Die Fotografin Kim Oppermann hat Menschen porträtiert, die seit ihrer Geburt unzählige Muttermale haben – und oft mit Vorurteilen konfrontiert sind. Ein Nävus (Mehrzahl Nävi) ist eine dunkle Hautwucherung der Haut oder Schleimhaut. Nävi können angeboren sein oder sich erst im Laufe des Lebens entwickeln. Sie sind gutartig, aus einigen Nävi können sich allerdings bösartige Tumoren entwickeln. Drei Menschen erzählen, wie das Leben mit der seltenen Hautkrankheit ist.
Melena Ludwig, 36, ist Ergotherapeutin und Vorstandsvorsitzende des Vereins „Nävus Netzwerk Deutschland e. V.“ aus Fulda. Ihre 6-jährige Tochter Merle kam mit der Pigmentstörung CMN (kongenitale melanozytäre Nävi) auf die Welt. Als Angehörige einer betroffenen Person möchte sie auf die Besonderheit der fehlgebildeten Haut aufmerksam machen und zeigen, dass man damit gut und glücklich leben kann.
„Meine Tochter Merle kam mit mehreren kongenitalen melanozytären Nävi in verschiedenen Größen zur Welt. Als prägnantester Nävus zeigte sich die Betroffenheit des linken Unterarms inklusive der Hand.

Auch am Rücken und Gesäß waren einige, zum Teil relativ große, Satelliten. Die Beschaffenheit ihrer Nävi war sehr unterschiedlich. Einige sind etwas heller, andere fast schwarz. Alle Nävi waren von Geburt an behaart. Die Haut an der Hand ist eher runzelig und dicker als die restliche Haut. Bei dieser Haut würde man eine feste und eher hornige Haut vermuten. Genau das Gegenteil ist der Fall. Die Haut ist sehr weich und verletzlich. Bei kleinen Stößen oder Kratzern reißt die Haut auf und heilt ziemlich schlecht. Merle hat zum Glück keine Funktionseinschränkungen. Seit Geburt hat sie hunderte an neuen Nävi am kompletten Körper dazu bekommen. Die Größe variiert von wenigen Millimetern bis eineinhalb Zentimeter im Durchmesser. Wenn neue Muttermale kommen, sind erst kleine, leichte Schatten zu sehen und diese werden von Tag zu Tag immer dunkler. Das Zählen der einzelnen Nävi haben wir schon lange aufgegeben. Wir nennen sie liebevoll „Sammelpunkte“. Sie dürfen für immer bleiben.
Ein CMN ist ein schwarzes oder braunes Muttermal, das bereits bei der Geburt vorhanden ist. Melanozytär heißt die Nävusart an sich und bezeichnet das vermehrte Auftreten von Melanozyten (Pigmentzellen). Die häufigste Klassifikation von CMN beruht auf ihrer Größe bzw. ihrem maximalen Durchmesser im Erwachsenenalter. Ein Nävus vergrößert sich dabei immer proportional zum Wachstum der Haut, sodass sein Durchmesser vom Säuglings- bis ins Erwachsenenalter am Kopf etwa zweifach und am Rest des Körpers ungefähr dreifach zunimmt. Die größten Nävi können bis zu 80 Prozent der Körperoberfläche bedecken. Große Nävi werden häufig von zahlreichen kleineren sogenannten Satellitennävi begleitet, die bereits bei Geburt oder in den ersten fünf Lebensjahren auftreten.

Melanozyten sind Hautzellen, die bei uns allen, jedem Menschen, in der Haut vorkommen. Sie produzieren den Hautfarbstoff Melanin, der für die bräunliche Färbung der Haut verantwortlich ist. Bei CMN sind diese Hautzellen nicht gleichmäßig in der Haut verteilt, sondern bilden Zellnester, die für uns als “braune Muttermale“ sichtbar sind. Die Ursache für das Auftreten von kongenitalen Nävi ist noch nicht genau bekannt. Man geht von einer (zufälligen) genetischen Veränderung (Mutation) bei der Anlage der Haut während der Entwicklung des Kindes in der Schwangerschaft aus. Aus diesem Grund sind kongenitale Nävi nicht vererbbar.

Das Melanom (schwarzer Hautkrebs) der Haut ist eine seltene Komplikation bei kongenitalen melanozytären Nävi, die meisten werden nie bösartig. Jedoch sollten alle Betroffenen ihren Nävus regelmäßig kontrollieren und Auffälligkeiten (wie z. B. einen neu auftretenden Knoten oder Verfärbungen) umgehend einem Hautarzt vorstellen. Die Maßnahmen zum Sonnenschutz entsprechen den üblichen Empfehlungen für kindlichen Hautschutz. Bei großen Nävi liegt das Melanomrisiko vermutlich unter 1 Prozent. Bei den größten Nävi ergeben neuere Schätzungen ein Risiko von etwa 3 bis 5 Prozent, dass sich im Verlauf des Lebens ein Melanom der Haut entwickelt. Wenn ein Melanom früh genug entdeckt und behandelt wird, dann ist es heilbar. Die meisten Betroffenen werden keinerlei weitere Komplikationen haben. Bei einigen Kindern, insbesondere bei Riesennävi mit zahlreichen Satelliten, finden sich jedoch Melanozyten (Pigmentzellen) im zentralen Nervensystem, also im Bereich von Gehirn oder Rückenmark. Man spricht dann von einer neurokutanen Melanose. Ein MRT kann im frühen Alter klären, ob das der Fall ist. Einige Kinder, die eine neurokutane Melanose haben, zeigen eine verzögerte Entwicklung oder können unter Krampfanfällen und anderen neurologischen Störungen leiden. In seltenen Fällen kann sich ein Melanom des zentralen Nervensystems bilden.

