Erziehung ist für mich ein extrem spannendes Thema. So viel von dem, wer wir sind, ist dadurch entstanden, wie unsere Eltern oder Bezugspersonen mit uns umgegangen sind. Die Unterschiede in diesen Herangehensweisen sind so verschieden wie die Menschen, die dabei herauskommen. Das macht es zu einer unglaublich wichtigen Aufgabe und ich frage mich oft, wie ich damit wohl umgehen würde. Was erlaube ich meinen Kindern und wie reagiere ich, wenn sie das missachten? Eltern haben eine gewisse Autorität, mit der sie sehr vorsichtig umgehen müssen. Im Großen und Ganzen haben meine das eigentlich gut gemacht. Daher möchte ich meine Mama fragen, was sie sich dabei gedacht hat.
DIEVERPEILTE: Was bedeutet Autorität für dich überhaupt?
Mama: Also Autorität kann für mich zwei Sachen bedeuten, eine positive und eine negative: Einerseits ist es das, wo man sagt, er:sie strahlt eine natürliche Autorität aus. Einfach eine Person, bei der man das Gefühl hat, sie ist gefestigt und hat schon viel erlebt. Aus dem heraus tut man sich dann leichter, Werte zu vermitteln oder überhaupt etwas zu vermitteln. Denn wenn man das schon mit seinem ganzen Erscheinen mitbringt, wird man einfach eher gehört. Und das Negative ist das, was man fast als diktatorisch empfindet, wenn eine Person Autorität als Machtinstrument benutzt. Das zählt für die Erziehung sowie allgemein.
Gibt es auch zu wenig Autorität?
Zu wenig… Da heißt es immer, das wäre so schlecht für die Kinder, die könnten sich nicht orientieren, wenn sie keine gefestigte Führung haben. Das stimmt schon, aber wenn es jetzt um Erziehung geht, ist es sehr oft so, dass man denkt, man muss etwas wie z. B. Autorität ausüben oder immer eine gefestigte Meinung haben. Ich denke, dass das aber gar nicht so sehr stimmt, sondern viel von der Gesellschaft als Erziehungsmaßnahme gefordert wird: „Du musst schauen, dass du die Kinder unter Kontrolle hast, sonst tanzen sie dir auf dem Kopf herum.“
Wie glaubst du wirkt sich das auf das Kind aus?
Die Autorität, die dabei gefordert wird, schließt den anderen völlig aus. Anstatt anzuerkennen, dass das Kind eine Person ist, soll man einfach drüberfahren. Das geht aber gar nicht auf das Empfinden des Gegenübers ein, womit man ja irgendwo die Selbstwahrnehmung zerstört. Ich denke, das kann einen nachhaltigen Schaden hinterlassen. Wenn man immer nur autoritär Anweisungen gibt, wann man schlafen, essen, aufräumen soll, lässt man keinen Platz für die eigene Erfahrung und Urteilskraft.
Das klingt nach einem guten Konzept. Hast du das immer so umgesetzt?
Nein, überhaupt nicht. Mir wurde eher das Gegenteil beigebracht, dass man absolut autoritär sein soll, im negativen Sinn. Bis ich draufgekommen bin, dass das eigentlich furchtbar ist. Da rauszukommen war ein langer und auch anstrengender Prozess.
Das heißt, da hat dich der Stil deiner Eltern auch beeinflusst?
Ja. Das war für mich ein richtiger Schock. Einmal habe ich dich mit meinem Vater ins Auto gesetzt und du hast wie immer ein furchtbares Theater gemacht. Auf einmal haben wir uns umgedreht und beide gleichzeitig dasselbe zu dir gesagt. Das hat mir wie einen Spiegel vorgehalten. Ich dachte nur „Oh Gott, das wollte ich niemals“. Es war wirklich schlimm für mich.
Wie hast du dich dann damit auseinandergesetzt?
