Meine letzten Träume handelten davon, dass ich vergewaltigt wurde. Innerhalb des Traums verließ ich den Opfermodus und wurde zum Täter, das machte ich, indem ich den Fall aufklärte und Selbstjustiz begann. Ich frage mich, was das über mich aussagt. Wie viel Wahrheit steckt in unseren Träumen und wie können wir herausfinden, was sie uns mitteilen möchten? Eine Möglichkeit bietet die Traumdeutung. Träume gewähren uns Einblicke in unser Unterbewusstsein. All die Dinge, die im Wachzustand aktiv daran gehindert werden, unser Bewusstsein zu erreichen, können im Schlaf in Form von Träumen in unser Bewusstsein gelangen – so steht es zumindest im Internet. Soll heißen: So sehr wir uns auch bemühen, gewisse Dinge zu verdrängen, im Schlaf finden sie doch ihren Weg an die Oberfläche. Max* schiebt seine Träume nicht beiseite, er hört ihnen zu. Als sie ihm zuflüsterten, dass er gerne ein Baby wäre, nutzte er die Chance, um die Störung seines Urvertrauens aufzuarbeiten. Da war er acht Jahre alt. Er fantasierte also von Zuneigung und Geborgenheit und fand einen Weg, sein
Selbstwertgefühl zu stärken.
Max ist 30 und etwa 1,70 Meter groß. Wir begegneten uns in einer BDSM-Gruppe, wo ich eigentlich nur Werbung machen wollte. Es war die pure Langeweile, die mich dazu brachte, mich mit dem Inhalt der Gruppe auseinanderzusetzen. Das erste, was ich entdeckte, war – wie die Journalistin in mir sagen würde – ein reiner Glücksgriff: Ein Foto von einem erwachsenen Mann, gekleidet in Strampler und Mützchen mit Schnuller im Mund. Darüber die Überschrift „Ich bin mit Leib und Seele ein kleines großes Baby und zeige mich gerne“.
Ich möchte nicht respektlos erscheinen, auch wenn ich hiermit Gefahr laufe, es zu tun. Fetischismus fasziniert mich und Menschen mit einem Windelfetisch sind alles andere als leicht zu finden, wenn man nicht weiß, wo man nach ihnen suchen muss. Zumindest trifft das auf die Otto Normalverbraucher*in zu, die dahinter nichts weiter als krankhafte Perversion vermuten. Für sie ist es unvorstellbar, so jemanden zu begegnen, denn dafür müssten sie sich zuerst die Ohren putzen. Sie glauben lieber das, was die Medien verbreiten, wobei in diesen Berichten fast immer der eigentliche Sinn verloren geht. Und zwar jener, dass man auf nichts anderes aus ist, als Spaß mit dem eigenen Körper, dem Körper des anderen, dem Körper an sich.
„Spina bifida“ oder auch ein offener Rücken. Gemeint ist eine Fehlbildung der Wirbelsäule und des Rückenmarks. Bevor sich Max zu diesem Interview bereit erklärt hatte, habe ich noch nie etwas davon gehört. Demnach sind es schon zwei Bereiche, in die er mir einen Einblick gewährt. Seitdem er denken kann, sitzt er im Rollstuhl, genauso lange ist er auf Windeln angewiesen, da er aufgrund seiner Behinderung inkontinent ist. Er sagt, er habe mal eine Zeit lang ohne gelebt, doch insgeheim mag er es, sie zu tragen – vermutlich auch, weil er eine Methode gefunden hat, die Kontrolle zu behalten.
Als ich Max frage, wie er sich sein dringendes Bedürfnis nach Zuneigung erklärt, sagt er: „Ich habe die erste Zeit meines Lebens oft in Krankenhäusern verbracht, vielleicht ist das meine Art, das aufzuholen“. Von anderen Adult Babys weiß er, dass der Fetisch häufig bei Heimkindern vorkommt oder in Verbindung mit körperlicher Beeinträchtigung.
Manchmal fühle ich mich wie das kleine blonde Mädchen, dass grüne Farbe im Gesicht hat, weil es als Tabaluga verkleidet ist – während ich die Hand meines Großvaters halte, der mir auf der Faschingsfeier eine Cola kauft. Er weiß, dass ich heute eine erwachsene Frau bin, doch für ihn werde ich immer das hilflose Kind bleiben, dass er beschützen möchte. Also kann er gar nicht anders, als mich mit Fürsorge zu überschütten, und ich muss mich damit abfinden, auch wenn ich das Gefühl nicht ausstehen kann, ein Kleinkind zu sein. Max spricht immer wieder davon, dass er „behandelt“ wird. Zuerst bin ich irritiert, ich weiß nicht, was er damit meint. Redet er etwa von einer Therapie? Die Antwort kostet mich nur eine Frage, und wie ich herausfinde, liegt sie in den Augen meines Opas, wenn er auf mich herabschaut: Liebe.
Im Allgemeinen geht es um kuscheln, baden, füttern, stillen, windeln und was man eben noch so mit Babys macht. Er beugt sich dem Gefühl der Hilflosigkeit, indem er sich einen mächtigen Verbündeten herbeiruft. In seinem Fall eine Domina, die er dafür bezahlt, ihm all die kindlichen Wünsche zu erfüllen. Dadurch, dass er sich im Rahmen eines Rollenspiels wie ein Baby verhält, fängt er an, zu wachsen, auch wenn er sich dabei in eine unterwürfige Position begibt.
