Es ist der 24. Dezember 2020 und ich sitze alleine in der Küche meiner WG, keiner ist zuhause. Meine Mitbewohner haben sich in kleinen, coronakonformen Gruppen auf ihre Familien aufgeteilt, ähnlich wie die meisten meiner Freunde und gefühlt der Großteil des Landes. Anders kennen wir es auch nicht in der Weihnachtszeit, man sieht seine liebsten, verbringt eine mehr oder weniger sinnliche Zeit zusammen und bekommt im besten Fall noch dicke Geschenke. Jedenfalls stell ich mir vor, dass es so abläuft, denn bei mir daheim gab es das in der Form nie. Und damit bin ich nicht alleine, es gibt zahlreiche Gründe, weshalb bei manchen Familien in Deutschland kein Weihnachten gefeiert wird.

In meinem Fall liegt es daran, dass meine Eltern aus muslimischen Familien kommen, in denen es einfach kein Brauch ist, Weihnachten zu feiern. Ich habe diese Kultur kennengelernt, da ich in Deutschland geboren bin, habe sie aber aufgrund meiner Wurzeln nie erlebt.

Nicht ganz nie. Letztes Jahr habe ich Weihnachten mit der Familie meines besten Homies verbracht und zum ersten Mal hautnah erfahren, was Weihnachten für viele ausmacht. Es gab super Essen, liebevolle Stimmung in der Luft und ich hatte einen familiären, besinnlichen Abend mit tollen Menschen. Diese Erfahrung war schön und trotzdem zeigt sie mir auch, was alljährlich in anderen Haushalten passiert ist, während es bei mir ganz anders aussah. Und das sage ich nicht aus Neid oder für Mitleid. Ganz so übel sah es bei mir zuhause nämlich gar nicht aus.

Ich bin aufgewachsen mit der besten Mutter, die man sich wünschen kann, und wir waren die meiste gemeinsame Zeit zu zweit. Als ich in die Schule kam und immer mehr Freunde und soziale Kontakte hatte, schlich sich auch schnell ein Unbehagen zur Weihnachtszeit ein. Wahrscheinlich noch früher als ich, hat meine Mama die Situation schon erkannt. Ihr Sohn bekommt an Weihnachten die volle – ich gehöre nicht dazu –Klatsche um die Ohren, und das ist gar nicht so schön für einen kleinen Wurm.

Sie wusste jedoch damit umzugehen. Wenn sie nicht arbeiten musste, gab es etwas Feines zu essen, ich bekam ein kleines Geschenkchen und konnte Zweisamkeit mit ihr genießen. Ich kann mich darüber also nicht beschweren, wie Weihnachten für mich so war, ich weiß aber nicht, ob das so die Regel ist. Es gibt genug Familien, in denen kein Weihnachtsfest gefeiert wird und Eltern, die es nicht schaffen, oder wollen, ihre Kinder zu dieser Zeit abzufangen, falls sie sich nicht dazugehörig fühlen oder anders darunter leiden. Weihnachten wird in manchen Haushalten schlicht ignoriert, oft auf Kosten der Kinder, die sich im neuen Jahr in der Schule die neuen Treter oder das neue Handy des Klassenkameraden ansehen dürfen und leer dastehen.

Natürlich nicht ganz leer, wir sollten alle für das dankbar sein, was wir haben. Es geht mir einfach darum, zum Ausdruck zu bringen, wie man sich schnell ausgeschlossen fühlen kann, obwohl man nichts dafür kann. Ich möchte einen Eindruck geben, wie es sich anfühlt, Weihnachten zu erleben, ohne es zu feiern.

Das soll auch nicht dazu führen, dass du dich jetzt schlecht fühlen solltest, wenn du Weihnachten feiert, im Gegenteil. Genieß die einmalige Zeit, die du mit den Menschen verbringen darfst, mit denen du sie verbringen möchtest. Dieses Jahr natürlich im Rahmen der Einschränkungen aber mit vielleicht umso mehr Dankbarkeit.

Vielleicht regt dich das zum Nachdenken an, mich auch. Es passieren noch ganz viele andere, schlimmere Dinge um uns herum. Möglicherweise müssen wir alle neu reflektieren, was Nächstenliebe bedeutet inmitten einer Pandemie. Überdenken, was ein großzügiges Geschenk ist in Zeiten von überquellenden Flüchtlingslagern.

Was auch immer du zurzeit treibst, genieß es, denn es ist nicht selbstverständlich. In dem Sinne ein schönes Fest und viel Liebe für jeden.

PS: Lass es uns gerne wissen, wie du die Feiertage empfindest und was du denkst.

Dieser Text erschien zuerst auf DIEVERPEILTE. 

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