In Zeiten der absoluten Globalisierung und individueller Freiheit (dem deutschen Reisepass sei Dank), wirkt „Heimat“ schnell altmodisch und schreit förmlich nach einer nostalgischen Utopie. Sofort erscheint in meinem Kopf folgendes Bild: Eine bayerische Gaststätte, Volksmusik, die aus Blasinstrumenten ertönt und die schwarz-rot-gelbe Flagge im Schrebergarten von Ansgar und Beate weht fröhlich im Wind. Und das Ganze, obwohl Heimat für mich etwas komplett anderes bedeutet. Schrebergarten – Rückzugsort – Heimat, perfekt!  

Diese Konnotationen stammen mit Sicherheit aus dem Fernsehen, dem Radio und alten Kinderbüchern. Vielleicht auch aus der Realität. Hast du mal versucht, Heimat zu  übersetzen? Homeland, home country, lieu d´origine, pays natal, la país natal, patria… Nichts  davon trifft die inhaltliche Bedeutung des deshalb als “typisch deutsch“ betitelten Begriffs Heimat. Einen bitteren Beigeschmack gibt es gratis oben drauf: Die Nationalsozialisten schlossen durch ihren Heimatbegriff und der absurden Blut-und-Boden-Ideologie „nicht-deutsche“ Bürger:innen von dieser aus. Heimat diente als Deckmantel für Rassismus und Antisemitismus. Schon immer eine heile Welt darstellend, hat sich der Heimatbegriff bis heute weitestgehend von dieser negativen Assoziation gelöst. Wenn man möchte. Dass die AfD die aufkommende Heimatsehnsucht für sich entdeckt und für ihr Programm missbraucht, bleibt an dieser Stelle jetzt einfach mal unkommentiert.

Nun sind wir also in einer Zeit angekommen, in der man sich nach Heimat sehnt. Heimatlosigkeit, Heimatsuche, Heimatverlust und Heimweh sind in aller Munde: Ein fester Ort, an den man sehnsuchtsvoll zurückkehren möchte. Die Deutschen sind wieder stolz auf ihr Land, auf ihre Traditionen und Dialekte. Heimat als Trend, als Rückbezug zu den Wurzeln, Sehnsucht nach Ruhe und Natur in einer viel zu schnelllebigen Gesellschaft.

Warum ist Fernweh und „Travelling“ dann der absolute Instagram-Trend und alle wollen auf Bali die Füße im Wasser baumeln lassen? Wahrscheinlich, weil es Heimweh nicht ohne Fernweh geben kann. Umso länger der Flug, umso größer das Ansehen. Seien wir mal ehrlich, irgendwie will man ja beides haben: Absolute Freiheit und am Ende einen geschützten Ort, an den man immer wieder zurückkehren und auf der Couch sitzen kann.

Ist mein Zuhause also meine Heimat? Vielleicht. Für mich ist Heimat durch meine Kindheit entstanden: Durch das Kniffel-Spielen an Omas Esstisch, durch das Kaulquappen-Fangen im Bach und durch das sonntägliche Arme-Ritter-Frühstück in einer siebenköpfigen Großfamilie mit anschließendem Familiengottesdienst. Ist das typisch deutsche Heimat? Vielleicht. All diese festgehaltenen und verarbeiteten Erinnerungen, ob negativ oder positiv, schaffen meine Heimat. Wie ein mentaler, innerer Raum, der mit der Zeit gewachsen ist und den ich immer mit mir trage. Zuhause oder auf Bali.

Halten wir fest: Heimat und Heimatgefühle entstehen  durch einen konkreten Raum, der über diese Lokalisierung hinaus mit Gefühlen und  Erinnerungen gefüttert wird. Ich bringe meine Heimat somit an jeden Ort mit, es ist etwas, was man mir nicht wegnehmen kann: Ein imaginärer Ort. Das scheint für mich zu funktionieren, aber was ist mit den Menschen, die keine fröhliche Kindheit hatten, ohne Eltern und Familie oder in einem fremden Land aufgewachsen sind? Vielleicht ist Heimat etwas selbstständig Gegebenes, nachdem wir nicht suchen müssen, weil es das ist, was wir sind. Vielleicht können wir unser Heimatgefühl ja doch beeinflussen. Schwierig. Denn ja, Eltern sind Wurzeln, der rostige Kaugummiautomat aus der Grundschulzeit war ein Highlight und die Fahrt ins Dorf ein warmes, vertrautes Gefühl. So ganz losgelöst von beeinflussenden Faktoren scheint Heimat also doch nicht zu sein.  

Meine unglaublich kleine Heimat steht also der unfassbar großen weiten Welt gegenüber. Dass man sich da auch mal extrem verloren fühlt, ist verständlich. Wo und wie gehöre ich dazu? Wo finde ich Zuflucht und was hat mich als Person geprägt? Heimat ist so vielfältig und die individuellen Erfahrungen damit so groß, dass eine allgemeine Definition und vor allem eine Lokalisierung von Heimat im Sinne eines Ortes schwierig ist.

Autorin: Alina Franke
Collage © Teresa Vollmuth

Dieser Text erschien zuerst auf DIEVERPEILTE.

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