Im Frühjahr dachte ich noch, das Problem würde sich lösen, wenn ich nur auf andere Gedanken käme. Also Dating. Auf zufällige Begegnungen im Alltag konnte ich nicht warten, denn das Problem wurde von Mal zu Mal größer. Ich lernte neue Menschen kennen, doch das Problem verschwand nicht. Ich traf mich mit neuen Menschen, das Problem war der unausgesprochene Elefant im Raum. Im Sommer fuhr ich in den Urlaub, wechselte die Stadt, sogar das Land. Das half, jedoch nicht lang genug. Ich kam wieder, dachte, ich hätte das Problem im Griff. Die erste Begegnung mit dir und du lehrtest mich eines Besseren. Ja, du bist das Problem. Oder besser gesagt, dass ich mich zu dir hingezogen fühle, das ist das Problem. Wir sind in Selbstreferentialität versunken, haben nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner gesucht und sind einem Uns zwischen den Scherben begegnet.
Fakt ist: Du bist der Mensch, der mir am Nächsten steht, du bist die Schulter, an die ich mich lehne, wenn sich mir der Kopf dreht. Du bist der Mensch, der an mich als Autorin glaubt, du bist die Vernunft, die mir den letzten Nerv raubt. Du bist der Mensch, der mir den Spiegel vors Gesicht hält, du bist das, was ich mir nie eingestehen werde, zu suchen, in dieser abgefuckten Welt.
Ich hatte mir vorgenommen, ab jetzt Distanz zu wahren, wenn wir uns sehen. Fest vorgenommen hatte ich es mir und nun sitzen wir auf dem Weg zur Arbeit Körper an Körper in der S-Bahn. Es ist Spätsommer, wir haben 30 Grad und unsere nackten Oberschenkel berühren sich. Du sagst, dass Frauen oft viel zu laut lachen würden, wenn sie jemanden attraktiv fänden. Ich lache laut und sage, dass ich auch dazu neigen würde. Komisch, dass es dir nicht auffällt. Wir drehen uns im Kreis, reden viel, doch schweigen über das, was von Belang ist.
Du hast mich als Option aus deiner Liste an potenziellen Partnerinnen gestrichen und ich habe bei unserem ersten Date – „Wie bitte?“, schreit dein Blick. Du sitzt im Publikum, hast mir bis gerade stillschweigend zugehört. Jetzt ziehst du die Augenbrauen hoch, legst den Kopf schief und blickst verwirrt drein. Ja, richtig gehört. Für mich war es unser erstes Date, zumindest weil ich mir ein Uns so sehr gewünscht habe. Aber lass uns einfach bei deskriptiven Beschreibungen bleiben, also an jenem Abend um drei Uhr nachts in der Bar habe ich einfach nur noch nicken können. Weil klar, dass wir nicht zusammen passen. Du willst mindestens zwei Kinder, ich traue mir nicht mal zu, ein Baby im Arm zu halten. Du willst monogam leben, ich bin davon überzeugt, mehrere Menschen gleichzeitig lieben zu können und habe das auch schon erlebt. Du hast dein Leben für die nächsten Jahre durchgeplant, ich kann dir nicht mal sagen, wo ich in zwei Monaten stehen werde. Und irgendwie fühlt es sich so an, als hättest du mich um ein Uns betrogen. Du willst, dass deine nächste Beziehung deine letzte ist und ich will dich. Ich will dich jetzt und hier in der Abstellkammer für die Mikrofonständer. Ich will dich, uns festhalten. Ich will dir mit den Fingern durch die Haare fahren und dich stürmisch küssen. Verdammt, ich will, dass wir mehr sind und das für die nächsten paar Monate.
Vielleicht auch für ein Jahr oder zwei. Mal schauen, wie’s läuft. Aber das reicht dir nicht. Und so ich bleibe still, um dich, mich, uns nicht zu verlieren. Denn: Du bist der Mensch, der mir am Nächsten steht, du bist die Schulter, an die ich mich lehne, wenn sich mir der Kopf dreht. Du bist der Mensch, der an mich als Autorin glaubt, du bist die Vernunft, die mir den letzten Nerv raubt. Du bist der Mensch, der mir den Spiegel vors Gesicht hält, du bist das, was ich mir nie eingestehen werde, zu suchen, in dieser abgefuckten Welt.
Du machst dir Druck, sagst, dir rennt die Zeit davon. Ich stehe neben dir am Gleis und ich frage mich wieder, ob ich in drei Jahren wohl auch so denken werde. Wirst du auf mich warten? Monogamie, Kinder, Fünf-Jahres-Plan. Vielleicht klingt das für mich mit 27 auch attraktiv. Unwahrscheinlich, aber möglich. Bis dahin sollten wir nicht allein in den Urlaub fahren, sagtest du, weil nur ein schwacher Moment und die Dämme brechen. In der Hoffnung auf einen Dammbruch darauf ertrank ich seit dem Abend in der Bar. Dass auch du dich zu mir hingezogen fühlst, las ich damals zwischen den Zeilen. Gefragt habe ich dich bis heute nicht. Wir steigen in die nächste S-Bahn ein, und während die Landschaft hinter dem Fenster immer waldiger wird, erzählst du mir, dass du seit einem Jahr nicht mehr im Urlaub warst. Ich schlage vor, dass wir im September übers Wochenende hoch ans Meer fahren. Deine müden Augen strahlen für ein paar Sekunden, bevor sie sich wieder zu deinen dunklen Augenringen gesellen. Doch die Euphorie übermannt mich und wiegt mich in dieser Hoffnung auf mehr.
Ich taumele aus der S-Bahn und der restliche Tag rauscht an mir vorbei. Am Abend allein in meiner Wohnung schwelge ich in Erinnerung an eine fantastische Reise. Ich weiß mittlerweile schon, dass wir nicht in den Urlaub fahren werden. Doch erst im Herbst werde ich dir sagen können, dass ich eine Pause von diesem Uns brauche, das wir nie waren, und du wirst weinen.
Ella trug den Poetry-Slam-Text am 25.10.2022 beim Wohnzimmer Slam Berlin der Kiezpoeten vor. Ihr bester Freund war vor Ort, sie sind weiterhin nur gute Freunde.
Autorin: Ella Strübbe, Illustration: Andrea Ihl

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Sehr schöner, gefühlvoller Text.