Mit der Teilnahme an diesem Projekt möchte Julia Möller (24) dazu beitragen, dass mehr Menschen von der Krankheit Lipödem erfahren. Sie arbeitet in Münster als Erzieherin.

„Mit sechzehn habe ich das erste Mal gedacht, dass meine Hüfte und Beine so komisch aussehen. Ganz am Anfang habe ich gedacht, dass es einfach nur starke Cellulite ist und das einfach so hingenommen. Dann habe ich aber eine Zeit lang sehr viel Sport gemacht und gemerkt, dass es das nicht besser gemacht hat. Am Bauch hatte ich beinahe ein Sixpack, aber die Beine sahen unverändert aus. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich aber auch noch nicht, dass es die Krankheit Lipödem gibt.

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Das Lipödem ist eine krankhafte Fettverteilungsstörung noch nicht geklärter Ursache, die symme­trisch an den Hüften, am Po und beiden Beinen, meist zusätzlich auch an den Armen auftritt. Bei den betroffenen Körperregionen kommt es zu einer enormen Vergrößerung der einzelnen Fettzelle. Durch die vermehrten Fettgewebeansammlungen kommt es zu einer Blockade des Lymphabflusses. Diese Anstauung führt zu einem weiteren Anwachsen der Fettzellen und somit der Fett­depots. Das Lipödem wird in vier Stadien eingeteilt, die die Struktur des Gewebes und die Textur der Haut beschreiben. Bei dieser Sta­dieneinteilung wird ein sehr wichtiger Parameter (Schmerz) nicht berücksichtigt.
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Danach fing es so langsam an mit den ‚Schmerzen‘. Aber die Schmerzen von vor drei Jahren sind nicht vergleichbar mit den Schmerzen, die ich heute habe. Zu Beginn war es nur eine Schwere der Beine. Im Moment ist es so, dass es eher eine Art Spannungsschmerz ist. Es fühlt sich so an, als ob die Haut an meinen Beinen aufplatzen will. Wenn mir auch nur leicht mit dem Finger in meine Beine gedrückt wird, dann tut das echt weh.

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Die Kompressionsstrumpfhose erhöht den Druck im Gewebe und sorgt dafür, dass weniger Flüssig­keit aus den Blutkapillaren in das Gewebe gelangt. Darüber hinaus wird die Funktion der Lymphge­fäße verbessert. Der Druck auf die bestehenden Ödeme verteilt diese auf eine größere Fläche und erleichtert den Abtransport der Lymphflüssigkeit aus dem Binde­gewebe. Anschließend wird die Distanz zwischen Zellen und Blut­gefäßen verringert, wodurch diese besser mit Nährstoffen versorgt und von Abfallstoffen befreit wer­den können.

Bei mir hat das wahrscheinlich mit der Pubertät angefangen. Die genaue Ursache wurde bis jetzt noch nicht erkannt. Entweder heißt es genetisch bedingt, also vererbt oder durch Hormone. Und bei mir ist es wahrscheinlich durch die Hormone in der Pubertät gekommen. Meine Frauenärztin vermutet, dass die Pille die Ursache ist – das glaube ich auch. Ich suche deshalb eine Alternative für die Pille, obwohl das Lipödem dadurch nicht verschwinden wird.

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Ich war vor ungefähr zwei Jahren bei einem Spezialisten für Lipödem in Köln. Da saß ich ihm nur gegenüber und er meinte direkt, dass es schon danach aussieht. Ich wurde erst optisch untersucht und dann abgetastet. Es gibt einen Kneiftest, der auch bei mir durchgeführt wurde. Die Diagnose zu erhalten, war einerseits eine Erleichterung, weil ich jetzt weiß, dass
es eine Krankheit ist. Andererseits weiß ich jetzt auch, dass es nicht heilbar ist und das ist natürlich nicht so schön zu wissen. Danach recherchierte ich im Internet nach einem weiteren Spezialisten, um mir eine zweite Meinung einzuholen. Leider wird die Krankheit oft fehldiagnostiziert, um Geld zu machen. Die Operation kostet pro Eingriff um die 5.000 Euro und muss in den meisten Fällen selbst gezahlt werden.

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Beim sogenannten paradoxen Kneiftest drückt der Arzt die Haut an der Beininnenseite und daraufhin an der Beinaußenseite zusammen. Ist das Schmerzemp­finden außen stärker als innen, ist ein Lipödem wahrscheinlich. Ein gesunder Mensch würde die Schmerzstärken eher andersher­um empfinden.