Der Grund für eine Operation ist meistens, das vermeintlich große Krebsrisiko zu verringern. Bei mir persönlich war das immer der erste Gedanke: Das soll alles weg. Nach vier Jahren als Vorstand im Nävus-Netzwerk sehe ich das zwiegespalten. Natürlich möchte man als Eltern möglichst viel entfernen. Vielen ist zu Beginn nicht bewusst, was der Preis dafür ist. Zum einen die Operationen an sich, in Bezug auf Lebensqualität durch den Aufenthalt im Krankenhaus, die möglichen Komplikationen und den langen Heilungsprozess. Eine vollständige folgenlose Entfernung des Nävus ist leider nicht möglich. Nävus oder Narbe? Beides ist und bleibt mehr oder weniger ein „Blickfang“. Deswegen muss jede Familie für sich abwägen, für was sie sich entscheiden. Wenn der Nävus zu groß ist, um ihn zu entfernen, kann es schöner sein, ihn einfach unbehandelt zu lassen. Ein Nävus gespickt mit Narben zieht die Blicke manchmal mehr auf sich, als ein dunkler Nävus an sich. Aus meiner Sicht verändert sich die Wahrnehmung des perfekten Aussehens als Eltern mit einem betroffenen Kind. Für manche ist es schrecklich, ein Kind mit einem braunen Fleck am Körper zu sehen. Es kann aber wunderhübsch sein. Es gehört zum Körper und Kind dazu. Das ist genau das, was Kinder und Erwachsene gleichsam lernen müssen. Es ist auch völlig egal, welche Andersartigkeit es ist, alle sind gut, so wie sie sind und das Problem ist eigentlich nur die Gesellschaft, nicht die Person.

Ein Nävus kann eine kosmetische Beeinträchtigung darstellen und dadurch zu Stigmatisierung und emotionaler Belastung führen. Die ideale Behandlung für kongenitale Nävi gibt es noch nicht. Jeder Nävus ist anders und eine Therapie muss individuell abgestimmt werden. Eine spurlose Entfernung ist bisher nicht machbar. Alle jetzigen Behandlungsmöglichkeiten haben auch mögliche Nachteile, die sorgfältig abgewogen werden müssen. Es gibt aber für viele Fälle operative Therapieverfahren. Ausführliche Beratung, mehrere Meinungen von verschiedenen Ärzt:innen und der Austausch mit anderen Eltern, helfen dabei, eine Entscheidung zu treffen. Manchmal kann es besser sein, einen großen kongenitalen Nävus so zu lassen, wie er ist und ihn lediglich genau zu beobachten.

Für Eltern, die ein betroffenes Kind bekommen, ist es zuerst immer ein großer Schock. Schnell kommen Selbstzweifel und die Gedanken, etwas falsch gemacht zu haben. Man versucht, mögliche Ursachen dafür zu finden. Nach einiger Zeit und auch im Austausch mit anderen wird man darin bestärkt, dass man an der Entstehung der Nävi nicht schuld ist. Bei Merles Geburt hatten wir großes Glück, ein sehr gutes Team um uns herum zu haben. Es hat sehr entspannt reagiert und schnell gewusst, dass keine Notsituation besteht. Aus Erzählungen anderer Eltern haben wir erfahren, dass in manchen Geburtskliniken aus Unwissenheit mit Panik und Hektik reagiert wurde. Auch unser Geburtsteam hatte so etwas noch nie gesehen und wusste auch nicht, was es genau ist. Ich kann mir vorstellen, dass sie bestimmt alle erschrocken waren, aber das mir gegenüber nicht gezeigt haben. Das ist genau der Verlauf, den man sich wünscht. Ich persönlich war trotzdem in einer Schockstarre. Während der ersten Tage habe ich mich sehr wenig damit auseinandergesetzt. Kaum damit beschäftigt, wenig gegoogelt. Ich wollte auch nicht darauf angesprochen werden. Mein Mann hat derweil bereits fleißig im Internet recherchiert und dadurch auch das Nävus-Netzwerk gefunden, was eine Riesenbereicherung war und immer noch ist. Nach einiger Zeit der Verarbeitung kommt die große Frage: „Was machen wir jetzt?“
Nachdem die Geburtsklinik wusste, dass es sich um einen kongenitalen melanozytären Nävus handelte, vereinbarte sie für uns einen Termin beim nächstgelegenen Facharzt. Im Austausch mit einigen Eltern vom Nävus-Netzwerk wurde uns geraten, mehrere Meinungen für Behandlungsvorschläge einzuholen und sie haben uns mehrfach das Uni- versitätshautklinikum Tübingen empfholen. Nach der Vorstellung dort und einer anschließenden Bedenkzeit haben wir uns für die dort praktizierte Behandlung mit Serienexzision entschieden. Bei dieser Methode wird das Nävus in mehreren Schritten rausgeschnitten und mit einer Naht verschlossen.

