Mit 17 war ich mal in einem Versace-Store in Rom. Unter den strengen Blicken der zahlreichen Security-Männer und Verkäufer:innen trippelte ich durch den Laden und versuchte, meinen Gesichtsausdruck so neutral wie möglich zu halten. Die Kleidung fand ich nämlich unglaublich hässlich. Alles irgendwelche Fetzen mit den immer gleichen Mustern in fragwürdigen Farbkombinationen und vielen Goldakzenten. Aber eben “Fetzen” von Versace, also sauteuer und zumindest für mich unbezahlbar.
Ich bin gar keine Gegnerin von ‚hässlicher‘, trashy Mode. Ganz im Gegenteil sogar! Ich könnte stundenlang über verschiedene Arten von trashy Looks reden und würde mich am liebsten jeden Tag wie mein Vater im Dänemark-Urlaub 2004 anziehen oder ausschließlich Leopardenprint tragen. Was ich jedoch nicht einsehe: Absurd hohe Summen für Sachen zu zahlen, die aussehen, als wären sie einem Secondhand-Laden, 80er-Alien-Film oder dem Kleiderschrank meines fashionresistenten Großonkels entsprungen. Hier ist wichtig, darüber zu reden, was trashy beziehungsweise hässliche Kleidung heute bedeutet. Denke ich zurück an die frühen 2000er, fallen mir direkt mehrere fragwürdige Trends ein, – die damals allerdings als total modisch galten. Wer könnte strassbesetzte Ed-Hardy-Shirts oder Tracksuits aus Samt mit glitzernden Schriftzügen auf dem Arsch vergessen? Ebenfalls prägende Fashion-Momente waren Britney Spears und Justin Timberlake in All-Denim-Outfits oder Ashley Tisdale in Röcken über Jeans und Federboa auf dem roten Teppich.
Hässliche Mode ist inzwischen zurück, – aber sie wird ironisch getragen. Sich trashy zu stylen und bewusst unansehnliche Sachen zu tragen, macht Spaß. Es zeigt: Hey, ich nehme mich selbst nicht so ernst, ich mache einfach, worauf ich Bock habe. Gewissermaßen nimmt es der Modewelt den Ernst und ihr elitäres Gehabe. Und genau deshalb stört es mich, wenn Luxusmarken auf den Trash-Train aufspringen und Profit daraus schlagen: Sie und ihre Kund:innen machen damit sogar hässliche Mode zu einem Phänomen der Elite.
Nehmen wir beispielsweise Balenciaga. Die spanische Marke existiert bereits seit 1917, war von jeher im höherpreisigen Segment angesiedelt und hat laut der Wirtschaftsauskunftei dun & bradstreet 2020 über 860 Millionen Euro erwirtschaftet. Seit Demna Gvasalia 2015 zum Kreativdirektor der Marke wurde, war sie vor allem dafür bekannt, ungewöhnliche oder auch hässliche Designs zu fabrizieren – und damit sehr erfolgreich zu sein. Berühmtes Beispiel: Ihre Crocs mit Absatz für entspannte 495 Euro. Auch ein Hit: Eine blaue Plastiktasche um 2000 Euro, die verdächtig nach IKEA aussieht.
Oder wie wäre es mit dem ‚T-Shirt-Shirt‘? Dabei handelt es sich um ein langärmliges Hemd, das an ein T-Shirt genäht ist. Sieht aus wie ein missglücktes Upcycling-Projekt mit alten Klamotten meines Vaters, kostet aber fast 1130 Euro. Von solchen Patchwork-Kreationen hat Balenciaga einige vorzuweisen: Beispielsweise eine Jeans, an die hinten ein kariertes Hemd dran genäht ist. Absolut bodenständiger Farmboy-Look für 1150 Euro! Wer noch mehr Denim haben will, kann 1790 Euro für ein sackartiges Kleid ausgeben, das aus einem Jeans-Hemd und einem Jeans-Rock in unterschiedlichen Waschungen besteht. Es erinnert mich stark an diverse Nähprojekte aus meiner Jugend, bei denen ich wahllos Klamotten vom Kleidertausch zusammengestückelt habe. Natürlich gibt es dann auch noch eine ganze Reihe Sneaker im Dad-Look oder nach Alien aussehenden Designs. Balenciaga holt sie alle ab.