Wenn ich die Arme länger hochheben muss, z. B. während des Wäschewaschens oder des Haareföhnens, merke ich direkt, dass sie richtig schlapp werden. Und auch in meinen Job merke ich die Einschränkungen. Ich bin Erzieherin und arbeite im Kindergarten und wenn sich z. B. ein Kind auf meine Beine wirft, dann zucke ich immer kurz zusammen, weil es weh tut. Ich versuche das dann aber zu ignorieren, sodass das nicht alle merken. Außerdem ist langes Stehen und Gehen auch sehr anstrengend, Arme und Beine fühlen sich dann an wie Beton. Ich glaube, seitdem ich weiß, dass es eine Krankheit ist, hat mich das tatsächlich auch ein bisschen selbstbewusster gemacht. Aber so Sachen wie Schwimmengehen oder mal im Sommer an den Kanal, das mache ich nur sehr ungern. Und das nagt teilweise auch an Freundschaften. Wenn Freund:innen im Sommer an den Kanal gehen, komme ich meistens nicht mit. Ich freue mich, dass jetzt der Winter kommt, weil ich dann keine kurze Kleidung mehr anziehen muss. Wenn ich eine Jeans anhabe, dann sieht man es nicht unbedingt. Mir fällt es natürlich trotzdem auf, aber anderen eben nicht. Seit ich die Kompressionsstrumpfhose habe, ziehe ich auch wieder Kleider an. Davor habe ich sehr lange Zeit keine Röcke oder Kleider mehr getragen, weil ich mich dabei unwohl gefühlt habe. Teilweise habe ich auch immer noch Probleme, mich im Spiegel anzusehen.

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„Wenn ich bemerke, dass ich angeschaut werde, dann sage ich nichts, weil ich dafür einfach zu schüchtern und zu ruhig bin. Aber es macht natürlich schon etwas mit mir. Meistens versuche ich es zu ignorieren, also wenn sich die Blicke treffen, dann versuche ich schnell wegzugucken. Ich habe das Gefühl, wenn ich z. B. zwischendurch mal einen Rock mit einer Strumpfhose anhabe, dass dann mehr Leute gucken, als wenn ich eine Jeans trage. Das kann natürlich auch Einbildung sein, denn in meinem Kopf ist das Thema leider sehr präsent. Ich mache mir oft Gedanken, was andere über mich denken. Ob die sich denken: „Boa, die hat schon echt dicke Beine.“ Wenn ich von meinen Gedanken erzähle, sagen die meisten, dass ihnen das gar nicht aufgefallen sei. Meine Gedanken sind da teilweise nicht richtig.“ – Julia

Die Lymphdrainage ist eine spezielle Art der medizinischen Massage: Der Transport der Lymphflüssigkeit in den Lymph­gefäßen wird durch sanfte Grifftechniken angeregt. Auch nach schweren orthopädischen Verletzungen oder Operationen wird sie angewendet.

Es gibt eine operative Behandlung und eine konservative. Einmal die Fettabsaugung, die wird aber erst ab Stadium drei von vier von der Krankenkasse übernommen. Ich bin bei den Beinen erst bei Stadium eins bis zwei und an den Armen nur bei eins. Angeblich soll das Lipödem durch die Operation dauerhaft weg sein. Ich habe aber jetzt schon von mehreren gehört, dass sie das Gefühl haben, dass es wiederkommt. Und die konservative Möglichkeit sind Kompressionsstrumpfhosen und Lymphdrainage, also eine Massage. Ich habe zweimal pro Woche Lymphdrainage. Die Kompressionsstrumpfhose ist maßgefertigt. Ich muss sie jeden Morgen anziehen und jeden Abend waschen, nachts trage ich sie nicht. Meistens ziehe ich sie direkt nach der Arbeit aus, sobald ich zuhause bin. Das Gefühl ist dasselbe, wie wenn man abends den BH auszieht. So ein richtig befreiendes Gefühl, als ob ich endlich wieder richtig atmen kann. Tatsächlich habe ich es mir mit der Kompressionsstrumpfhose schlimmer vorgestellt. Aber sie ist ultra warm und zusammen mit Hosen einfach sehr unbequem. Deswegen trage ich jetzt kaum noch Hosen, sondern eher Kleider. Beim ersten Mal Anziehen habe ich mich gefragt, wie ich das hinkriegen soll. Mir wurde gezeigt, wie solche Strumpfhosen angezogen werden – auf links. Manchmal fängt die Haut auch nach ein paar Stunden an zu jucken. Und auch wenn ich zur Toilette gehe, brauche ich wirklich lange, bis ich die Strumpfhose wieder anhabe. Für mich ist das auf jeden Fall kein Dauerzustand. Und im Sommer wäre es mir damit einfach viel zu heiß.