Nachdem wir uns für die Behandlung in Tübingen entschieden hatten, fand die erste OP statt, als Merle sieben Monate alt war. Dabei wurde ein ganzes Stück am Unterarm und an dem größten Nävus am Gesäß ein Teil entfernt. Leider hatten wir nach dieser OP mit einer starken Wundinfektion mit erneutem Krankenhausaufenthalt zu kämpfen. Das hat uns etwa acht Wochen beschäftigt und Verbandsmaterial war unser ständiger Begleiter. Bis heute haben wir zehn Operationen überstanden. Leider mehrfach mit Wundheilungsstörungen. Alle Kosten werden von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen. Meine Tochter freut sich jedes Mal schon wochenlang auf die OPs und den Aufenthalt in Tübingen. Sie verbindet es glücklicherweise mit nichts Negativem. Wir besprechen im Vorhinein und reflektieren im Nachhinein auch immer zusammen. Auch heute, wenn wir zur OP gehen, dann nimmt sie zwei Tage Schmerzmittel und dann braucht sie keins mehr. Merle und ich machen uns auch immer eine schöne Zeit aus dem Aufenthalt. Es gibt immer Eis und sie darf mehr Tablet schauen. Das genießt sie natürlich.
An der Hand haben wir uns für eine Vollhauttransplantation entschieden. Prinzipiell war das auch die richtige Entscheidung, ich stehe dazu auch heute noch. Ich würde es nur nicht mehr so früh machen, Merle war erst zwei Jahre alt. Die Haut für das Transplantat wurde aus der Leiste entnommen. Leider ist das Ergebnis nicht so, wie wir uns das alle erhofft hatten. Die transplantierte Haut hatte eine große Spannung und die des Nävus im Gegensatz hat sehr viel nachgegeben, sodass die Fläche der Transplantation kleiner ist als erwartet. Sie hat an dieser Stelle anschließend auch einen Kompressionshandschuh getragen, um ein besseres Ergebnis und eine gute Versorgung zu bekommen. Unser Ziel ist es, dass wir den linken Arm bis zum Handgelenk frei vom Nävus bekommen. Wie viele OPs dafür noch benötigt werden, ist unklar. Immer wieder gibt es durch Wundheilungsstörungen Rückschritte. Aber Merle hat den Wunsch, es entfernen zu lassen und so lange sie es so gut mitmacht, sehe ich es auch als den richtigen Weg an.
Von den Kindern im Ort oder Kindergarten gab es nie irgendetwas Negatives. Das ist wirklich sehr toll. Gerade die Hand berührt man schon mal beim Spielen. Bei Begegnungen mit fremden Kindern sind die Erfahrungen gemischt. Zum Teil ist eine direkte abwehrende Haltung der Kinder zu beobachten. Im Gegenzug machen wir auch häufig die Erfahrung, dass Kinder einfach Merle direkt fragen: „Was hast du denn da an der Hand?“ Daraufhin sagt Merle: „Das ist mein großes Muttermal. Ich bin damit auf die Welt gekommen.“ Damit hat sich das Thema erledigt und sie spielen gemeinsam. Die Kinder haben eine Antwort auf ihre Frage bekommen. Sie kennen alle Muttermale und wissen, dass es nicht schlimm ist und dann ist das kein Thema mehr. Je älter Merle wird, umso mehr merkt man, dass sie sich manchmal schämt oder ihre Hand im Ärmel verstecken möchte. Ich versuche sie selbstbewusst zu erziehen und ihr zu vermitteln, dass sie gut so ist, wie sie ist!
Ich finde es gut, wenn wir angesprochen und gefragt werden, wenn jemand etwas wissen möchte. Dann können Unklarheiten geklärt werden und die betroffene Person bekommt keine blöden Blicke oder Kommentare. Eltern bringen ihren Kindern Verhaltensweisen und Reaktionen bei, ob gewollt oder ungewollt. Die Kinder werden genauso damit umgehen, wie es die Eltern tun. Und die Reaktionen der Erwachsenen sind deutlich diskriminierender. Ebenso die Einstellung von uns, als Eltern von Kindern mit Nävi, spielt eine sehr große Rolle. Manche sind der Ansicht, dass es schlimm ist, wenn andere gucken und das Kind dann versteckt werden muss oder bei 25 Grad lange Klamotten angezogen bekommt. Ich bin der Meinung, dass es Sache der Einstellung ist. Wir müssen unseren Kindern beibringen, dass sie genau so gut sind, wie sie sind. Wenn man sich als Eltern nicht damit auseinandersetzen möchte, dann wird das Kind wahrscheinlich irgendwann damit ein Problem haben. Ich glaube, viele Eltern denken an sich selbst, aber nicht an die Kinder. Oder sie meinen, sie können ihr Kind durch das Verstecken beschützen, aber aus meiner Sicht machen sie genau das Gegenteil. Aus meiner Sicht projizieren sie ihre eigene Unsicherheit auf die Kinder.
Mit der Zeit arrangierte man sich mit den neuen Gegebenheiten, auch wenn es immer mal wieder sehr schwerfiel. Die Stellen am Rücken und am Gesäß waren im Alltag oft Nebensache. Aber der Arm und die Hand waren für mich am Anfang länger ein großes Problem, weil diese immer sichtbar sind, vor allem, wenn es Richtung Sommer geht. In der Zeit direkt nach der Geburt waren Kommentare von meiner Umgebung wie: „Das ist doch nur kosmetisch!“, „Sonst ist sie ja gesund!“ oft verletzend, weil ich das Ganze zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht akzeptiert hatte. Es hat ein paar Wochen gedauert, sich daran zu gewöhnen, dass das Kind nicht so ist, wie man es erwartet hatte. Mit der Zeit macht man sich viele Gedanken darüber, wie es für das Kind sein wird, wenn es älter wird. Wir versuchen, sie zu einer starken Persönlichkeit heranzuziehen und ihr eben auch einen offenen Umgang damit beizubringen.
Meine Tochter ist 2016 geboren. Ein Jahr später waren wir dann das erste Mal bei einem Treffen vom Nävus Netzwerk, welches 2011 von einer Elterninitiative zusammen mit dem Dermatologen Prof. Sven Krengel gegründet wurde. Der damalige Vorstand hörte auf und nach einigen Überlegung habe ich mich zur Wahl aufstellen lassen und wurde dann zur ersten Vorsitzenden ernannt. Bei Ehrenämtern gibt es bekanntlich nicht viele Freiwillige. Es ist viel Arbeit, aber ich mache es wirklich sehr gerne. So kann ich Eltern die Unterstützung bieten, die auch ich hatte. Leider fällt es manchen Eltern schwer, da die Hemmschwelle sehr groß ist, sich überhaupt damit auseinanderzusetzen und mit anderen Eltern in Kontakt zu treten. Aber ich persönlich denke, dass es immer eine Bereicherung ist, uns und die Kinder kennenzulernen und zu sehen, dass sie völlig normale Kinder sind, die lebhaft glücklich spielen, wild und ungehemmt sind. Bei unseren jährlichen Familientagungen herrscht immer eine sehr vertraute und familiäre Stimmung. Es wird gemeinsam gelacht und geweint. Mir ist es ein großes Anliegen, unsere Erkrankung bekannter zu machen und die damit verbundenen Stigmatisierungen zu reduzieren. Im Übrigen ist das nicht nur im Sinne unserer, sondern aller Erkrankungen, die auffallen. Es geht niemals darum, unsere Kinder oder andere Betroffene vorzuzeigen. Es geht darum, dass die Gesellschaft lernen muss, mit Besonderheiten umzugehen und für Aufklärung zu sorgen.“
Julia Weyhofen, 32, arbeitet als Sozialpädagogin in Köln. Sie beteiligt sich an diesem Projekt, um möglichst viele Menschen für einen offeneren Umgang mit dem Thema Hautbesonderheiten zu sensibilisieren. Außerdem wünscht sie sich, dass durch diese Initiative mehr Fachärzt:innen auf Nävus in einer solchen Größenordnung aufmerksam werden. „Mein Ziel ist es, anderen Betroffenen Mut zu machen. Zudem sehe ich es als Chance, mich mittels meiner besonderen Geschichte öffnen zu können. Dies war und ist immer noch ein wichtiger und großer Schritt für mich selbst. Nicht zuletzt, um durch mehr Selbstakzeptanz entspannter mit dieser Besonderheit zu leben“, ergänzt sie.
„Mein Riesennävus fängt unterhalb der Brust an, erstreckt sich über den ganzen Bauchbereich bis runter zu den Beinen. Und hinten über den ganzen Rückenbereich bis hoch zum Nacken. Diese Art von Nävus wird Badeanzugnävus genannt. Ich wurde mit meinem Nävus geboren. Außerdem habe ich überall am Körper kleinere Muttermale.

