Wie übergibt man etwas, dass kein Geschenk ist, keine Überraschung sein soll, aber dennoch überaus wichtig ist? „Wir geben dir deine Adoptionspapiere schön verpackt, weil DU ein Geschenk bist!“ Mit dieser Aufschrift überreichten mir meine Eltern zum 18. Geburtstag ein selbst gebasteltes Kuvert, welches meine Adoptionsunterlagen enthielt. Das hatten wir so ausgemacht, seit ich denken kann.
Mit 24 Jahren, recht spät für damalige Verhältnisse, wollten meine Eltern ihrem Kinderwunsch „nachgehen“. Nach etlichen Versuchen, schwanger zu werden, erfuhr meine Mutter, dass ihr das gar nicht möglich war und auch niemals sein würde. Künstliche Befruchtung stand damals noch in Kinderschuhen. Auch wollten sie sich nicht mit vielen Versuchen, die möglicherweise gar nicht klappen würden, quälen.
Ein Jahr später beschlossen sie, sich beim Adoptionsamt zu registrieren. Damals war das Verhältnis von Kindern, die zur Adoption frei gegeben wurden, und Paaren, die ein Kind adoptieren wollten 1:10. Auslandsadoptionen waren zu dieser Zeit ebenfalls nicht so „einfach“ wie heute. So warteten sie insgesamt sieben Jahre, bis der Anruf kam. Dazwischen lagen einige Kontrollbesuche. Auch ein Anruf drei Jahre zuvor. Die Sozialbetreuerin fragte: „Na wie gehts euch?“ Meine Mutter antwortete: „Gut geht’s uns, wir renovieren gerade.“ Hätten sie nicht gerade saniert, wäre ich nun vermutlich woanders.
„Es ist so weit. Ein Mädchen wartet auf euch, es ist fünf Tage alt.“ Meine Eltern ließen alles stehen und liegen, beide waren arbeiten, als der Anruf kam. Im Kaiser-Franz-Josef Spital angekommen, bemerkte mein Vater: „Wir haben doch gar keine Windeln, kein Fläschchen und auch keine Babymilch. Wir sind doch noch gar nicht bereit.“ Wer kann auch wissen, dass nach sieben Jahren endlich der entscheidende Tag da ist.
Meine Patentante und die Freunde meiner Eltern besorgten alles, was noch fehlte. Sie dekorierten unser Haus für eine Willkommensfeier. Mit einem Plakat „WILLKOMMEN ZUHAUSE PETRA“ wurde ich empfangen. Alle waren neugierig. „Na wie heißt sie?“ – „Petra“ – „Wieso Petra?“ – „Weil es sich die leibliche Mutter gewünscht hat.“ Meine Eltern haben mir den Namen Petra gegeben. Aus Respekt für den Wunsch meiner leiblichen Mutter. „Mehr konnten sie nicht für dich tun, Petra. Und mehr konnten wir nicht für sie tun“, sagte mir meine Mutter.
Nicht nur einmal habe ich mich gefragt, weshalb mich meine Mutter weggab. In Österreich besteht die Möglichkeit, sich am Adoptionsamt von Solzialbetreuer:innen freigegebene Informationen einzuholen. So erfuhr ich, dass sie zum Zeitpunkt meiner Geburt alleine war, keine Wohnung hatte und auch keine finanziellen Mittel. Sie wünschte sich Eltern für ihr Kind, die es lieben. Ihr Wunsch war es, dass ich am Land mit Tieren in einer schönen Umgebung aufwachse. Sie hat sich Gedanken gemacht, wollte das Beste für mich und hat gehandelt. Sie überlegte sich genau, wie und wo ich leben soll – auch das ist Liebe!
Vermutlich fragst du dich nun, ob ich jemals Kontakt zu meiner leiblichen Mutter suchte. Dieses Bedürfnis hatte ich früher als Kleinkind. Später verlor ich das Interesse daran. Meine Eltern und auch meine Freunde boten mir stets ihre Unterstützung an. Sie meinten: „Jeder will doch wissen, wo man herkommt! Das ist ganz natürlich!“ Die Meinung meiner besten Freundin war und ist mir immer noch sehr wichtig. Ohne sie wäre ich nicht der Mensch, der ich heute bin. Während vieler unserer stundenlangen Gespräche versuchte sie mich liebevoll in diese Richtung zu schubsen. Alles habe ich vehement abgelehnt. Bis jetzt! „Hätte ich nur früher auf sie gehört“, denke ich mir heute.
Ich bin an einem Punkt in meinem Leben, wo ich nun wie soll ich es beschreiben … feststecke und nicht weiterkomme. Ein bisschen so wie gelähmt. Der Grund dafür denke ich, liegt darin, dass es tatsächlich ein Grundbedürfnis ist, zu wissen – woher komme ich. Um entscheiden zu können, wohin möchte ich, wer möchte ich sein. Vielleicht hatte ich einfach Angst davor, was sich ändern wird.
Meine Mutter bestärke mich: „Es wird sich nichts ändern. Wir sind immer noch deine Eltern. Man muss sich auf alles vorbereiten, das ist klar. Aber eines bleibt für immer ganz sicher! Wir werden dich immer lieben!“ All das kann ich deshalb so genau erzählen, da ich früher jeden Tag die „Gute Nacht-Geschichte“ hören wollte „Wie du zu uns gekommen bist“.
„Ach, was du nicht für eine gute Tat vollbracht hast“ – hörte meine Mutter öfters mal. Sie allerdings war nie der Meinung, etwas außergewöhnlich Gutes vollbracht zu haben. Sie hatte sich doch nichts sehnlicher gewünscht und immerhin sieben Jahre gewartet.
„Du bist amputiert!“ – hörte ich von den Kindern meiner Volksschulklasse, die das Wort verwechselten. Zu Hause schnappten sie auf, wie ihre Eltern von dem adoptieren Kind im Dorf erzählten.
„Ich könnte nie ein fremdes Kind lieben“, meinten die kurzsichtigen Mitschüler:innen in der HTL. Solche Aussagen trafen mich immer sehr hart. Ich meinte dann, jeden belehren zu müssen. Das würde doch keiner verstehen. Und das taten sie auch nicht. Niemand kann das meiner Meinung nach. Jeder Mensch nimmt alles auf dieser Welt unterschiedlich wahr und verarbeitet dies unterschiedlich. Niemand fühlt das Gleiche, auch dann nicht, wenn es exakt dieselbe Situation ist. Ich konnte also niemanden belehren, was ich heute auch nicht mehr versuche.

In meinem Leben wurde ich oft gefragt, wie man sich als adoptiertes Kind fühlt. Nun, um es kurz zu sagen. Sehr gut! Ich fühle mich nicht anders als andere. Meine Eltern gaben mir nie das Gefühl, „anders“ zu sein. Es war nie ein Geheimnis. Es war das Erste, dass sie mir erzählten, bevor ich überhaupt irgendwas verstehen konnte. Adoption war für mich immer normal. Nicht Abwegiges, nichts, wofür man mich bemitleiden müsste oder meine Eltern wegen „ihrer guten Tat“ emporheben sollte. Adoptiert zu sein. Diese Tatsache gehört zu meinem Leben. Es definiert mich jedoch nicht. Es ist nicht das, was mich als Mensch ausmacht. Es gehört einfach zu mir. Und das ist gut so!
Dieser Text erschien zuerst auf DIEVERPEILTE.
AUTORIN: PETRA ALLACHER
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