Die Fettabsaugung (Liposuktion) ist ein operativer Eingriff, bei dem das überschüssige Fettgewebe abgesaugt wird. Diese Operation erfolgt unter Vollnarkose. Pro Ein­griff können bis zu acht Liter Fett abgesaugt werden. Im Ergebnis speichert das betroffene Binde­gewebe weniger Wasser, sodass der Gewebedruck stark abnimmt: Die Lymphflüssigkeit kann wieder besser abtransportiert werden. Dies hat auch Auswirkungen auf die Blutgefäße – sie sind nach der Operation nicht mehr so druck­ und schmerzempfindlich.

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Allgemein ist es besser, wenn die Operation eher früher als später durchgeführt wird. Weil man dann mehr davon hat. Ich hatte auch schon das Aufklärungsgespräch. Man bekommt starke blaue Flecken an den Stellen, wo das Fett abgesaugt wird. Außerdem kann es sein, dass man die Vollnarkose nicht verträgt. Es ist ein ambulanter Eingriff, man bleibt also über Nacht dort, weil der Körper erst mal damit klarkommen muss. Auch, weil zusammen mit dem Fett extrem viel Wasser entzogen wird. Nach der Operation muss man dann deswegen drei bis vier Liter Wasser täglich trinken. Es wird unausweichlich auch das gesunde Fett mitabgesaugt und es kann sein, dass nicht alle krankhaften Fettzellen erwischt werden. Es wird ein Rückstand bleiben, der soll sich nicht so schnell ausbreiten. Eine Lipödemfettzelle breitet sich nicht so schnell aus wie eine normale. Bei mir wären es zwei Eingriffe. Der Erste wäre an den Beinen. Es kann sein, dass sich nach der ersten OP meine Arme verschlimmern. Oder dass es auch am Bauch auftritt. Ich habe nächsten Herbst angepeilt für die OP, damit ich noch sparen kann, denn ich möchte keinen Kredit aufnehmen. Angst vor dem Eingriff selbst habe ich nicht, eher vor den Schmerzen danach, weil die sehr stark sein sollen. Erst zwei Wochen nach dem Eingriff kann man wieder arbeiten.

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ALLE FOTOS: KIM OPPERMANN

Es hilft mir, dass niemand gezwungen ist, kurze Kleidung zu tragen, es gibt ja auch lockere weite Hosen für den Sommer, so etwas trage ich dann. Mein Freund ist für mich eine besonders große Unterstützung. Vor allem, wenn ich zwischendurch eine Art Down habe: Man wird trotzdem so geliebt, wie man ist, das tut schon gut. Eine Freundin von mir, der ich
es erzählt habe, hat mich gefragt, ob wir uns mal öfter zum Schwimmen verabreden sollen, weil das bei Lipödem gut sein soll. So etwas ist auch schön. Aus der Umkleidekabine raus und rein ins Schwimmbad zu gehen, ist aber schon noch eine große Überwindung. Ich bin froh, wenn ich im Wasser und sozusagen ein bisschen versteckt bin. Ich bin auch noch in therapeutischer Behandlung. Und dort fokussieren wir im Moment dieses Thema mehr und schauen, wie ich damit besser umgehen kann. Das tut mir sehr gut. Bei der letzten Sitzung sollte ich aufschreiben, was die OP bei mir im Alltag verändern und wie ich damit umgehen würde. Und welche schönen Momente es im Zusammenhang damit gibt.

Ich wünsche mir, dass mehr Menschen darüber Bescheid wissen. Und auch mehr von der Krankheit berichtet wird. Es gibt schon zwischendurch mal Reportagen, aber da werden dann auch nur die extremen Fälle gezeigt. Und dann stelle ich mir vor, wenn z. B. eine Frau denkt, sie könnte das haben, dann lässt sie sich erst recht nicht untersuchen, weil man es dann vielleicht erst gar nicht wissen möchte. In den Medien wird immer nur die schlimmste Version, das höchste Stadium repräsentiert. Ich fände es wichtig, dass vor allem auch mehr Frauen darüber Bescheid wissen und sich dann bei Verdacht untersuchen lassen können. Im Durchschnitt erkrankt jede zehnte Frau daran. Aber die meisten Betroffenen wissen es nicht oder es wird erst viel zu spät diagnostiziert. Mir wurde gesagt, dass es sehr gut ist, dass es bei mir so früh diagnostiziert wurde, weil jetzt noch ein viel größerer Handlungsraum vorhanden ist. Wenn die Diagnose erst im Stadium drei festgestellt wird, dann ist es sehr unwahrscheinlich, mit konservativen Behandlungsmöglichkeiten noch etwas zu erreichen.“

Text & Bilder: Kim Oppermann / Instagram @_kleinedinge_

Dieser Text ist Teil des fotografischen Projekts „ein Teil von Mir“ von Kim Oppermann und basiert auf einem Interview.

Weitere Arbeiten von Kim findest du auf ihrer Homepage. Du kannst ihr auch auf Instagram folgen.

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