“So geschminkt, gehst du außer Haus? Du siehst ja aus wie eine kleine Schlampe.” Diese Worte waren an mein damals 13-Jähriges Ich gerichtet. “Wenn ich mich nicht schminken würde, dann hätte ich keine Freunde.” Diese Zeilen kamen aus meinem 13-jährigen Mund. Mittlerweile bin ich 25 und habe aufgehört, mich zu schminken, also meistens zumindest. Die Beleidigung, dass ich mit 13 wie eine Prostituierte aussehe, kam von der Mutter einer ehemaligen Freundin von mir. Man stellt sich dazu bitte ein junges Mädchen gekleidet in einer schwarzen dreiviertel Hose, Converse und hochgeschlossenem Hello Kitty T-Shirt vor. Was mich für sie zur Nutte machte? Der rund um meine Augen dickgezogene Lidstrich und pinke Creolen. Für die Mutter meiner Freundin also eine Prostituierte, wie sie im Buche steht. Mich schmerzten diese Worte damals kaum. Getroffen haben sie nicht mich, sondern meine Mutter. Amüsant fand ich den Aufstand, den sie drum herum veranstaltete. Der eigentliche Schmerz war vielmehr in meinen eigenen Zeilen versteckt. “Wenn ich mich nicht schminken würde, dann hätte ich keine Freunde.” Übersetzt von Pubertät in “Erwachsen” heißt das so viel wie: “Wenn ich mich nicht hinter einer Fassade aus Make-up verstecke, dann könnte jemand mein Wahres Ich sehen. Dieses Ich ist es nicht wert, geliebt zu werden.”
Es ist Montag. Ich strecke mich genüsslich in meinem Bett und die Uhr auf meinem Smartphone sagt mir, dass ich noch genau eine Stunde bis zu einem Zoom-Meeting habe. Die übliche Home-Office-Attire, welche aus Schlabberlook und zerdrücktem Gesicht besteht, fällt heute leider flach. Bei einem Blick in den Spiegel winkt mir das Wochenende entgegen. Es hat mir eine Ansichtskarte geschickt. Darauf zu sehen sind: Pickel, Falten und tiefe Augenringe. Signiert von: mein fragwürdiger Lebensstil. Während ich mit einer dicken Ladung Make-up versuche, die Spuren der letzten Tage zu vertuschen, fällt mir ein, dass ich dem Schminken vor einigen Wochen eigentlich den Mittelfinger gezeigt habe. “Ich brauche dich nicht mehr!” Lautete die klare Ansage an mein Beauty Case. Nun gucken wir uns reumütig an. Warum ich doch wieder zum Pinsel greife?
Es wäre absurd zu behaupten, ich schminke mich nur für mich selbst. Für mich selbst? Dann bevorzuge ich doch lieber den Gollum-Look. Oh nein. Natürlich schminke ich mich für andere. Ich habe einiges zu verstecken. Vorne herum meine Makel und hinten herum mein geringes Selbstbewusstsein. Ich will attraktiv aussehen, die Blicke anderer auf mich ziehen. Mich als die starke Frau positionieren, die ich insgeheim gerne wäre. Wer gut aussieht, hat mehr vom Leben. Erfolg, Geld, Macht – you name it. An dieser Wahrheit gab es für mich lange Zeit nichts zu rütteln – bis vor genau einem Jahr.
Da hatte ich nämlich eine Panikattacke vor meinem Freund, dem Spiegel. Ich hatte gerade den aller ersten Lockdown hinter mich gebracht und im Gegensatz zu vielen anderen nicht zu Pamela Reif Videos geschwitzt. Die Folge waren einige Kilo mehr auf den Rippen. So lehnte ich also über dem Waschbecken und fing an, mir meine Kriegsbemalung aufzuzeichnen. Während ich das Rouge auf meine hellen Wangen strich, viel mir auf, wie mir die Tränen übers Gesicht liefen. Wie tiefe Spuren im Sand, sahen sie aus, als sie sich ihren Weg über das frische Make-up suchten. Die Erkenntnis, dass kein Contouring der Welt die zusätzlichen Pfunde kaschieren würde, schmetterte so knallhart wie der Hammer von Thor auf mich hinein. Meine Versuche, mich selbst zu beruhigen, scheiterten – ganz im Gegenteil aus den anfänglichen Tränen wurde ein Wasserfall, der alles auf seinem Weg nach unten mit sich riss.
Anstatt wie sonst meinen Schmerz zu betäuben und die Stimmen im Außen lauter zu drehen, pflanzte ich mich auf den Boden, schloss die Augen und fragte mich selbst, was zur Hölle gerade passiert ist. Es war mein Versuch, meine innere Stimme lauter zu drehen. Sie erzählte mir von all den Dingen, die ich durch mein Aussehen versuche zu kompensieren. Sie erzählte mir von dem Glaubenssatz, den ich mir seit meiner Kindheit immer wieder zugeflüstert habe. Dass ich es nicht wert bin, von meinen Eltern geliebt zu werden, wenn ich nicht gute Leistung erbringe oder einem gewissen Standard entsprechend aussehe. Sie erzählte mir von der Art und Weise, wie ich durch mein äußeres Erscheinungsbild meine Wertigkeit als Mensch unter Beweis stellen möchte. Aber sie stellte mir auch eine Frage: “Wer bist du?” Das war ein Knackpunkt für mich, weil ich wusste, dass ich so viel mehr bin als meine Reflexion im Spiegel. Ich will meine Identität nicht darüber definieren, wie ich aussehe, sondern darüber, wofür ich losgehe. Was kann ich geben? Wen kann ich inspirieren? Wofür bin ich hier? Ich möchte Menschen zum Lachen bringen – möchte dass sie sich wohlfühlen. Ich möchte für meine eigenen Träume losgehen. Und das genau so, wie ich eben bin – unerschrocken, offen, ehrlich, vollkommen und echt.
Das zu wissen ist gut, es zu leben noch besser. Natürlich kämpfe ich jeden Tag damit, doch es wird einfacher. Langsam fange ich an, mich selbst und wie ich aussehe zu mögen. Schritt für Schritt. Deswegen hab ich auch aufgehört, mich zu schminken. Mir sind einfach andere Qualitäten an mir wichtiger geworden. Ich hab nicht mehr ganz so viel zu verstecken. Wenn ich mich ungeschminkt in den Spiegel schaue, sehe ich dieselben Augen, die strahlen, wenn sie morgen aus dem Fenster blicken. Dieselben Lippen, die viel zu oft viel zu laut lachen. Dieselben Falten, die mir zeigen, dass ich auch Zeiten überstanden habe, in denen ich viel zu grübeln hatte. Ich bin dieselbe auch ohne Make-up und langsam fange ich an, mich so zu mögen. Ich hoffe du dich auch.
Dieser Text erschien zuerst auf DIEVERPEILTE.

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Autor:innen
War bis April 2022 Redakteurin bei DIEVERPEILTE. Hat Information, Medien und Kommunikation mit der Vertiefung Journalistik in Österreich studiert. Ihre Themenschwerpunkte sind Gesellschaftpolitik und feministische Themen.