Autorin: Jette Hoetten
Vor Kurzem ist Shirin Davids neues Album „Bitches brauchen Rap“ erschienen. Seitdem läuft es bei mir ununterbrochen. Ich glaube, meine Nachbar:innen kennen es mittlerweile auch auswendig.
Rückblickend kann ich nicht mehr wirklich sagen, wann ich begonnen habe Deutschrap zu hören. So richtig fing es mit Neonschwarz, Marteria und Casper in der Oberstufe an. Lange Zeit habe ich, mehr oder weniger unbewusst, hauptsächlich männliche Rapper gehört. Doch nach und nach schlichen sich immer mehr Rapperinnen in meine Playlists. Mittlerweile höre ich hauptsächlich female Rap. Egal, ob ich Energie brauche oder traurig bin, ob ich putze oder in der Sonne liege, meine Lieblingsrapperinnen sind an meiner Seite.
Ich habe schon immer mit meinem Selbstbewusstsein gekämpft. Lange war es kaum existent und dass es sich neuerdings so langsam hervortraut, ist harte Arbeit. Mir fiel es deshalb immer schwer, für meine Grenzen einzustehen und meine Bedürfnisse deutlich zu äußern. Viel zu oft habe ich andere Menschen auf mir herumtrampeln lassen, habe „Ja“ gesagt, wenn ich „Nein“ meinte, bis von meiner Selbstachtung nicht mehr viel übrig blieb. Die Menschen in meinem Umfeld haben immer wieder gesagt, wie lieb und nett ich sei und ich habe mich dabei elendig gefühlt. Denn um so zu sein, habe ich mich selbst völlig verloren. So groß war meine Angst davor, dass andere mich nicht mögen könnten.
Als ich dann angefangen habe, female Rap zu hören, war ich erst mal eingeschüchtert von dieser geballten Energie, die mir da entgegen geschleudert wurde. Im Laufe der Zeit habe ich gemerkt, dass sie ansteckend ist. Dieses kompromisslose Selbstbewusstsein der Rapperinnen, die Weise, wie sie sich den Raum nehmen, den ihnen wirklich niemand geschenkt hat, das hat mich zutiefst beeindruckt.
Ich habe mich, seit ich denken kann, als Feministin verstanden und mir immer Frauen als Vorbilder gesucht. Natürlich haben die sich im Laufe der Zeit gewandelt, und während ich Patti Smith oder Virginia Woolf auf eine göttinnenhafte Weise anbete, sind es Ebow, Nura, Verifiziert und all die anderen Rapperinnen, die mich antreiben.
Die Rap-Welt war und ist kein kuscheliger Ort für Frauen. Das hat jüngst #DeutschrapMeToo noch einmal gezeigt. Lange waren Frauen im Rap nur als Objekte und für die Dekoration in Musikvideos gut. Auch wenn es von Anfang an Rapperinnen gab und ihre Zahl weiter zunimmt, sind sie noch immer unterrepräsentiert. Nicht nur der Sexismus einiger ihrer Kollegen und das hartnäckige Vorurteil, dass Frauen nicht rappen könnten, sondern auch die Strukturen des Musikbusiness arbeiten gegen sie. Labels sind in ihrem Umgang und in der Repräsentation von Rapperinnen oft genauso vorurteilsbehaftet. Nicht nur bei den Rapperinnen, sondern auch als Produzentinnen und Songwriterinnen sind Frauen unterrepräsentiert. Initiativen wie das All-Female-Label 365XX von Lina Burghausen versuchen, diese Strukturen zu verändern.
Denn so wie sonst nirgendwo Raum für Frauen war und ist, kommen Rapperinnen und nehmen sich ihn. Sie nehmen genauso wenig ein Blatt vor den Mund wie ihre männlichen Kollegen. Das gibt ihnen die Möglichkeit, Missstände in der Branche und in unserer Gesellschaft anzuprangern. Und das tun sie nicht zu knapp. Rap setzt sich, seit es ihn gibt, mit den Lebensumständen derer auseinander, die am Rande der Gesellschaft stehen, diskriminiert oder ausgebeutet werden. Rap prangerte von Anfang an Rassismus, Gewalt und Armut an. Nichts anderes tun viele der aktuellen Rapperinnen auch.
Dabei finden sich gesellschaftskritische Songs direkt neben solchen, die ihre finanziellen Erfolge feiern. „Es geschafft zu haben“ und zu zeigen, wie unglaublich reich mensch nun ist, ist ebenfalls ein Motiv, das sich durch die Geschichte des Rap zieht. Aus antikapitalistischer Sicht finde ich das „Ich bin der:die Eine von Millionen und habe es geschafft“ schwierig, denn ich bin der Überzeugung, wir brauchen solidarische und keine individuellen Lösungen für gesellschaftliche Probleme. Allerdings eignen sich die Frauen hier nur das an, was Männer schon seit Jahrzehnten rappen. Wenn wir das also kritisieren, dann gilt das für alle, die diese Zeilen singen. Schließlich überträgt sich der Sexismus in der Gesellschaft auf die Musikindustrie und führt dazu, dass Frauen an einem Standard gemessen werden, der für Männer nicht gilt. Den Sängerinnen ist diese Doppelmoral sehr bewusst. Zum Beispiel singt Bea Miller in „That Bitch“ über die unterschiedliche Wahrnehmung von Männern und Frauen in der Öffentlichkeit:
„Society is suckin‘ on your dick
And since I got a pussy, I’m a bitch
And since you are a dude, yeah, you can tell the truth
But as soon as I do, I’m a bitch.“
Darüber hinaus zeigen vor allem einige Rapperinnen, dass ihnen Solidarität unter Frauen wichtig ist. So rappt Shirin David in „Bitches brauchen Rap“: „[Denn] ich liebе es, alle Bitches еrfolgreich zu seh’n.“ Und Nura, zum Beispiel, setzt sich in ihren Songs immer wieder mit ihrer Herkunft auseinander und erzählt von dem Klassismus und Rassismus, der ihr begegnet.
Ich wünschte, ich wäre in meinen Texten und in meiner Lebensweise so kompromisslos ich selbst wie diese Frauen. Sie sind nicht nett, sie entschuldigen sich nicht, und ihnen ist egal, was andere von ihnen denken (zumindest in ihren Songs). Sie beanspruchen die Wörter und Ausdrücke, die sie beleidigen sollen, für sich und machen sie sich zu eigen. Und dabei weichen sie keinen Zentimeter zurück. Wenn ich female (Deutsch-)Rap höre, überträgt sich diese Energie auf mich. Dann fühle ich mich stark. Dann habe ich das Gefühl, ich muss mich nicht verstecken, ich kann meine Meinung sagen UND das Crop Top anziehen. Meine Lieblingsrapperinnen sind für mich wie eine Mannschaft, die mir den Rücken stärkt und mir hilft, selbstbewusst zu sein, wenn ich es allein (noch) nicht schaffe.
Illustration: Teresa Vollmuth
Dieser Text erschien zuerst auf DIEVERPEILTE.

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