Nicht jeder spricht darüber, aber wenn wir mal ehrlich sind, hat der Großteil von uns sich dafür ausgezogen. Geht ja ganz schnell. Shirt aus, Hose runter, Unterwäsche abgezogen und die Socken in die Ecke geschmissen. Und ab gehts in die Röhre, dann heißt es erst mal „Sonne“ tanken. Zehn Minuten später ist man von muffigem UV-Schweiß umgeben, glücklicher Besitzer einiger neuer Sommersprossen und damit beschäftigt, die neuen krebserregenden Leberflecken zu zählen. Aber das ist ja alles total egal, denn braunsein ist einfach so geil. Wenn ich behaupten würde, dass ich mich von der ganzen Solariumnummer ausschließen könnte, würdet ihr mir das wahrscheinlich auch noch glauben, so blass wie ich bin. Meine ersten Bräunungsversuche machte ich, ähnlich wie meine Interviewpartnerin, ziemlich früh. Das liegt an meiner hellen Haut und meiner gestörten Selbstwahrnehmung. Ich probierte mich durch die ganze Palette der Hautvergewaltiger: Selbstbräuner, Spray-Tanning und das klassische Solarium. Wieso gerade Solarien einfach nur scheiße sind, erfahrt ihr hier von meiner Freundin Anina.

Wann bist du das erste Mal ins Solarium gegangen?
Ich war fünfzehn Jahre alt. Meine Freundinnen und ich wussten schon, dass man dafür volljährig sein muss, aber das war uns egal – und der Studiokraft auch. Sie fragten uns nie nach einem Ausweis.

Und warum habt ihr das gemacht?
Wir wollten einfach braun sein. 

Wie oft hast du das Solarium in der Woche aufgesucht?
So ziemlich jedes Wochenende. Meistens dann, bevor es in den Club ging. Das gehörte einfach zum Outfit dazu. Die Bräune ließ mich älter aussehen, sodass mein Personalausweis irgendwann überflüssig wurde. Als ich dann alt genug war, um „offiziell“ ins Sonnenstudio gehen zu dürfen, schloss ich bei der Sonnenbank um die Ecke ein Abo ab. Das war einfach viel günstiger als die ganzen Solo-Sessions. Außerdem hatte ich dadurch die Möglichkeit, sofort hingehen zu können, wenn ich mich mal wieder „blasser“ fühlte. So ging es mir meistens dreimal die Woche oder auch mal zwei Tage hintereinander. 

Hast du dich schöner als andere Menschen gefühlt, weil du bräuner warst?
Ich habe mich nicht attraktiver gefühlt als andere oder andere aufgrund ihrer Blässe diskriminiert. Tatsächlich war das nicht mal etwas, worauf ich bei anderen Menschen geachtet habe. Meine gebräunte Haut hat mich selbst zu einer Version meiner selbst gemacht, die mir besser gefiel. Ich kam mir schlanker vor, meine Pickel verschwanden und allgemein empfand ich mein Erscheinungsbild als „schöner“.

Tanorektiker sind Menschen, die sich immer für zu blass halten. Kennst du das?
Auf jeden Fall. Vor allem weil ich noch immer der Meinung bin, dass ich nicht gut braun werde. Ich sah nicht aus wie jemand der zwei bis dreimal die Woche sonnen geht. Dachte ich zumindest. Ich bekam auch nie so ein Feedback wie „oh du bist aber schön braun“ oder ähnliches. Anscheinend war es genau das, was ich erreichen wollte. Hat aber nie geklappt. 

Wie hast du dich gefühlt, wenn deine Haut mal „blass“ war?
Ich kam mir käsig vor und mochte den Ton nicht, den meine Haut bekam, wenn die Bräune langsam verschwand. Ich fühlte mich schon blass, wenn ich drei bis vier Tage nicht auf die Sonnenbank gegangen bin. Außerdem kam ich mir kräftiger vor, oder bildete mir ein, mehr Cellulite zu haben. Keine Ahnung, ob das nur Einbildung war. 

