Warnung: Dieser Text enthält Schilderungen von Drogenmissbrauch.
Als ich gerade damit beginnen wollte, die Anzahl der Jahre zu nennen, die ich nun schon kiffe, ist mir aufgefallen, dass ich schon so viel gekifft habe, dass es mir nicht mehr einfallen möchte. Statt mir den Kopf darüber zu zerbrechen, wie bergab es mit mir gegangen ist, fange ich lieber damit an, seit wann ich kein Marihuana mehr rauche: Vermutlich seit zwei Wochen, doch selbst hier bin ich mir nicht sicher.
Jetzt bin ich verwirrt. Denn nicht einmal mehr der Grund will mir einfallen, warum ich das Kiffen so radikal abgebrochen habe. In den letzten 1,5 Jahren habe ich so viel Gras geraucht, dass sich meine Gehirnzellen eine Auszeit genommen haben. Statt entspannt zu sein, fühle ich mich nur noch dumm – womit wir auch beim vermeintlich verlorenen gegangenen Grund für meinen Entzug wären.
In den letzten Monaten gab es mehrere Momente, in denen ich mich mit meinem Konsum nicht mehr wohlfühlte. Wenn ich ehrlich zu mir bin, muss ich zugeben, dass Weed meinen Schlafrhythmus bestimmt. Immer dann, wenn ich abends ins Bett gefallen bin, griff ich in der Regel sofort nach meiner Rolling Box, die verwahrlost neben meinem Bett lag. Oder noch schlimmer: Auf dem Bett. Danach drehte ich mir eine Tüte, zog ein paar Mal genüsslich daran und ließ den depressiven Gedanken freien Lauf. Mit schlechtem Gewissen rauchte ich mich schließlich in den traumlosen Schlaf. Trotzdem dauerte es ziemlich lange, bis mir klar wurde, dass Marihuana meinem Leben nicht guttut.
Bevor ich anfing, es mir mit einem Joint im Bett gemütlich zu machen, besaß ich ein aktives Sexleben. Ich ging auf Dates und hatte ein ernsthaftes Interesse daran, neue Männer kennenzulernen. Als das Kiffen die Überhand übernommen hat, hielt ich es für gemütlicher, mich abends alleine im Dunkeln zu verkriechen, während in meiner rechten Hand eine Tüte brennt. Ja, sagte ich mir dann, den hast du dir heute verdient. Irgendwie muss man sich ja belohnen.
Ich will dir nichts vormachen, dass mit dem Sexleben ist mir gerade eben erst bewusst geworden. Früher verabredete ich mich regelmäßig, machte mir ernsthaft Gedanken über mein Aussehen und war Besitzerin einer Libido. Seitdem ich es mir zur Gewohnheit gemacht habe, abends einen Joint zu rauchen, den ich meistens alleine verputzte, ist mein Leben vom Weg abgekommen. Klar, ich bin jetzt super gechillt. Aber irgendwie ist mir auch alles egal geworden.
Es war Anfang des Jahres, als die Worte zum ersten Mal über meine Lippen kamen: „Ich höre mit dem Kiffen auf“. Was ich zuvor Monate lang vor mich hingeschoben hatte, wurde plötzlich ernst. In dem Moment, als ich es beschlossen hatte, nahm ich mir vor, das restliche Gras aufzurauchen, um mich im Nachhinein einem kalten Entzug zu stellen – mit Erfolg! Leider hielt mein Vorsatz nicht länger als ein paar Wochen. Danach fing wieder alles von vorne an: Asche im Bett, depressive Gedanken, Faulheit, Appetitlosigkeit, wenig Lust auf Sex und nicht zu vergessen mein alter Freund die Jogginghose. Jeden Tag high zu sein hat demnach eine Menge Nachteile.
