Eigentlich wollte ich nach Köln ziehen, aber wie sich herausstellte, wollten die Kölner mich nicht bei sich haben.
Während ich eine Absage nach der anderen erhalte, Corona immer noch Unfug treibt und meine Mitbewohner mich einfach nur noch nerven, liege ich frustriert im Bett und schaue mir die Storys meiner Freunde an. Irgendwie muss man sich ja die Zeit vertreiben, wenn sonst nichts passiert. Eine Freundin aus Wien sucht einen Zwischenmieter*in. Wohnen in Wien, das muss schön sein, denke ich mir noch. Ich frage sie spaßeshalber, was sie für das Zimmer verlangt. 600 Euro. Autsch. Ich bekomme zwar immer noch eine saftige Finanzspritze von meiner Familie, aber das sprengt jeglichen Rahmen meiner Dreistheit. Ich sage ihr leicht enttäuscht ab. Sie versteht es eh, andere Länder, andere Mietpreise. Doch es kommt noch besser, ihre Freundin sucht ebenfalls nach etwas Taschengeld für den kommenden Sommer. 410 Euro. Ich fange an, ernsthaft zu überlegen, ob ich meine Sachen packen soll und nach Wien gehe.
Einige Wochen zuvor hatte ich einen inspirierenden Chat mit einem Tindermatch. Corona sei Dank: weltweit Tindern und das auf der Couch. Doch nur für kurze Zeit. Ist doch klar, dass ich da nicht lange fackle und ab nach Bali gehe. Also virtuell. Ach ja, Nils, der Franzose und ich finden uns also beide attraktiv. So steht es jedenfalls in den Tinder-AGB, wenn man ein Match hat. Eigentlich sind Nils und ich beide kreativ und spielen gerne Spiele. Er zeichnet, ich schreibe. Am liebsten reist er quer über den Globus, wodurch er zufallsbedingt auf Bali landete. Und ich sitze mal wieder auf dem Sofa in meiner ausgelatschten Coronahose und frage mich, wie wenig sinnlos mein Abend verlaufen würde, wenn ich doch dabei wäre. Da fragt er mich, ob ich nicht Lust habe, nach Miami zu kommen. Er hat da so einen Kapitän kennengelernt, der von Miami ablegen wird und ist für die kommenden sechs Wochen Teil seiner Crew. Geld verdient er dort zwar nicht, dafür erhält er jedoch ein entzückendes Panorama über Board. Ich sage ihm, dass ich absolut kein Geld für so was habe und frage ihn, wer meine Miete zahlt, wenn ich dort nichts verdiene. „Kündige die Wohnung und verkauf all deine Sachen. Heb nur das Notwendigste auf!“, gibt er mir zur Antwort. So war es bei ihm. Seitdem lebt er sein Leben, außerdem arbeitet er als Freelancer und braucht nur einen Laptop und seinen kreativen Kopf, um sich seine Brötchen zu verdienen. So wie bei mir. Eigentlich. Ich denke kurz über sein Angebot nach und schaue nach Flügen. Miami Airport ist noch gesperrt, keine Einreisegenehmigung für mich, die Deutsche, die den Virus mit anschleppen könnte. Ein paar andere durften auch nicht rein, daher war es ok. Erst wieder ab Juni. Da ist Nils aber schon unterwegs. Schweren Herzens sage ich ab. Wir schreiben noch ein Weilchen bis zu seiner Reise, danach hörte ich nur noch wenig bis gar nichts von ihm. Schade, ich fand ihn wirklich süß.
Zurück zu der Frage, ob ich nach Wien gehen soll. Es ist Anfang Juni und das Zimmer steht ab Juli zur freien Verfügung. Mein Zimmer ist so vollgestopft, als würde ich morgen einen Trödelmarkt veranstalten. So viel Zeug, wie soll ich das jemals losbekommen? Wie konnte ich mir das nur alles anschaffen? Und was mache ich mit meinem Zimmer? Unsere WG wird im Oktober aufgelöst. Die Strom- und Heizkosten wurden erhöht und meine Mitbewohner und ich sind der Meinung, dass es für uns das Beste ist, wenn wir nicht mehr zusammenwohnen. Keiner von uns konnte bisher eine passende Wohnung finden. Verdammt. Keine einzige WG wollte mich bei sich einziehen lassen! KEINE! Ich bin verzweifelt und will einfach raus aus Düsseldorf. Ich hasse die Stadt. Die Leute sind einfach nicht mein Ding und ich möchte nicht in einer Welt leben, in der ich die Bekloppte bin. Wien also? Nachdem ich eine Nacht darüber geschlafen und mit meiner besten Freundin gesprochen habe, die mir sagt, dass ich mir diese Chance nicht entgehen lassen soll, beschließe ich nach Wien zu ziehen. Meine Mitbewohnerin und gute Freundin Jesse ist nicht begeistert. Ein paar Tage lang lässt sie mich das auch spüren. Nachdem ich keinen – für meine Mitbewohner passenden – Nachmieter finden kann, hilft sie mir und fragt in ihrem Freundeskreis rum. Faruk, ihr Kumpel lebt noch zuhause und möchte ausziehen. YESSSSS. Nach ein paar Tagen und ein paar unangenehmen Gesprächen mit meiner Familie ist es beschlossene Sache: Ich ziehe nach Wien. Mein Zeug wurde ich erstaunlich erfolgreich los und so war mein Zimmer am Abend vor meiner Abreise bis auf meine Matratze und das grüne Sofa leer. Meine Mitbewohnerin kurz vor den Tränen, ich einfach glücklich, dass ich den ganzen Scheiß rechtzeitig losgeworden bin.