Wenn teure, etablierte Marken verrückte, aufwendige Mode machen, die nur auf dem Laufsteg was hergibt und für das echte Leben nicht zu gebrauchen ist, finde ich das noch in Ordnung. Gut, man könnte dabei definitiv eine Debatte über Ressourcenverschwendung oder das absurd hohe Tempo der Modebranche anstoßen. Aber für diese Extravaganz sind große Marken und ihre Runway-Shows halt irgendwie da. Der Haken daran: Mit Kleidung, – egal ob Haute Couture oder ready-to-wear – machen große Marken in der Regel kaum bis kein Geld. Während Segmente wie Parfüms, Schuhe oder Accessoires die richtigen Gewinne abwerfen, sind Kleidung und spektakuläre Modenschauen eher für Werbezwecke da. Kleidung an sich mag nicht gewinnbringend sein, doch trotzdem wird von jeder Fashion-Week berichtet. Bilder, Artikel, Instagram-Storys etc. dienen der Reichweite und dem Image der Marken. Nicht zu vergessen die Promis, die sich medienwirksam in der Front-Row tummeln …
Die Branche verändert sich, wie Demna Gvasalia bedauernd feststellt: Waren früher traditionelle Handwerkskunst und hohe Qualität gefragt, geht es heute vor allem um Einzigartigkeit, Auffälligkeit und Individualität. Um relevant zu bleiben, müssen traditionelle Häuser auf diesen Trend reagieren. Wenn hässlich gerade in ist, dann machen sie auch hässliche Sachen. Zum alten Preis versteht sich. Damit definieren sie natürlich mit, wie Luxus aussieht, was Luxus bedeutet. Balenciaga versteht dies wie keine andere Marke und zieht damit eine jüngere Kundschaft an – Millennials machen laut Balenciagas CEO Cédric Charbit 65 Prozent der Käufer:innen aus.
Und so geben reiche Menschen 2000 Euro aus, um auszusehen, als wären sie gerade bei IKEA gewesen, wo sie in der Regel wahrscheinlich eher nicht einkaufen oder blättern 895 Euro für Laufschuhe hin, die sie auch auf dem Wühltisch eines beliebigen Kleinstadt-Outlets finden könnten. Ihnen fehlt das Geld ja nicht. Vielleicht könnte man sagen, damit passiert teilweise zumindest rein optisch eine Annäherung der Superreichen an die weniger Reichen dieser Gesellschaft. Es ist schließlich einfacher, hässliche Sneaker zu kaufen als ein klassisches Chanel-Kostüm. Ich sehe es aber genau andersherum: Luxusmarken und ihre reichen Kund:innen mögen all diese hässlichen Looks ironisch entwerfen beziehungsweise tragen und sich dabei trendy, witzig oder was auch immer vorkommen.
Tatsächlich ist aber nichts lustig an hässlichen Produkten, die so viel kosten wie ein bis drei Monatsmieten einer normal verdienenden Person und dann ironisch getragen werden. Sie zeigen höchstens die Absurdität von Luxusobjekten: Die Fake-IKEA-Tasche, die Dad-Sneaker oder die abenteuerlichen Patchwork-Experimente sind nicht mit Gold überzogen, weisen keine traditionelle, aufwendige Handwerkskunst auf oder können ihren Preis sonst irgendwie rechtfertigen. Trotzdem wollen Menschen diese Produkte besitzen und sind bereit, dafür zu bezahlen, – weil sie eben nicht für das Produkt an sich, sondern für einen Namen, eine Geschichte, einen gewissen Status und vermeintliche Einzigartigkeit zahlen.
Autorin: Caro Obermüller
Dieser Text erschien zuerst auf DIEVERPEILTE.

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