Mit sechzehn zog ich das erste Mal an einem Joint. Danach nippte ich ab und zu daran. Mit 25 war ich dann quasi jeden Abend stoned und das, obwohl ich dadurch eine Psychose entwickelt habe. Oft saß ich in meinem Zimmer und hörte Geräusche, die nicht da waren. Ich hörte, wie Türen zugingen. Ich bildete mir ein, Gespräche zu hören, wie zum Beispiel Geflüster im Flur. Ein Blick nach draußen verriet mir, dass alles okay war. Diese Einbildungen kamen nicht so häufig vor, wie die Tatsache, dass mir mein Unterbewusstsein fiese Dinge ins Ohr flüsterte. „Du bist nicht gut genug“, „Was hast du heute nur wieder für einen Scheiß gebaut“, „Alles ist sinnlos“„Was machst du nur mit deinem Leben?“.
Es war mir klar, dass das Gras das Abgleiten in meine depressive Stimmung fördert, aber es dauerte lange, bis ich mich erneut dazu entschloss, mir das Kiffen abzugewöhnen. Das liegt zum einen daran, dass es zu meiner Routine gehört. Und Faulpelze lieben ihre Routine. Zum anderen macht es eine Art Sklavin aus mir. Ohne meinen Gute-Nacht-Joint fällt es mir schwer, einzuschlafen, geschweige denn eine Nacht durchzuschlafen. Immer dann, wenn mir das Gras ausgegangen ist, lag ich wach in meinem Bett und starte an die Decke. Stundenlang. Also griff ich erneut zur Tüte. Und wieder. Und dann noch einmal.
Nach einem harten Arbeitstag hatte ich das Gefühl, dass ich ohne Gras nur schwer abschalten kann. Ich habe nie so viel gekifft wie die meisten Leute in meinem Alter und trotzdem fing ich auf einmal an zur intensiven Kifferin zu werden. Ohne Vorwarnung. Letztendlich hat mir der Lifestyle nicht viel gebracht. Wie abhängig ich von Cannabis bin, wurde mir erst bewusst, als ich das Rauchen einstellte. Noch immer leide ich unter Entzugserscheinungen, also den Anzeichen einer körperlichen Abhängigkeit. Mein Körper sehnt sich nach der Wirkung der Droge. Die schlaflosen Nächte machen mich unruhig, reizen meine Nerven, trocknen meine Augen aus und sorgen dafür, dass ich mich träge fühle.
Ich weiß, dass das alles bald ein Ende hat, und bin auch nie davon ausgegangen, bis an mein Lebensende zu kiffen. Auch jetzt noch, nach zwei Wochen Abstinenz, wache ich nachts auf, liege mit brennenden Augen im Bett und warte auf meinen alten Schlafrhythmus. Ein Zug an einem Blunt würde mich zwar wie ein Baby schlafen lassen, aber er würde mir auch sofort wieder dieses intensive Bild vermitteln, dass ich ohne Gras nicht klar kommen kann – und das ist nicht das Leben, dass ich mir für mich wünsche. Ich habe nicht das Gefühl, dass ich etwas verpasse, wenn ich kein aktiver Teil der Stonerkultur mehr bin, und möchte an dieser Stelle auch betonen, dass ich viele schöne Momente dadurch hatte. Aus diesem Grund verabschiede ich mich mit einem fetten Grinsen im Gesicht von dir liebes Gras, doch keine Sorge, wir werden uns bestimmt mal wiedersehen!
PS: CBD wiegt dich ebenfalls in den Schlaf, wenn du dasselbe Problem hast wie ich.
Illustration: osaydon
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Autor:innen
Ist in Nürnberg aufgewachsen, brach erfolgreich drei Studiengänge ab und entdeckte ihre Leidenschaft für den Journalismus durch ein Praktikum in einer Musikredaktion. 2019 gründete sie das DIEVERPEILTE-Magazin. Themenschwerpunkte sind Mental Health, Krankheiten, soziale Ungerechtigkeit, Sexualität und Drogen.