Die Distanz, die sich eine Professionelle dabei bewahrt, vermittelt keine richtige Liebe. „Trotzdem ist es schön, ich werde gewickelt, gefüttert und gebadet“, sagt Max. Dating bzw. die Suche nach einem passenden Partner, der die Vorliebe zum BDSM teilt, ist nicht immer einfach. Es steht schließlich niemanden auf die Stirn geschrieben: „Ich bin ein erwachsenes Baby!“ Dafür gibt es jedoch eine Vielzahl von Webseiten, die online die Möglichkeit bieten, einen Partner mit der Vorliebe zum Babyfetisch oder Ä. zu finden. Max habe nur einmal eine Frau getroffen, der es genau so ging wie ihm, mit der er sich austauschen konnte und durch die er ein Gefühl von Normalität zu spüren bekam.
Es ist nicht untypisch, dass Menschen, die auf Infantilismus stehen, mit Pädophilen verglichen werden. Max hat, wie er selbst sagt, mit Kindern nichts am Hut, und in seinem Fall hat der Fetisch auch „gar nichts mit Sex zu tun”. In seinen Gedanken und Spielen kommen keine Kinder vor. Er ist nur ein Typ, der gerne Fotos von sich macht, wie er im Strampler auf dem Boden krabbelt oder an seinem Fläschchen nuckelt. Die Bilder teilt er in verschiedenen BDSM-Gruppen, was ihn mit Stolz erfüllt. Infantil zu sein, heißt, dass die betroffene Person mit dem eigenen inneren Kind in Kontakt steht, sonst nichts. Und trotzdem muss er sich immer wieder mit pädophilen Anschuldigungen auseinandersetzen oder schlimmer. „Es kam auch schon vor, dass jemand schrieb: sowas sollte man vergasen“.
Das Problem ist die damit verbundene Stigmatisierung und die Gesellschaft, die die Neigung zu einem Tabuthema verschweigt. Menschen, die mit der Szene nicht vertraut sind, können nur schwer nachvollziehen, warum ein Erwachsener Babykleidung trägt. Es sind nicht nur die Unwissenden, auch die Nachrichten sorgen dafür, dass der Windelfetisch in eine Ecke gedrängt wird, in die Menschen mit einer solchen Neigung nicht hinmöchten. Deshalb erzählt Max seine Geschichte, die eines ganz normalen Mannes, der sich nach Liebe sehnt und das in Form eines großen Babys auslebt.
Übrigens: In Japan werden mehr erwachsenen Babywindeln verkauft als kleine. Dort gibt es sogar Modenschauen, auf denen der neuste Windeltrend präsentiert wird. Aber hey, die Deutschen sind auch nicht allzu weit weg vom Schuss. Immerhin gibt es mittlerweile einige Möglichkeiten, um an große Babykleidung zu kommen. Max kauft seine Strampler, Bodys und Mützchen in eBay Shops, wo man die Sachen in Auftrag geben kann und im Anschluss maßgeschneidert zugeschickt bekommt. Hierfür gibt es Schneider*innen, die sich auf Babysachen für Erwachsene spezialisiert haben, was eben auch zeigt, dass die Nachfrage da ist.
„Warum weiß niemand aus deinem Umfeld von deinem Fetisch?“, frage ich.
„Muss nicht sein”, antwortet Max.
Was können wir also von ihm lernen? Eine für mein Leben typische Reaktion sieht ungefähr so aus: „Ist mir egal“. Wie wäre es, wenn du das auch mal probierst. Das nächste Mal, wenn du mit etwas Ungewöhnlichem konfrontiert wirst und nicht weißt, was sich dahinter verbirgt, dann antworte doch einfach mit einem „ist doch egal oder?”.
Es ist die Einstellung, die sich durch unser Leben zieht. Schauen wir mal. Und wenn man Max zuhört, scheint es zu funktionieren. Irgendwann vergisst man die Vorurteile, den Fetisch, zumindest für einen Moment. Spätestens bis dann, bis man erneut von Träumen eingeholt wird und sich fragt, wieso man ihnen verdammt noch mal nicht zugehört hat.
*Name von der Redaktion geändert
Illustration: Maurice Stenner
Wenn du die Lust verspürst, Max kennenzulernen oder eine Frage an ihn hast, kannst du ihm unter Berücksichtigung der folgenden Bedingungen eine Nachricht schreiben:
- Hör gut zu.
- Bring Aufgeschlossenheit mit!
- Eine respektvolle Kommunikation ist der Schlüssel in dieser Art von Beziehung wie in jeder anderen.
Alles Weitere kannst du mit Max besprechen, du kannst ihn z.B. über seine E-Mail-Adresse: Babyboy30@gmx.de kontaktieren.
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Autor:innen
Ist in Nürnberg aufgewachsen, brach erfolgreich drei Studiengänge ab und entdeckte ihre Leidenschaft für den Journalismus durch ein Praktikum in einer Musikredaktion. 2019 gründete sie das DIEVERPEILTE-Magazin. Themenschwerpunkte sind Mental Health, Gesellschaft, Sexualität, Drogen, Musik und auch alles sonst, was ihre Neugierde erweckt.