Fußball hat mich noch nie interessiert. Auch nicht die WM, und die EM schon gar nicht. Dafür, dass ich so ein Fußball-Muffel bin und mich während des ersten Deutschlandspiels am meisten dafür begeistern konnte, den Park ganz für mich alleine zu haben, hat mich die erhitzte Debatte um die Illumination des Münchner Stadions jetzt doch ziemlich gecatcht. Ein kurzer Überblick:
Im Juni billigte das ungarische Parlament ein Gesetz, das die Informationsrechte von Jugendlichen in Ungarn stark einschränkt. Denen sollen Informationen, die über Homosexualität und Transsexualität aufklären, nicht mehr zugänglich gemacht werden. Die Aufklärung darüber – so die Argumentation – soll den Familien überlassen bleiben. Das zieht konkret ein Verbot von Büchern, Filmen und anderen Inhalten nach sich, die eine andere als die heterosexuelle Sexualität zeigen und Kindern und Jugendlichen zugänglich sind. Auch Werbung, die homosexuelle und transsexuelle Menschen als Teil der „Normalität“ abbildet, soll in Ungarn künftig verboten werden. Das neue Gesetz verletzt damit nicht nur das Recht auf Meinungsfreiheit, sondern diskriminiert Menschen der LGTBQI+ Szene massiv. Gleichzeitig rüttelt es an dem Wertefundament der Europäischen Union, denn die Unantastbarkeit der Würde eines jeden Menschen ist, wie der Europastaatsminister Michael Roth (SPD) twitterte, „der Wesenskern europäischer Identität.“
Diese Haltung teilt Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) und stellte einen Antrag, um das Münchner Stadion beim EM-Gruppenspiel Deutschland gegen Ungarn als Reaktion auf das neue Gesetz in den Regenbogenfarben zu beleuchten. Als ein Zeichen für Toleranz und Gleichstellung. Die Union of European Football Associations (UEFA) lehnte den Antrag ab. Seitdem hagelt es Kritik und Schlagzeilen. Der Münchner Oberbürgermeisters etwa findet es beschämend, „dass die UEFA uns hier in München verbietet, ein Zeichen für Weltoffenheit, für Toleranz, für Respekt und für Solidarität“ zu setzen. Die ungarische Regierung um Viktor Orbàn wiederum hält die Entscheidung für richtig, weil sie die Illumination als gezielte Provokation empfunden hätte und die UEFA selbst begründet ihre Entscheidung damit, dass sie schon in den 90er-Jahren festgelegt hat, politische Botschaften in Stadien zu verbieten. Sie argumentiert, die Illumination sei weniger als allgemeines Zeichen für Toleranz, sondern vielmehr als konkrete politische Aktion gegen das neue ungarische Gesetz zu verstehen. Viele derer, die das Vorgehen der UEFA befürworten möchten, dass der Sport politisch neutral bleibt. Dabei ist Politik im Sport nicht unbedingt etwas Neues: Bilder der Black Power Proteste bei den Olympischen Spielen 1968 gingen um die Welt, die gestreckten Fäuste von Tommie Smith und John Carlos bei der Siegerehrung in die Geschichte ein. Und die Frage nach der politischen Neutralität von Kommerzialisierung und Profitorientierung, die stellt ja auch keiner. Auch die deutsche Politik scheint das mit der Neutralität überwiegend anders zu sehen als die UEFA: Selbst Markus Söder trägt plötzlich Regenbogen.
Viel interessanter als der Ausgang der EM und Söders Regenbogen-Maske bleibt für mich die Frage danach, wie es eigentlich so um die Werte steht in der Werteunion EU, die ihren Kinderschuhen als Wirtschaftsunion noch nicht so richtig entwachsen scheint. Kann man so etwas Komplexes wie „Haltung“ überhaupt durchsetzen? Das Ausleben freier Liebe ist längst nicht nur in Ungarn als ehemaligem Ostblockstaat mit seiner Nähe zu Russland nach wie vor extrem schwierig. Das Problem betrifft auch viele postsowjetische Länder. Ein Relikt, denn in der ehemaligen UdSSR wurde Homosexualität mit jahrelangen Gefängnisstrafen oder Zwangsarbeit bestraft. Und auch wenn wir in Deutschland heute zum Glück viel weiter sind, kommt mir in der Diskussion um das Farbenspiel zu kurz, dass es auch im deutschen Fußball noch einiges aufzuholen gibt, in Sachen Offenheit und Toleranz. Bis heute gibt es in den Profiligen der Männer keinen einzigen offen homosexuellen Fußballer. Warum? Aus Angst vor Anfeindung und Auswirkungen auf die Karriere. Um es in Jogis Worten zu sagen: „Bei aller Wichtigkeit von Symbolen” müssen Werte vor allem „auch gelebt werden.“ Wäre toll, wenn das irgendwann überall ginge. Im Fußball. Und in Ungarn. Und überall auf der Welt.
Illustration © Naomi Fearn

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