Zumindest für mich, die alles unweigerlich intellektualisiert, ist die Arbeit in einer großen deutschen Kaufhauskette aufgeladen mit Metaphern und den großen Erzählungen unserer Zeit. Vor allem dann, wenn ich versuche, einen Sinn in diesem Job zu finden.

Nicht überraschend für alle, die meine Studienwahl stets belächelten – irgendwas mit Kultur und Geschlecht und so –, lande ich zwischen Studium und erstem Vollzeitjob, neu in einer Stadt, deren Mietpreise Heulkrämpfe auslösen, im Kassenteam eines riesigen Kaufhauses. Für mich ist das nur ‚dazwischen‘ – ein Privileg, was dem Großteil der Mitarbeiter dort nicht zuteilwird. So wie die nichtexistierende Klassenmobilität in Deutschland es vorsieht, kann ich hier jederzeit weg, aber die Kassierer*innen, die seit 20 Jahren, seit 40 Jahren, seit 1982 da sind, werden bis zum Schluss diesem Unternehmen ausgeliefert sein.

Sie lassen einen vielsagenden Blick über die Verkaufsfläche schweifen und nicken, wenn man sie danach fragt, was sie alles erlebt haben. Der gemeinsame Tonus lautet: Die fetten Kaufhausjahre sind vorbei – aber noch sind wir hier. Die Kassierer*innen sind selbstverständlich nicht alle gleich, denn ihre Biografien erzählen von unterschiedlichsten Lebenswegen. Und doch scheint sie alle eine gewisse Krankheitshistorie zu einen. Die Abwesenheit von Tageslicht, lange und wechselnde Schichten, das pausenlose Stehen und sich ewig wiederholende Abläufe hinterlassen ihre Spuren. Manche sind auch wegen einer Krankheit hier, wie der ehemalige Friseur, der in seinem alten Beruf eine Hautallergie entwickelte oder die Sportlerin, die durch eine Verletzung zum Jobwechsel gezwungen war.

Auch auf der anderen Seite der Verkaufstheke sieht man, dass die kapitalistischen Ausformungen des 21. Jahrhunderts vor nichts Halt machen, nicht einmal dem Konsum selbst. Er wandelt sich, wird schneller, größer, allgegenwärtig und findet zunehmend vor Bildschirmen statt. Er setzt Arbeitsplätze frei.

Und er schraubt Ansprüche hoch: Die Gemüter der Kund*innen sind erhitzt. Sie möchten den Abteilungsleiter sprechen, denn online gab es das günstiger. Sie kramen hektisch im Portemonnaie nach Coupons, denn sie möchten einen Umtausch machen, um die 10% Rabatt zu bekommen, die sie vorher nicht hatten. Ich buche ihnen mit angestrengt verständnisvollem Lächeln 1,50€ auf ihre Kreditkarte zurück.

Kund*innen mögen große Worte und Emotionen, sie sagen „unfassbar!“ und „wenn das so weitergeht…“ und „das war das letzte Mal, dass ich hier war!“ Mehr Einkaufs-Drama als bei Shopping-Queen. Noch nie in meinem Leben wurde ich so unverhohlen hasserfüllt angeschaut. Menschen, die der zutiefst unwürdigen Situation ausgesetzt sind, in einer Schlange zu warten, können unmöglich verstehen, warum man eine Kassenabrechnung machen muss oder sogar – unfassbar! – in die Pause geht. Wie kann ich es wagen? Zeit für 20 Minuten in einer kontinuierlich leerer werdenden Cafeteria mit schlechter Beleuchtung ist wichtiger als der 200€ Einkauf für Baby Borne-Kleidung?

Die Kund*innen sind nicht alle schlimm, manche sind auch ein bisschen anders schlimm. Und hier wird es tricky, denn ich glaube ich bin eine von ihnen, wenn ich auf der anderen Seite der Theke stehe.

„Haben Sie eine Payback-Karte?“

„Nein, Sie sammeln nur meine Daten.“ Ich sammle hier gar nichts, denke ich, außer Gründe in den linken Untergrund zu gehen.

„Eine Plastiktüte dazu oder geht das so?“

„Nein, ich habe eine dabei – für die Umwelt!“, sagt der mutmaßliche Grünen-Wähler und holt die Polyester-Falttüte von DM hervor. Da sind fast die Kund*innen besser, die so wütend darüber sind, für eine Tüte bezahlen zu müssen, dass sie das Playmobil-Traumhaus lieber vor sich her tragen.

Die für eine frische Uni-Abgängerin scheinbar sinnentleerte Arbeit an der Kasse entpuppt sich als das Gegenteil. Das Kaufhaus ist ein Kristallpunkt unserer Zeit. Hier verdichten sich die Diskurse um Klima und Umwelt, Systemwandel und absolutem Konsum, hier kämpfen sie um Deutungshoheit, verstricken sich in ihren Widersprüchlichkeiten und entladen sich in meinem „Einen schönen Tag wünsche ich Ihnen.“

Foto & Text by Vivian Sper

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