Das Träumen von dem Glitz und dem Glam, den ich damals hatte, bevor ich mich entschloss, nach New York City zu fliehen, verging mir relativ schnell, als ich mich in der South Bronx wieder fand. „Nee, also so geht das nicht“, sagte ich mir immer wieder. “If you can make it there, you’ll make it anywhere,” sang der Frank Sinatra über den Big Apple. Nun gut, der Job als Nanny in Manhattan brachte mich schon etwas näher an den Traum von Geld und Unabhängigkeit, dass ich in Hamburg so vermisste. Aber er befriedigte mich nicht. Die Stunden waren endlos und anstrengend, und ich lernte keinerlei Menschen kennen, die in meinem Alter von 22 Jahren waren.
Nach meiner gescheiterten Ehe lernte ich jemand Neues kennen. Er war dreizehn Jahre älter als ich und wirkte selbstbewusst und erfahren. Er war immer fürsorglich und machte einen besonders guten Job darin, mir etwas vorzuspielen. Vier Jahre lang. Eines Tages sagte er zu mir: „Du siehst gut aus, du könntest gutes Geld als Stripper verdienen. Nur tanzen, nicht mehr. Alles ganz harmlos.“ Ich träumte dann davon, Julia Roberts in Pretty Woman zu sein, und obwohl sie darin ja eine Dame der Nacht spielt, fand ich die Story eigentlich ganz drollig, auf diese Weise einen Prince Charming zu finden. Vielleicht ist das mein golden Ticket zum Meer aus Geld? Ich sagte meinem Freund zu, der mir daraufhin die Spielregeln erklärte. Ich dürfte nur strippen, wenn er die Hälfte meines Einnehmen bekommen würde. Alles andere wäre ihm nicht so wichtig. Da hätte ich schon die Notbremse ziehen sollen. Ich dachte dann, alleine könnte ich das nicht bringen und ich bräuchte ihn als Beschützer, obwohl er nie mit mir im Club gewesen war.
So suchte ich mir verschiedene Strip Clubs aus, die in Manhattan auch gerne „Gentlemen’s Club“ genannt werden, um auch hier den Glitz und Glam zu verkaufen. Der einzige Club, der Interesse an mir und meinen A-Körbchen zeigte, war der V.I.P. Gentlemen’s Club an der 20th Street, zwischen der 5th und 6th Ave. Ich war wahrscheinlich noch nie so nervös. Das „Vorstellungsgespräch“ lief so ab, dass du die Besitzer – zwei Albaner – kennenlernst und dich ausziehst bis auf deine Unterhose, dich drehst wie eine Schaufensterpuppe, und beglotzt wirst, wie eine Kuh zum Schlachten. Auch wenn der Manager und die Besitzer, die aussahen wie Tony Soprano und seine Mafia Freunde aus New Jersey nett waren, irgendwas hat mich unwohl gemacht. Mein siebter Sinn hatte Recht: Drogen und Prostitution. Einige Mädchen sah man nur am Anfang der Schicht, sie wurden einmal auf die Bühne aufgerufen und dann traf man sie nur kurz in der Umkleide zum „auffrischen“ und um das Monopoly Geld in echtes Geld zu tauschen. „Merkwürdig“, dachte ich. „Wie machen die so viel Geld im Champagne Room?“ Oh, es wurde mir dann alles sehr schnell klar. Besonders als ich dann das Vertrauen einiger dieser Mädchen gewann.
Rechtlich gesehen darf man sich in New York mit 18 Jahren als Stripper:in “bewerben”, solange der Club keinen Alkohol verkauft, denn legal gesehen ist man mit 21 Jahren erst erwachsen und darf saufen. Allerdings sind da viele “loopholes”, nicht nur in NYC aber auch in anderen Staaten. Dasselbe gilt auch für die Papiere. Viele Mädchen, die ich in den Clubs kennengelernt habe, kamen mit einem Student:innenvisum aus dem Ostblock, meistens Ukraine oder Russland. Und fanden sich dann in einem Haus, irgendwo in Brooklyn, mit fünf anderen Frauen, die in derselben Situation waren und vom College nur noch träumten. Deren Englisch war zwar gebrochen, aber die Kunst im Strippen lag nicht unbedingt im Reden, sondern in der mysteriösen Art, sich zu bewegen und etwas zu verkaufen, was nicht wahr ist.
Das Problem ist, dass Stripclubs oft ein Tor in die sogenannte “Unterwelt” sind, wo Frauen mit Drogen versorgt werden, zur Prostitution gezwungen werden und deren Papiere von “Sex Traffickers” entsorgt werden, damit die Mädchen nicht weg können. Da Prostitution illegal ist, wird all dies durch die Besitzer geregelt, die die Kunden herbringen – unattraktive ältere Herren mit viel Geld im Bankkonto. Es ist mir nicht ganz klar, wie viel Geld die Mädchen für die extra Tricks machten, denn sie mussten einen Teil dem Club da lassen. Aber sie machten genug Geld, sich nicht um kleine, unwichtige Lapdances kümmern zu müssen.