In der Kindheit und Jugend kann ich mich gar nicht daran erinnern, dass ich überhaupt mal jemanden mit größeren Muttermalen gesehen habe, geschweige denn mit einem Riesennävus. Mein erster Kontakt zu anderen war tatsächlich erst über das Nävus- Netzwerk. Auf der Internetseite des Vereins gibt es ein geschlossenes Forum für Betroffene und da habe ich reingeschrieben. In diesem Forum habe ich dann eine Frau kennengelernt, die nur ein paar Jahre älter ist als ich und ebenfalls einen Badeanzugnävus hat. Wir haben uns dann getroffen. Dieser Austausch war auf jeden Fall sehr wertvoll für mich. Ich habe natürlich auch mit Freund:innen und Familie über meine Ängste und Gedanken gesprochen, egal ob sie absurd oder vielleicht auch nachvollziehbar waren. Mein Umfeld hatte immer ein offenes Ohr dafür, konnten mir auch zustimmen und mein Unwohlsein gut verstehen. Aber es ist noch mal etwas anderes, wenn man sich mit jemanden austauscht, der sich in einer sehr ähnlichen Situation und im gleichen Alter befindet. Viele Gedanken, die man sich so macht, wirken sehr absurd, können aber von jemandem, der das genauso hat, nachvollzogen werden. Ich habe mich nach diesem Treffen gut und verstanden gefühlt. Und ich habe auch die Bestätigung bekommen, dass es ok ist, sich nicht immer damit wohlzufühlen.
Weil ich im Kindergarten arbeite, werde ich damit öfter konfrontiert. Mittlerweile trage ich im Sommer auch öfter eine kurze Hose, das habe ich früher gar nicht gemacht. Bei den Kindern ist es meistens so, wenn sie neben mir sitzen, dass sie gar nicht fragen, sondern über die Muttermale drüber fühlen. Die haben diese Distanz nicht und es ist ihnen auch nicht unangenehm. Manchmal fragen sie dann von selbst, was das ist. Und manchmal sage ich direkt etwas, wenn sie es anfassen: „Das fühlt sich komisch an, oder?“ und dann kommt ein „Ja“ und dann erkläre ich das: „Das ist ein Muttermal. Das hast du bestimmt auch schon mal gesehen, vielleicht hat deine Mama oder dein Papa eins. Manche haben davon viele und manche weniger und ich habe sehr viele davon, das ist aber nichts Schlimmes. Jede Haut sieht anders aus.“ Ich nenne es Muttermale, nicht Nävus, weil die Kinder damit einfach nichts anfangen könnten. Und in der Regel sehen die ja den großen Nävus nicht, sondern nur die kleinen, die Satelliten. Wenn den Kindern das einmal erklärt wird, dann ist das für die auch in Ordnung.


Am Arm habe ich eine Stelle, da wurde ein größerer Satellit vor ein paar Jahren gelasert. Ich wollte sehen, ob das davon weggeht. Jetzt sieht es ein bisschen so aus wie eine Abschürfung oder eine Verbrennung. Eigentlich sah es vorher schöner aus als jetzt, aber das konnte ich nicht wissen. Es fühlt sich tatsächlich ein bisschen rau an. Ein bisschen so, wie Schmirgelpapier. Da fühlen die Kinder oft drüber und ich glaube, manchen gefällt das sogar. Es gibt ein Kind, das streicht immer unbewusst über diese Stelle, wenn ich vorlese. Kinder finden unterschiedliche Beschaffenheiten und Oberflächen sehr interessant. Manchmal habe ich das Gefühl, als wäre mein Arm ein Fühlbuch. Mir macht das aber nichts aus, ich finde das nicht schlimm. Manchmal sage ich, dass ich es gerade nicht möchte, wenn es mal einen Tag gibt, an dem ich nicht angefasst werden will. Aber ich habe damit allgemein kein Problem, weil Kinder das auf so eine natürliche Art und Weise machen.
Es gibt ein kurzes interessiertes Gucken: „Ah ok, habe ich gesehen“ oder es gibt dieses abwertende intensive Gaffen. Wenn ich das Gefühl habe, dass jemand mich angeekelt anschaut, dann gucke ich manchmal zurück, um zu signalisieren, dass ich das merke. Das schlägt bei mir oft beinahe in Unverständnis und Wut um. So etwas ist respektlos, finde ich. Manchmal versuche ich aber auch anders zu reagieren und schaue freundlich zurück, um die Leute ein bisschen in Verlegenheit zu bringen. Ich glaube, wenn man mich nur kurz anschaut und dann den Blick wieder abwendet, das ist das, was mich am wenigsten beschäftigt.

Als ich geboren wurde, wusste in dem Krankenhaus niemand, was das überhaupt ist. Es war völlig unbekannt. Zu dem Zeitpunkt war durch Zufall ein externer Arzt in diesem Krankenhaus, der aus Kassel kam. Und in Kassel gibt es ja eine Fachklinik für Nävi, deswegen wusste er, dass es sich um einen Riesennävus handelt. Als ich vier Wochen alt war, sind meine Eltern mit mir nach Kassel zu der Fachklinik gefahren. Dort bin ich insgesamt achtmal operiert worden, mit dem Dermabrasions-Verfahren. Als ich geboren wurde, sah mein Nävus anders aus: er war viel dunkler, fast schwarz, sehr behaart und auch erhaben. Deswegen hat man früher auch Tierfellnävus dazu gesagt, was nicht schön ist und auch einfach abwertend klingt. Seit der Dermabrasion ist mein Nävus auch ein bisschen heller. Heute wird die Dermabrasions-Methode nicht mehr so häufig verwendet, weil man weiß, dass die Hautzellen, in denen die Pigmentierung ist, so tief unten sitzen, dass es gar nicht so viel Sinn macht. Aber bei mir war das vor 30 Jahren. Meine Eltern haben das nach bestem Wissen und Gewissen entschieden. Ich weiß natürlich nicht, wie der Nävus jetzt aussehen würde, wenn er nicht behandelt worden wäre. Es ist halt dadurch bei mir kaum behaart, was ich auch gut finde, und es fällt nicht mehr so stark auf, weil es nicht mehr so dunkel und dick ist.
An die Schmerzen und Behandlungen kann ich mich nicht erinnern. Aus den Erzählungen von meiner Mama weiß ich, dass das eine ganz schlimme Zeit war. Das erste Mal operiert wurde ich mit vier Wochen und es lagen etwa sechs Wochen dazwischen bis zur nächsten Operation. In meinem ersten Lebensjahr habe ich deswegen sehr viel Zeit im Krankenhaus verbracht. Die Operation an sich war das eine, aber anschließend mussten regelmäßig die Verbände gewechselt werden und die Wunden heilen. Das, was nach der Dermabrasion bleibt, ist eine offene Wunde, wie eine Verbrennung. Meine Mama hat gesagt, dass ich dauernd geschriehen habe und sogar teilweise gar nichts mehr trinken wollte. In diesem Zeitraum habe ich auch viele Schmerzmittel bekommen. Ich bin froh, dass ich daran keine bewussten Erinnerungen habe. Ich bin mir aber sicher, dass ich unbewusst Sachen mitgenommen habe, die jetzt noch Einfluss auf mich haben. Ich kann keine Ringe, Ketten oder enge Schals tragen. Ich habe mir vor ein paar Jahren eine Halskette gekauft, dir mir gefallen hat. Ich hatte sie nur ein einziges Mal an.