Am 01. Juli kam ich in Wien an, bei 30 Grad, frischer Luft und Sonnenschein. Wien ist die zweitgrößte Stadt im deutschsprachigen Raum und befindet sich nicht allzu weit von meiner Heimat Bayern, weshalb meine Mom dann doch nichts dagegen hatte. Bekannt ist die Stadt für ihre leckeren Schnitzel und Kaiserschmarrn. Und noch ein paar andere (un)wichtige Dinge. Zu dem Zeitpunkt waren die Corona-Maßnahmen in Deutschland noch ziemlich streng und in Österreich lächeln mir schon wieder Gesichter zu. Wenn man mit der Bahn umzieht, zwei Koffer und einen prall gefüllten Backpack auf dem Buckel hat, kann man von Glück reden, wenn man zweimal Umsteigen überlebt hat. Ich war so verzweifelt, dass ich mein Gepäck bei einem weiteren Stopp einfach liegen gelassen hätte. Nach meiner Ankunft am Wiener Hauptbahnhof rauche ich erst mal eine Kippe. Zwei Freunde meiner Freundin holen mich ab, sie ist krank und hat keine Energie zum Kofferschleppen. Die Jungs glücklicherweise schon! Joni und Don. Als ich die beiden kennenlerne, weiß ich noch nicht, was mich bei ihnen zuhause erwartet. Doch erst einmal bin ich froh, dass ich ihnen meine Koffer in die Hände drücken darf. Ganz gentlemanlike bringen sie mich in mein neues Zuhause im 8. Bezirk. Ein hippes Viertel, dass mit vielen kleinen Bars und Restaurants angibt und dass ich auf die Schnelle niemals alleine gefunden hätte. Die Jungs tragen die Koffer hoch, ich schaue zu. Ich komme mir vor wie im Urlaub. So viele prachtvolle Gebäude, die Straßen machen einen geleckten Eindruck und das Klima gibt mir einen tropischen Kuss. Das Haus, in dem ich leben werde, lässt mich vor Entzückung erstrahlen. Altbau, Marmortreppen, weiße Wände und auf jeder Etage befinden sich diese kleinen alten Waschbecken aus Stein. Joni öffnet die Tür. Ich liebe meine alte WG. Ebenfalls Altbau, etwas ranzig und wahnsinnig liebevoll zu gemüllt. Doch das hier ist das erste Mal seit zwei Jahren, dass ich eine cleane Wohnung beziehe. Und ich fühle mich wie in einem Hotel. Und frei.
2,5 Monate später kann ich sagen, dass ich mich dort sehr wohlgefühlt habe. Natürlich liefen die Dinge nicht so, wie ich sie mir vorgestellt hatte. Viel besser sogar. Mein Sommer in Wien wird mir immer in Erinnerung bleiben und ist der Anfang von dem, was ich gerade mache. Planlos umziehen, Geschichten sammeln, Leute kennenlernen, ein Business bilden und die Welt kennenlernen. Durch meinen spontanen Umzug habe ich gelernt, dass es für mich nicht darauf ankommt, wo ich hingehe, sondern wie ich dort hinkomme. Man muss sich nicht stressen, um einen neuen Wohnort zu finden, die Dinge kommen von ganz allein. Offenheit und Charisma spielen da vielleicht auch noch eine Rolle. Und mein Beruf. Als Journalistin habe ich das große Los gezogen. Ich kann so ziemlich alles machen, worauf ich Lust habe. Davon lebt meine Arbeit. Und jetzt, in diesem Moment sitze ich im Flieger auf dem Weg in mein neues Zuhause: Barcelona. Ähnliche Geschichte wie mit Wien. Diesmal kam der Post von mir. Egal wohin, Hauptsache ins Warme lautete meine Bitte. Hat geklappt! Danke Philip!
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Autor:innen
Ist in Nürnberg aufgewachsen, brach erfolgreich drei Studiengänge ab und entdeckte ihre Leidenschaft für den Journalismus durch ein Praktikum in einer Musikredaktion. 2019 gründete sie das DIEVERPEILTE-Magazin. Themenschwerpunkte sind Mental Health, Krankheiten, soziale Ungerechtigkeit, Sexualität und Drogen.