In Wirklichkeit habe ich das schon früher als Teenager. Damals wollte ich ein Buch über Erziehung lesen, weil ich mir dachte, das, was meine Eltern mit mir machen kann es wirklich nicht sein (lacht). Und natürlich mit euch direkt, da blieb mir auch nichts anderes übrig. Ich stieß einfach unweigerlich an meine Grenzen. Wie du ganz klein warst, ging es mir eine Zeit richtig schlecht, was mir aber lange nicht bewusst war. Als ich das bemerkt habe, wurde mir klar, dass Selbstbeobachtung extrem wichtig ist.
Und dann diese Erziehungsbücher, die bei uns immer rumlagen?
Genau. Ein besonderer Augenöffner war „Babyjahre“ von Remo Largo. Es ist eigentlich eine Zusammenfassung von Statistiken – das muss man natürlich mögen – die zeigt, was alles normal ist bei Kindern. Wann sie anfangen zu sprechen oder was sie essen und so. So viele Dinge, von denen wir glauben, sie gehören behoben, sind eigentlich ganz normal. Das nimmt sehr viel Druck raus.
Also wieder ein Loslösen von diesen fixen Bildern, die man vermittelt bekommt. Wie gelangt man von dort zu einer gesunden Autoritätsrolle?
Es gibt einem mehr Flexibilität, wie man Kindern einen Rahmen gibt. Man kann einfach genauer darauf eingehen, wen man da vor sich hat. Und wichtig ist auf jeden Fall ein respektvoller Umgang, den man auch vom anderen einfordert. Das ist eine wichtige Basis, um Vertrauen aufzubauen.
Wie siehst du die Rolle von Verboten?
Die müssen, natürlich ab einem gewissen Alter, erklärt werden. Wenn das Kind ein Jahr alt ist, muss ich nicht erklären, warum es nicht auf den Herd greifen oder über die Straße laufen soll. Aber später ist das anders. Wenn man sie dem Kind dann nicht erklären kann, sind sie vielleicht auch nicht sinnvoll. Generell finde ich es auf jeden Fall besser, etwas zu vereinbaren als zu verbieten. Das beinhaltet auch, dass man gemeinsam über etwas spricht. Es hat oft das gleiche Ziel wie ein Verbot, funktioniert aber besser.
Und Bestrafungen?
Davon halte ich nichts. Wir haben z. B. immer Fernsehverbot bekommen, das habe ich auch als Kind schon lächerlich gefunden. Das war mir ja total egal. Ich glaube es ist besser, wenn man dem Kind zeigt, dass jedes Handeln Konsequenzen hat. Etwa wenn ich eine Zeit nicht mit deiner Schwester Filippa sprechen möchte, weil sie mich beleidigt hat. Aber eben nicht, um sie zu bestrafen, sondern weil ich vielleicht verletzt bin. Das heißt aber auch nicht, dass ich meine Kinder nie bestraft habe. Es gibt auch Extremsituationen, in die sich Kinder sehr hineinsteigern. Einmal habe ich Filippa das Handy für einen Tag weggesperrt. Das war zwar zusammenhanglos und etwas dumm, hat aber geholfen, um aus diesem Strudel auszubrechen.
Glaubst du, dass dich diese Rolle als Autoritätsperson verändert hat?
Ja, bestimmt. Man muss viel intensiver darüber nachdenken, was man tut, weil die Kinder ja auch ungefiltert darauf reagieren. Da trage ich eine Verantwortung, die immens fordert. Und was das Richtige ist, weiß man eigentlich immer erst nachher. So macht man auch viele Fehler, mit denen man dann zurechtkommen muss. Ich habe sehr viel über mich selbst gelernt, was ich sonst garantiert nicht erfahren hätte.
Collage © tarantrullart

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Autor:innen
War bis November 2022 Redakteurin bei DIEVERPEILTE. Hat Wirtschafts- und
Sozialwissenschaften in Wien studiert und befindet sich aktuell im
Philosophiestudium. Themenschwerpunkte sind Gesellschaft, Wirtschaft und
Poltik.