Meine Mama glaubt, dass das durch die damals enganliegenden Verbände kommt. Vielleicht ist es auch so, dass ich das einfach nicht mag und es gar nichts damit zu tun hat. Ich mache meinen Eltern auf jeden Fall keinen Vorwurf. Sie haben versucht, die beste Entscheidung für mich zu treffen. Und vor 30 Jahren gab es ja auch das Internet noch nicht. Es gab einfach zu wenige Möglichkeiten, viele unterschiedliche Meinungen einzuholen. Sie haben auf den Rat der Ärzt:innen gehört, das war auch der Weg, den die meisten damals gegangen sind. Wenn mein Riesennävus noch so aussehen würde, wie vor der OP, dann bin ich froh, dass es gemacht wurde. Aber natürlich weiß ich nicht, wie er heute aussehen würde, wäre ich nicht operiert worden. Mittlerweile wird davon ausgegangen, dass Nävi von sich aus im Laufe der Zeit heller werden.
Dadurch, dass ich damit geboren wurde und meine Eltern das an mir gar nicht anders kennen, war es normal. Mir ist das eher bewusst geworden, wenn es durch andere zum Thema gemacht wurde. Für mich und meine Geschwister und auch das direkte Umfeld war das kein Thema. Für die ist es einfach ein Teil von mir und auch nichts Schlimmes. Dadurch habe ich mich, gerade in der Pubertät, schlecht gefühlt, wenn es für mich ein Problem war. Ich hatte gefühlt gar nicht die Chance, das auch mal richtig doof zu finden. Meine Mama hat früher, weil das einfach etwas sehr Unbekanntes war, z. B. vorher im Kindergarten oder auch in der Grundschule Bescheid gesagt und es erklärt. Ihr war wichtig, dass die Lehrer:innen Bescheid wissen und dann auch vielleicht einen besonderen Blick auf mich haben können, falls ich mich mal nicht wohlfühle. Das habe ich damals nicht mitbekommen, was, denke ich, auch ganz gut war. Heute gibt es vom Nävus-Netzwerk Flyer, die könnte man dann einfach den Lehrer:innen geben oder im Lehrerzimmer auslegen, damit sie wissen, was das Kind hat.

Gerade in der Pubertät wäre es schön gewesen, schon andere Betroffene kennenzulernen. Auch für meine Eltern wäre es wichtig gewesen, sich mit anderen Eltern über Ängste und Sorgen austauschen zu können. Über so etwas wie das Nävus-Netzwerk, aber auch soziale Medien, kann man sich heute deutlich einfacher verbinden und austauschen. Vielleicht wäre auch ein:e Kindertherapeut:in gut gewesen. Ich glaube, dass es mir gut getan hätte, mit jemandem zu reden, der nicht zu meiner Familie oder Freund:innen gehört. Auch einfach, um vermittelt zu bekommen, dass es in Ordnung ist, Ängste zu haben, seinen eigenen Körper zwischendurch nicht zu mögen oder einfach das Ganze in Frage zu stellen. Dabei geht es mir nicht darum, Mitleid zu bekommen, sondern um professionelle Begleitung. Warum werde ich im Schwimmbad angeschaut? Warum machen das die Leute? Ich kann mir vorstellen, dass ich unterbewusst Vermeidungsstrategien entwickelt habe. Ich weiß noch, dass ich mich schon in der Grundschule beim Sport nicht gerne vor anderen umgezogen habe. Dadurch, dass meine Eltern einen so selbstverständlichen Umgang damit hatten, war es für mich schwierig, auch meine negativen Empfinden meinem Nävus gegenüber zuzulassen und zu akzeptieren: „Ich mag meinen Körper überhaupt nicht, ich möchte das nicht haben, das stört mich und macht mich unglücklich.“ Mir wurde oft gesagt, dass ich mir vorstellen soll, wie es wäre, den Nävus im Gesicht zu haben. Einfach um es zu relativieren, aber das bringt einem in der Situation dann auch nichts. Nur weil das Leben immer schlimmer sein könnte, habe ich ja trotzdem das Recht, das, was ich habe, als schlimm zu empfinden. Selbst wenn jemand den Nävus ‚nur‘ insgesamt handflächengroß am Bauch hätte, darf diese Person das in dem Ausmaß, wie sie es hat, schlimm finden.

Ich würde sagen, aus medizinischer Sicht fühlen sich Berührungen auf dem Nävus nicht anders an. Aber emotional, auch nach wie vor, macht es für mich einen Unterschied. Ich werde lieber an Stellen berührt, wo der Nävus nicht ist. Das liegt daran, weil ich es selbst immer noch nicht zu 100 Prozent akzeptiert habe. Es ist in Ordnung, wenn ich auf dem Nävus berührt werde, aber ich fühle mich dort einfach ein bisschen unwohl. Ich muss mich darauf einlassen und versuchen, mir nicht zu viele Gedanken zu machen. In Bezug auf Männer finde ich Berührungen am Rücken auch deutlich schlimmer und ungewohnter als vorne, weil ich es am Rücken selbst nicht sehen kann und dann weniger Kontrolle habe.

