Es ist Montag und wie immer gibt mir mein iPhone um 10 Uhr morgens die Bildschirmzeit der letzten Woche aus. „7h, das sind im Schnitt 25 Prozent mehr als in der Woche davor“, lese ich. Trauriger Rekord. Suchti, denke ich und lege das Handy beiseite. Eine Sekunde später habe ich es wieder in der Hand. Mal sehen, warum ich die ganze Zeit am Handy bin, bestimmt nur weil ich so viel damit zu tun habe. Schließlich organisiere ich mein Leben über dieses Ding. Mein Handy gibt mir die ernüchternde Antwort: Die Hälfte der Zeit verbringe ich mit Instagram, ein Viertel mit Whatsapp und den Rest mit Youtube, Spotify und Co.
Anscheinend hänge ich doch viel auf Social Media rum. Aber da bekomme ich auch die News mit und weiß, was so passiert, rechtfertige ich mein eigenes Verhalten mir gegenüber. Ich muss doch wissen, was die anderen machen und die wollen doch auch, dass ich das weiß, sonst würden sie es nicht online stellen. Habe ich Angst, etwas zu verpassen?
Ja klar, ständig. FOMO, the Fear of Missing Out – die Angst, etwas zu verpassen, kennen wir wohl alle. Es ist das Gefühl, das man bekommt, wenn man eine Party eigentlich verlassen möchte, weil sie langweilig ist. Aber statt zu gehen, bleibt man, denn sie könnte ja noch gut werden und dieses unwahrscheinlich eintretende Ereignis möchte man nicht verpassen.
Es passiert nichts und doch alles, zumindest fühlt es sich so an.
Dass mein übermäßiger Handykonsum kein Einzelfall ist, kann ich in meinem näheren Umfeld mühelos beobachten. Egal ob Freunde oder Familie, ein Handy ist nie weit entfernt und manchmal erwische ich meine Freunde und mich, wie wir alle am Handy sind, obwohl wir uns zum Quatschen verabredet haben. Laut einer repräsentativen Umfrage des Mafo-Institut AdAlliance beginnt für 40 Prozent der Befragten der Tag mit dem Blick auf Handy, bei der Altersgruppe der unter 29-Jährigen sind es sogar 69 Prozent. Genau wie bei mir.
Verdammt, schreie ich in meinem Kopf, als ich checke, dass ich schon wieder am Handy bin, statt mich auf diesen Text zu konzentrieren. Ich wollte doch nur kurz etwas nachsehen.
Dass es neben der bekannten FOMO noch andere Gründe gibt, weswegen ich mich ständig in meinem Handy verliere, ist spätestens seit der Netflix-Doku „The Social Dilemma“ einer breiteren Masse und mir klar geworden. In der 2020 erschienene Dokumentation beschreibt der Regisseur Jeff Orlowski mithilfe verschiedener ehemaliger Spitzenmanager:innen der Branche die unterschiedlichen Tricks der sozialen Medien, um Nutzer:innen an ihre Plattformen zu „binden“. Abhängig machen trifft es besser, denke ich.
Soziale Medien werden so entwickelt, dass sie abhängig machen können. Vor allem Likes, Kommentare und die Aufmerksamkeit anderer Nutzer:innen spielt dabei eine übergeordnete Rolle. Und natürlich Dopamin, eine große Menge Dopamin. Denn dieses Hormon macht uns glücklich. Es wird immer dann in unserem Gehirn ausgeschüttet, wenn wir etwas gut gemacht haben oder wir uns belohnen. Zum Beispiel beim Sport, beim Sex, wenn wir Alkohol trinken oder Schokolade essen. Und Dopamin wird auch dann ausgeschüttet, wenn ein Foto viele Likes bekommt, Beiträge kommentiert werden, dein Tweet mehr als zwei tausend Reaktionen erreicht oder das TikTok-Video von gestern trendet, in dem du und dein kleiner Bruder einen Witz nachspielt.
Ob Essen, Bewegung oder mediale Anerkennung, die Reaktion unseres Gehirns bleibt dieselbe, es schüttet Dopamin aus. Eigentlich will unser Gehirn uns mit diesem Prozess trainieren: Machst du etwas gut oder tut dir etwas gut, gibt es dafür Dopamin und du fühlst dich glücklich. Na super, mein übermäßiger Handykonsum ist auch noch antrainiert von meinem eigenen Gehirn?
Teilweise, denn diesen Prozess nutzen soziale Medien scharmlos aus. Bereits 2014 beschrieb der Amerika Nir Eyal in seinem Buch „Hooked: How to Build Habit-Forming Products“ (Süchtig: Wie man gewohnheitsbildende Produkte entwickelt) wie Produkte designet werden können, die genau diesen Mechanismus im Gehirn ausnutzen. Inhalte, die uns gefallen, das Leben von Menschen, die wir kennen, Reaktionen und Entertainment beeinflussen maßgeblich unseren Social-Media-Konsum und das ist gewollt.
Aber ich will das nicht. Ich will nicht ‚Hooked‘ sein, nicht süchtig. Und vor allem will ich eigentlich keine sieben Stunden am Tag auf mein iPhone starren. Ich muss was ändern. Wie schaffe ich das?
Der Autor und Journalist Cristoph Koch schrieb 2010 sein erstes Buch über Handykonsum. „Ich bin dann mal offline: Ein Selbstversuch. Leben ohne Internet und Handy“ wurde zum Bestseller und Koch zu einem Experten auf dem Gebiet Internetabstinenz, Onlinesucht und Digitalisierung. Koch rät, sein eigenes Verhalten genauso zu hinterfragen wie zum Beispiel den eigenen Alkoholkonsum. Wichtig dabei sind:
Habe ich meinen Konsum bereits versucht zu reduzieren und bin gescheitert? Vernachlässige ich durch meinen Konsum anderen Bereiche in meinem Leben mit negativen Konsequenzen? Belüge ich mich und andere bezüglich der eigenen Zeit am Handy?
Ich habe mir diese Frage noch nie gestellt, werde es aber ab jetzt tun und mein eigenes Verhalten reflektieren. Sieben Stunden sind einfach zu viel.
Dieser Text erschien zuerst auf DIEVERPEILTE.
Illustration © Teresa Vollmuth

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Autor:innen
War bis 2022 Redakteur bei DIEVERPEILTE. Hat Brandmanagement im Master
studiert. Seine Themenschwerpunkte sind Gesellschaftpolitik, Kultur- und
Arbeitsthemen.