Und wie hat sich das Bräunen auf dich und dein Hautbild ausgewirkt?
Anfangs war noch alles normal und ich konnte eine positive Entwicklung feststellen. Meine Haut wirkte rosiger und gesünder. Einfach ebenmäßiger und die Pickel trockneten aus. Das hielt auch echt lange so an. Erst in den letzten Jahren merkte ich, dass mein Bindegewebe – vermutlich durch den Kollagenverlust, den ich durch die UV-Strahlen erhielt – darunter gelitten hat. Das ist allerdings nur eine Vermutung. Meine Haut ist mittlerweile nicht mehr so straff, wie ich das bei anderen Frauen in meinem Alter beobachte. Zum Beispiel bei Gewichtsverlust. Ich habe das Gefühl, dass meine Haut da nicht mehr mitzieht. Auch mein Gesicht wirkt faltiger. Da ist definitiv hier und da das ein oder andere Knitterfältchen geblieben. Meinen Teint empfinde ich heute als fahl und ungleichmäßig getönt – was auch die Sonnenbank nicht mehr gerade biegen kann. Auch meine Poren sind an gewissen Stellen geweitet.

Hast du das schon mal von einem Hautarzt checken lassen?
Ja, als ich der Ärztin von meinen alten Gewohnheiten erzählte, bestätigte sie mir meine Befürchtung, dass meine Haut im Gesicht deutlich dicker geworden ist. Was sich auch beim Einführen der Nadel bemerkbar machte. Zudem wurde mir ein Muttermal am Fuß entfernt, das den Verdacht auf Hautkrebs hegte.

Bereust du es, dass du dich so viele Jahre unter die Sonnenbank gelegt hast?
Sehr sogar. Ich hätte mir wirklich gewünscht, dass mal jemand etwas gesagt hätte. Ich kann natürlich keine anderen Menschen dafür zur Verantwortung ziehen. Ich kenne es einfach nicht anders. Meine Mama ist auch schon immer oft ins Solarium gegangen. Zudem wäre es wünschenswert, dass da mehr aufgeklärt wird. Man sollte die Ausweise bei jungen Menschen kontrollieren und Angestellte könnten dich ja auch mal ansprechen, wenn sie dein Gesicht erschreckend oft zu sehen bekommen.

Wie war der Entzug?
Es gab es bei mir keinen wirklichen Entzug. Ich habe einfach damit angefangen, mich mehr mit meiner Haut auseinanderzusetzen. Zufällig entdeckte ich einen Instagram-Account, der mich bezüglich Haut und Pflege gut aufklärte. Dadurch fing ich an, mein Verhalten zu reflektieren und investierte in Hautpflegeprodukte – was mich in einen Zielkonflikt brachte. Deshalb war es kein Problem für mich, von heute auf morgen nicht mehr ins Solarium zu gehen. Außerdem gefiel mir der Effekt, den die Pflegeprodukte auf meine Haut auswirkten besser, als die Sonnenbankresultate. 

Nach allem was war, wie denkst du heute über Solarien?
Ziemlich negativ. Für den Umsatz spielen sie mit der Gesundheit von Menschen. Zuletzt sah ich noch die Werbung an dem Sonnenstudio, in dem ich lange Kunde war: Sonnenbank hilft gegen Corona. Ich glaube, dass dort alle in derselben Blase leben, in der ich auch lange lebte. In der man gar nicht in Erwähnung zieht, dass es gefährlich ist. Man sieht nur die positive Aspekte. 

Konnte sich deine Haut nach den jahrelangen Besuchen erholen?
Meine Haut machte eine wirklich gute Entwicklung und wird es sicher auch weiterhin. Ich denke und hoffe, dass ich noch früh genug die Kurve bekommen hab. 

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Ist in Nürnberg aufgewachsen, brach erfolgreich drei Studiengänge ab und entdeckte ihre Leidenschaft für den Journalismus durch ein Praktikum in einer Musikredaktion. 2019 gründete sie das DIEVERPEILTE-Magazin. Themenschwerpunkte sind Mental Health, Krankheiten, soziale Ungerechtigkeit, Sexualität und Drogen.

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