Ich glaube, in der Kindheit hatte ich ein sehr gesundes Selbstbewusstsein. Aber in der Pubertät, würde ich jetzt rückblickend sagen, war mein Selbstbewusstsein nicht gut. Ich glaube, nach außen hin habe ich oft selbstbewusster gewirkt, als ich mich gefühlt habe. Ich habe das oft kompensiert, indem ich mich souverän oder lässig gezeigt habe. Obwohl ich mich in dieser Zeit nicht so gefühlt habe. Immer, wenn jemand mich gefragt hat, habe ich offen darüber geredet, mich aber eigentlich dabei gar nicht so wohl gefühlt. Ich habe das Unwohlsein und die Zweifel immer so ein bisschen überspielt. Mittlerweile, würde ich sagen, habe ich schon ein deutlich besseres Selbstbewusstsein. Früher war meine größte Angst, wenn ich jemanden mag und die Gefühle auch erwidert werden, dass sich alles ändert und er mich unattraktiv findet, sobald er meinen Nävus sieht. Mir wurde häufig von anderen gesagt, wenn mich jemand wirklich mag, dann wird das für denjenigen kein Problem sein. Aber wenn man selbst in der Situation ist, dann hat man den Wunsch von seinem Partner auch attraktiv gefunden zu werden und ich habe öfter gedacht, dass der Nävus vielleicht meine Attraktivität mindert. Deswegen habe ich mich sehr lange dagegen gewehrt, körperliche Nähe zuzulassen. Der Mann, mit dem ich den ersten körperlichen Kontakt hatte, hat sehr entspannt darauf reagiert und das war für mich und mein Selbstbewusstsein definitiv eine der positivsten Erfahrungen. Oder es hat zumindest bei mir einen Knoten gelöst. Das war für mich ein Schlüsselmoment, weil das, wovor ich so lange so viel Angst hatte, nicht eingetreten war. Mittlerweile bin ich an einem Punkt, wo ich sehe, dass es anders ist, aber deswegen nicht unattraktiv. Und wenn mich jemand mag, so wie ich bin, dann gehört das dazu.“
Nané ist Sängerin, Songwriterin und Speakerin aus Hamburg. Nachdem sie mit der seltenen Pigmentstörung CMN geboren wurde, weiß sie, wie es ist, nicht der klassischen Norm zu entsprechen. Über die Krankheit spricht sie sehr offen: Mit ihrem Podcast „HAUT Couture – ICH BIN ICH und das ist gut so“ möchte sie anderen Menschen zu mehr Selbstbewusstsein verhelfen.
„Ich bin mit dem Gendefekt CMN geboren – einem Congenital Melanocytic Naevi. Auf Deutsch wird es kongenitaler melanozytärer Nävus genannt. Oder auch Pigmentstörung. Das bedeutet, dass ich hunderte Leberflecke am Körper habe und einen ganz großen, der meinen Rücken und Schulterbereich bedeckt. Ich bin Ende der Siebziger in der ehemaligen DDR geboren worden. Damals gab es noch kein Internet und die Ärzt:innen hatten mehr oder weniger keine Ahnung, was sie da vor sich sahen. Deswegen wurde ich meinen Eltern erst mal direkt nach der Geburt weggenommen und ihnen wurde gesagt: „Ihre Tochter ist einer von sieben Menschen weltweit, die so etwas haben. Pflegen sie ihr Kind gut, es wird nicht älter als zwei.“ Als ich zwei war, hieß es, dass ich die Pubertät nicht erleben werde. Jetzt bin ich 45. Ich möchte nicht in der Haut meiner Eltern gesteckt haben. Das muss ein unglaublicher Schock gewesen sein. Damals dachte man noch, dass CMN definitiv zu Hautkrebs führen würde, weil das entartete Zellen seien, die zur Krebsbildung neigten. Sonnenschutz war deshalb das A und O, was bedeutet, dass ich seit dem Kleinkindalter, blickdichte Strumpfhosen und Rollkragen trug. Zum einen als Schutz vor der Sonne, aber zum anderen auch, damit man den Nävus nicht sieht.

Heute fühle ich mich definitiv wohl in meiner Haut. Bis ich 30 war, habe ich allerdings immer noch Rollkragen getragen. Ich fand es unangenehm, wenn Menschen geguckt haben und habe meinen Selbstwert darüber definiert. Um mich unsichtbar zu machen, was mit 1,85 m nicht einfach ist, hatte ich gelernt, mich anzupassen und meine Wünsche und Bedürfnisse immer hinten anzustellen. Es gab einen wichtigen Moment, als ich mit meinem damaligen Freund in San Francisco war. Wir unterhielten uns und ich meinte, dass wir es so machen können, wie er es möchte. Er hat mir mitten auf der Straße sehr deutlich gesagt: „Ich will, dass du mir jetzt sagst, was du möchtest! Du darfst auch Bedürfnisse haben! Du bist auch jemand!“ Das war ein Schlüsselmoment, in dem ich erkannte: „Ja, stimmt eigentlich.“ Danach habe ich mich tiefergehend damit beschäftigt und gelernt, wo mein Verhältnis zu meiner Haut herkommt und was das mit meinen Eltern zu tun hat. Dadurch, dass sie mich sehr viel geschützt haben, habe ich leider auch nie gelernt, selbstbewusst mit meinen Nävi umzugehen. Ich mache ihnen dennoch keinen Vorwurf, weil sie das Beste für mich versucht haben, in der damaligen Zeit. Denn sie waren mehr oder weniger auf sich allein gestellt und hatten niemanden, den sie um Hilfe bitten oder um Rat fragen konnten. Als mir mehr und mehr klar wurde, woher diese Empfindungen kommen, entschied ich mich dann mit 30, den Rollkragen wegzulassen. Als ich das erste Mal in der U-Bahn stand, dachte ich, dass mich gleich alle anstarren werden und ich dann sicher im Boden versinken möchte. Aber es hat niemanden interessiert. Das war der erste Schritt aus meiner Komfortzone heraus. Man muss den Mut aufbringen, einmal die eigene Komfortzone zu verlassen, um zu realisieren, dass es gar nicht so schlimm ist. Mit jedem Mal wird es einfacher.