Der Club hatte viele Mädchen, manchmal zu viele, da es an einigen Tagen eher langsam zuging. Doch die Mädchen, die „Anschaffen“ gingen, hatten Stammkunden, die anderen mussten sich mit der Konkurrenz anfreunden. An guten Tagen bin ich mit über $1000 nach Hause gekommen – in einer 8-Stunden-Schicht nur von Lapdances oder VIP Rooms. Allerdings musste ich auch eine Hausgebühr von $100 zahlen, die Bar 20 Prozent tippen, den DJ 20 Prozent tippen, und wenn ich einen VIP Room hatte, auch dafür noch eine Gebühr zahlen. Und schließlich möchte man ein gutes Verhältnis mit den Türsteher:innen haben, denn die machen aus einer halben Stunde oft nur fünfzehn Minuten, da sie wissen, wie anstrengend es ist, sich mit betrunkenen Männern zu unterhalten und diesen eine Fantasie zu verkaufen, besonders wenn man sich nicht prostituieren möchte. An sehr schlechten Tagen waren nur – wenn überhaupt – $20 drin und Schulden beim Club, da ich die Hausgebühr nicht zahlen konnte. Genau solche Tage brachten einige Mädchen dazu, mehr zu bieten und Koks, auch “Charlie” genannt, ist sehr belieb in dieser Szene.
Es ist nicht nur ein Klischee zu denken, dass in Stripclubs gekokst wird, auch ist es nicht nur ein Gerücht. Damals wusste jeder, was in den “Champagne Rooms” abging. Das Vertrauen lag insbesondere in den Mädchen, die brav wahren und Ignoranz wurde Bliss. Denn was im Club, im Champagne Room passierte, blieb auch dort. Zur selben Zeit, als ich im VIP Club gearbeitet habe, gab es eine Razzia in einem anderen, sehr beliebten Strip Club, das Scores. Der Grund der Razzia? Verdacht auf Drogenverkauf, Drogenkonsum und Prostitution.
Ich hatte ja bereits erwähnt, dass es eine Gruppe von Mädchen gab, die aus dem Ostblock kamen. Eines Tages tauchten sie plötzlich aus dem Nichts im Club auf, als ein schwarzer Escalade mit getönten Scheiben hervor fuhr, die Mädels ablieferte und sie dann morgens um vier Uhr wieder abholte. Eines dieser Mädchen erzählte mir, dass alle zusammen in Brooklyn in einem Haus wohnen würden. Ich hätte am liebsten Olivia Benson und Elliot Stabler vom “Law & Order – Special Victims Unit” angerufen, wenn es nicht nur eine TV Show gewesen wäre. Es machte mir Angst. Aber ich konnte nichts machen und entschloss mich, mir einen anderen Club zu suchen, der vielleicht doch nur Strippen und Poledance anbietete. Mein Freund fand die Idee nicht so toll, da er mich ausnahm wie ein Sparschwein, aber er war sich sicher, ich würde was Besseres finden.
Eines Tages zeigte er mir von einer Anzeige bei Craigslist.org, wo drin stand, dass Exotic Dancers für einen privaten Club gesucht werden. Das Geld war vielversprechend. An einem Samstag Nachmittag ging ich zur 38th Street und 9th Ave, in der Nähe vom Times Square, das alte Revier von Bordsteinschwalben und Zuhälter:innen, und Männern, die nach Abenteuern suchten. Ich wurde noch am selben Tag meines “Vortsellungsgesprächs” eingestellt und durfte sofort loslegen. Alles schien ein braves Muster zu haben, allerdings war der Besitzer, der auch noch Anwalt war, der Einzige der mir eine Gänsehaut gab – mit Recht. Denn “Daddy”, so wie er von den Mädchen genannt werden wollte, war ein Schwein, der die Jungen und auch die mehr “erfahrenen” Mädchen ausnutze, denen er sagte, dass er auf die Hausgebühr verzichtet, wenn die Mädchen ihm stattdessen einen blasen oder mit ihm in die Kiste hüpfen. Aber das war nicht alles. Seine perversen Ideen lebten sich innerhalb der Lesben-Live Shows mit Mädchen aus, die sich etwas mehr dazu verdienen wollten. Einige sprachen von einem Tor zur Pornowelt. Es war ein illegaler Underground Stripclub, wo es genug Koks gab, von einem privaten Drogendealer, der nicht nur die Mädchen versorgte, sondern auch die Kund:innen.
Fortsetzung folgt.
Dieser Text erschien zuerst auf DIEVERPEILTE.
Autorin: Izzy
Illustration: Telmo Castro

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