, Musiker, Migranten, Schnorrer, Hipster, Kiffer und Menschen, die einfach weniger konsumieren möchten. Ein kollektiv betriebenes Paradies für Hippies und Veganer und mich.
Die Leute, die dort arbeiten und abhängen, begrüßen sich mit einer leidenschaftlichen Umarmung, haben ein ernsthaftes Interesse daran, wie es dir geht, und hinterlassen beim Otto Normalverbraucher womöglich so einige Fragezeichen. Zugegeben, Niemandsländer sind speziell – weshalb ich nicht lange brauchte, mich in sie zu verlieben.
Das Besondere am Umsonstladen ist, dass es alles umsonst gibt und keine Regelung, wer rein darf und wer nicht. Etwas, dass mich anfangs ziemlich verwirrte und mich bei meinem ersten Besuch dazu brachte, eine 15 Euro Spende dazulassen. Ich konnte mir keinen Grund dafür erklären, wieso es okay sein sollte, dass ich mit einer dicken Ladung Kleidung nach Hause gehe, und das kostenlos. Mittlerweile weiß ich, dass das Lager so voll ist, dass man den Leuten das Zeug am liebsten hinterherschmeißen würde.

Der Umsonstladen ist ein Arbeitsplatz, an dem man zur Ruhe kommt. Man trifft sich, trinkt Kaffee, sitzt draußen und verbringt Zeit miteinander. Nebenbei kann man im Laden schauen, ob es etwas gibt, dass man, anstatt zu kaufen dort holen kann. Die U-Ladenhüter möchten die Menschen zum Umdenken bewegen, der Umwelt zu liebe.
Mit meinem zweiten Besuch wurde ich selbst zur Ladenhüterin, indem ich regelmäßig als Ehrenamtliche mithalf. Vermutlich der einzige Job, den ich ernsthaft gemocht habe. Ganz nach meinem Motto: bloß keine Hektik. Viel mehr sind wir dafür, die Dinge langsam und liebevoll angehen zu lassen. Die Bänke im Hof geben den idealen Anlass, um tiefgründige Gespräche zu führen, wenn der Rücken nicht mehr mitmacht oder ein Kunde zum Plausch einlädt.

Bisher lernte ich Umsonstläden in Düsseldorf, Köln, Berlin, Nürnberg, Wien und Hamburg kennen. Letzterer befindet sich in Altona und ist der erste U-Laden Deutschlands, der seit über 20 Jahren besteht und zusammen mit dem Wiener Kostnixladen auch der einzige, der – fragst du mich – unserem Düsseldorfer Konzept das Wasser reichen kann.
Durch meine Arbeit im Umsonstladen und die Mitgliedschaft im Niemandsland lernte ich Menschen kennen, die mich wie ein Familienmitglied behandeln. Einen Monat später, nachdem ich das Paradies entdeckt hatte, zog ich nach Oberbilk, derselbe Stadtteil, in dem sich auch das Niemandsland befindet. Kurz darauf verwandelte ich mich in den „Öko-Hippie“, der ich heute bin. Seitdem verlor ich nie wieder einen Gedanken daran, etwas zu kaufen, was ich mir nicht leisten kann. Ich bin zwar immer noch pleite, aber wenigstens mit einem guten Gewissen.
Heerstraße 19, jeden Freitag und Samstag von 14 bis 18 Uhr, weitere Informationen unter: uladen.de oder auf der Facebookseite.
PS: Meine U-Ladenhüter sind ständig auf der Suche nach neuen Helfern – aktuell können sie nur samstags öffnen, da es nicht genügend Freiwillige für die Freitagsschicht gibt! Schau doch mal vorbei und sag Hallo, im besten Fall nimmst du dir noch etwas mit, dass du nicht kaufen brauchst!
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Autor:innen
Ist in Nürnberg aufgewachsen, brach erfolgreich drei Studiengänge ab und entdeckte ihre Leidenschaft für den Journalismus durch ein Praktikum in einer Musikredaktion. 2019 gründete sie das DIEVERPEILTE-Magazin. Themenschwerpunkte sind Mental Health, Krankheiten, soziale Ungerechtigkeit, Sexualität und Drogen.
Das hört sich wirklich wunderbar an
Konnte mich direkt hineinversetzen und würde am liebsten sofort in diese Atmosphäre mit eintauchen!
Finde es bewundernswert kollektive aufzubauen, gemeinsamen Werten zu folgen, sie aufzubauen.
Freue mich über ganz viele weitere Infos.
Und wer weiß vielleicht komme ich ja mal zu einem Umsonstladen, oder vielleicht kommt er sogar zu mir ?
Wohne in der Nähe von München, und bin auf der Suche nach solchen Freigeistern.
Liebe Grüße an die Niemandländer von: Katyy✨
P.s. bin ein absoluter Fan von Peter Pan
Liebe Katy,
in München gibt es das Konzept BrauchBar – schau doch da mal vorbei! 🙂
LG,
Sofia