Ich habe festgestellt, dass die Körperhaltung unglaublich viel bewirken kann und aussagt. Gerade auch im Teenageralter. Es macht einen großen Unterschied, ob ich nun durch meine nach vorne gebeugte Körperhaltung und eingesunkenen Schultern Unsicherheit ausstrahle und Angreifbarkeit signalisiere. Oder ob ich aufrecht stehe und Selbstbewusstsein ausstrahle. Als ich mich mit 30 bewusst dazu entschied, auf meine Haltung zu achten, fiel es mir anfangs schwer, wirklich gerade zu stehen. Denn anscheinend hatten sich meine Bauchmuskeln verkürzt, sodass es im Bauch stark gezogen hat. Aber ich wollte nicht mehr diese unsichere Person sein, deshalb bin ich dran geblieben.


Der erste Kontakt zu anderen Betroffenen war erst im März 2019. Ich hatte zufällig die letzten Sekunden einer TV-Reportage gesehen mit einer Frau, die fast genau den gleichen Nävus hatte wie ich. Eine davon soll dann ausgerechnet in Bremen wohnen? Das war mehr als unwahrscheinlich. Oder ich habe in der Schule bei Wahrscheinlichkeitsrechnungen nicht aufgepasst. Ich habe sofort gegoogelt und bin auf einen Artikel über die Fotoausstellung in London „How do you C Me Now?“ gestoßen. „C Me Now“ steht für CMN. Dieses Projekt wurde organisiert von dem englischen gemeinnützigen Verein „Caring matters now“. Das alles ist zwei Tage vor Ende der Ausstellung passiert, sodass ich diese leider nicht mehr live erleben konnte. Aber ich habe den Verein angeschrieben und mich direkt für das Sommertreffen angemeldet. Dort habe ich dann das erste Mal in meinem Leben 50 andere Menschen mit CMN getroffen, u.a. auch einen Deutschen. Der ist der zweite Vorstand des Nävus-Netzwerks Deutschland. Ich musste nach England fliegen, um herauszufinden, dass es in Deutschland auch ganz viele Betroffene gibt. Heute weiß ich, dass ein Baby aus 20.000 mit CMN geboren wird, in welcher Ausprägung auch immer. Statt sieben weltweit, sind es allein in Deutschland schon 4.000 Menschen. Ich habe mir oft die Frage gestellt, warum ich nicht früher übers Internet gesucht habe. Aber, wenn du dein ganzes Leben lang in dem Glauben aufwächst, dass du die einzige bist, kommst du irgendwann nicht mehr auf die Idee, dass es anders sein könnte. Zu wissen, dass man nicht allein ist, ändert wirklich alles, man kommt sich nicht mehr alleine und wie ein Alien vor. Ich habe mittlerweile viele Menschen mit CMN kennen- gelernt, die selbstbewusst im Leben stehen. Und das heißt auch, dass all das, was ich früher erlebt habe, heute nicht mehr sein muss.

So richtig bewusst, dass ich anders war, wurde mir erst, als ich ca. zehn Jahre alt war. Damals fielen mir die Reaktionen der anderen Eltern bewusster auf und, dass viele verschämt waren und ihre Kinder wegzogen, wenn sie neugierig und interessiert nachfragten, was ich da hätte. Heute weiß ich, dass es in solchen Situationen geholfen hätte, wenn sich meine Eltern zusammen mit mir Antworten, wie man darauf reagiert, überlegt und eingeübt hätten. Wenn andere Kinder interessiert waren und offen auf mich zugegangen sind, dann haben die Mütter sie weggezogen. „Starr da nicht so hin.“ Vielleicht dachten sie auch, dass ich ansteckend wäre. Das merkst du als Kind. Wieso werden andere Kinder von mir weggezogen? Stimmt irgendetwas nicht mit mir? Unterbewusst fängt das also schon vor der Pubertät an. Beim Hautarzt war ich halbjährlich, zur Kontrolle. Bei jedem Mal wurde ein Stück Nävus entfernt.
Bei 60 Operationen habe ich aufgehört zu zählen. Mein Nävus ging eigentlich bis zum Kinn. Als ich drei war, wurde mir dieser Teil herausgeschnitten und mit einem großen Stück Haut vom Oberschenkel transplantiert. Davon habe ich am Oberschenkel eine große Narbe, die, weil sie mit mir mitgewachsen ist, von etwa 3 mal 5 Zentimeter-Größe heute 10 mal 18 Zentimeter groß ist. Ich muss ganz ehrlich sagen, dass mich die Narben mehr stören als meine Leberflecken. Damals wurden Nähte nicht schön und fein gemacht. Bei jeder Untersuchung kam eine dazu. Heute weiß man, dass die Wahrscheinlichkeit an Hautkrebs zu erkranken, nicht viel höher ist als bei Menschen ohne Nävus. Ein geringfügig höheres Risiko (3,2 Prozent) betrifft nur Menschen, bei denen der Nävus einen großen Anteil des Körpers (mehr als 40 Zentimeter) bedeckt.

Hätte es soziale Medien schon früher gegeben und hätte ich vielleicht eher von anderen erfahren, dann wäre ich vielleicht früher auf eine Bühne gegangen. Im Nachhinein finde ich es schade, dass ich mit 16 Jahren aus der Schulband rausgegangen bin, weil ich es aus Angst vor Ablehnung nicht ertragen konnte, im Mittelpunkt zu stehen. Es sollte dann 20 Jahre dauern, bis ich den Weg zurück zur Musik fand. In diesen 20 Jahren hätte ich mir musisch sehr viel aneignen können und das ist schade. Musik ist für mich ein wichtiger Pfeiler, weil ich z. B. in meinem ersten Song meine Erfahrungen verarbeitet habe, es war ein bisschen wie Musiktherapie für mich. Heute sind das die schönsten Erlebnisse für mich, wenn ich auf der Bühne stehe und Menschen berühren kann. Meine Haut spielt dort keine Rolle. Weil es nicht darum geht, wie ich aussehe, sondern was ich transportiere, wie ich bin, welche Emotionen ich rüberbringe. Und wenn Menschen danach zu dir kommen und dir sagen, wie sehr es sie berührt hat, das ist das, was wirklich besonders ist.

Zum Glück bin ich mittlerweile so reflektiert, dass ich das differenzieren kann. Als Teenager ist das so nicht möglich, weil man seinen Selbstwert aus der Meinung anderer generiert und alles auf sich bezieht. Also, wenn jemand einen abfälligen Kommentar über mein Aussehen gemacht hat, dann hat es früher mein Selbstwertgefühl runtergedrückt. Heute weiß ich, dass der Unterschied zwischen Meinung und Kritik sehr wichtig ist. Eine Meinung ist die subjektive Sicht eines anderen Menschen, individuell geprägt durch seine Erfahrungen und Sozialisierung. Wenn jemand mein Aussehen kommentiert, dann weiß ich, dass es eine Meinung ist, basierend auf Prägung und Sozialisierung und in diesem Moment nichts mit meinem tatsächlichen Aussehen oder Selbstwert zu tun hat. Kritik hingegen ist sachlich fundiert und kann z. B. Feedback zu Verhaltensweisen sein. Und: Es ist normal, wenn du angestarrt wirst, wenn du irgendeine Besonderheit hast. Es liegt in unseren Genen, dass wir gucken. Als Menschen noch mit Keulen durch Wälder gezogen sind, mussten sie sehr schnell aus den Augenwinkeln entscheiden, ob eine Bewegung im Gebüsch Freund:in oder Feind ist. In kürzester Zeit musste das Wahrgenommene in eine Schublade eingeordnet und entsprechend reagiert werden. Alles, was wir nicht verstehen, wird erstmal als existenzbedrohend abgespeichert. Dieser Überlebensinstinkt sitzt sehr tief und passiert instinktiv, das heißt, wir haben darüber keine wirkliche Kontrolle.
Als ich das begriffen habe, konnte ich ganz anders damit umgehen, wenn ich angestarrt wurde. Wenn ich etwas Ungewöhnliches sehe, dann gucke ich auch hin. Und dann entscheide ich mich bewusst dazu, wieder wegzusehen, weil jede:r genau so richtig ist, wie er/sie ist. Zu dieser Thematik habe ich mich eine Zeit lang intensiv mit dem Buddhismus auseinandergesetzt und da heißt es z. B.: ‚Wenn du mit einem Finger auf andere zeigst, zeigen die anderen Finger alle auf dich.‘ Das heißt, alles was du an anderen Menschen nicht magst, führt eigentlich auf dich selbst zurück. Wenn jemand zu dir sagt, dass du hässlich bist, dann kann es nur etwas mit dir machen, wenn du diesen Glaubenssatz noch in dir trägst. Es ist auch wichtig, sich bewusst zu machen, dass man nicht allen Menschen gefallen kann. Man sollte das auch gar nicht versuchen, sondern einfach man selbst sein.

Menschen mit Nävi haben eine beeinträchtigte Feuchtigkeitsregulation der betroffenen Haut. Das bedeutet, dass sich die Körpertemperatur bei großer Hitze oder Sonne nicht einfach durch ‚Schwitzen‘ reguliert und einem vielleicht etwas schneller warm wird. Bei direkter Sonneneinstrahlung wird die Haut mit Nävi aufgrund ihrer dunklen Pigmentierung schneller warm oder sogar heiß. Auf den Satelliten wachsen dunkle Haare und die entferne ich. Natürlich könnte ich die Haare einfach Haare sein lassen. Aber davon bin ich selbst auch noch nicht frei, deswegen unterwerfe ich mich dem Schönheitsideal, das aussagt, dass wir am besten nur auf dem Kopf Haare haben sollen.
Ich habe mich viel mit der Definition von Schönheit beschäftigt. Man denkt immer, Schönheit ist genau so oder so und es gibt genau definierte Schönheitsideale. Aber woher kommen eigentlich diese Schönheitsideale, denen wir alle nachstreben? Es ist einfach nur eine Schöpfung unserer aktuellen Kultur und Medien. Also extern erstellt. Wir alle möchten Teil unserer Gesellschaft sein, angenommen und akzeptiert werden und unterwerfen uns deswegen diesen Schönheitsidealen. Aber Schönheitsideale unterliegen auch immer der aktuellen Zeit. Geschichtlich gesehen reichen diese von Rubensfrauen bis Magermodels. Ich persönlich finde es schön, wenn jemand positiv ist und lacht. Menschen, die so eine positive Energie ausstrahlen, finde ich schön und auch anziehend. Alles andere tritt dann in den Hintergrund.
Grundsätzlich ist mir nicht dauernd bewusst, dass ich CMN habe. Da geht es nicht nur mir, sondern auch meinen Freund:innen so. Durch meine Persönlichkeit und Ausstrahlung steht es nicht wirklich im Fokus und fällt dadurch nicht mehr auf. Die Frage ist doch auch: Was mögen wir an anderen Menschen und warum sind wir mit ihnen befreundet? Weil sie eine gerade Nase und schöne lange Haare haben? Nein, sondern weil wir uns auf sie verlassen, mit ihnen lachen und weil man zusammen Unfug machen kann. Und was mögen andere an dir? Genau das gleiche. Wenn wir andere Menschen das allererste Mal sehen, checken wir innerhalb von Sekunden mehr als 400 Eigenschaften ab und das Erscheinungsbild der Haut ist nur eine davon. Und innerhalb dieser kurzen Zeit entscheiden wir unterbewusst, ob uns diese Person sympathisch ist oder nicht. Wenn man es schafft, über dieses Äußerliche hinweg und auf die Menschen zuzugehen, dann wird man merken, dass die Leute so viel mehr, als nur ihr Äußeres sind. Es gibt so viele herzliche Menschen, die außen eine andere oder raue Hülle haben, und das vielleicht, weil sie so viele Verletzungen erlebt haben. So wie du auf andere zugehst und was du ausstrahlst, das ist das, was bei den Menschen ankommt. Haut ist nur die Oberfläche, ein kleiner Teil von uns. Sie hat mich und mein Leben zwar geprägt, aber sie macht mich nicht aus.“
Text & Bilder: Kim Oppermann / Instagram @_kleinedinge_
Dieser Text ist Teil des fotografischen Projekts „ein Teil von Mir“ von Kim Oppermann. Die Texte dieser Serie basieren auf Interviews, die in Form von persönlichen Gesprächen mit den Teilnehmenden geführt wurden. Umgangssprachliche Wendungen werden vielfach unverändert wiedergegeben, um den persönlichen Charakter beizubehalten. Auf Wunsch einzelner Teilnehmender, sind deren Namen geändert.
Weitere Arbeiten von Kim findest du auf ihrer Homepage. Du kannst ihr auch auf Instagram folgen.

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